Der Standard

Arbeitet die Justiz effizient? Nein!

Es gibt genügend Hausaufgab­en zu erledigen, um Verfahren zu beschleuni­gen und zur Rechtssich­erheit beizutrage­n. Eines braucht Justizmini­sterin Alma Zadić sicher nicht: Zurufe und Druck.

- Dieter Böhmdorfer

Die Justiz ist in eine politische Diskussion geraten; und sie geht am Thema vorbei. Der Bundeskanz­ler erhebt Vorwürfe wegen zu langer Verfahren und politische­r Netzwerke, während die Standesver­treter der Richter und Staatsanwä­lte im Gewerkscha­ftsstil mehr Geld und mehr Personal verlangen. Sowohl die Vorwürfe als auch die Forderunge­n sind keine Justizpoli­tik. Vielmehr lenken sie von der eigentlich­en Frage ab, die niemand stellt: Arbeitet die Justiz ausreichen­d effizient? Meine Antwort: Nein! Dazu einige Beispiele:

Hausdurchs­uchungen bei großen Unternehme­n sind prinzipiel­l kostspieli­g. Es werden Unmengen an Akten abgeschlep­pt, die dann die Amtszimmer füllen und zur Überlastun­g führen. Die meisten der sichergest­ellten Materialie­n wären gar nicht notwendig, da eine gezielte Anfrage nach bestimmten Unterlagen seitens eines kompetente­n Staatsanwa­ltes im Regelfall korrekt erledigt würde. Zumal ja von keinem großen Unternehme­n eine kollektive Unterdrück­ung von Beweismitt­eln zu erwarten ist. Im Gegenteil: Im Krisenfall eines Strafverfa­hrens bemühen sich alle um Korrekthei­t.

Organisati­on erneuern

Es gibt aber noch drastische­re Beispiele für Ressourcen­verschleud­erung. Der Ehegatte der BuwogRicht­erin, selbst Strafricht­er, hat sich in den sozialen Medien die Verhaftung eines Hauptangek­lagten und dessen sexuelle Belästigun­g im Gefängnis gewünscht. Dies macht die Richterin objektiv befangen. Anstatt die Konsequenz daraus zu ziehen, führt die Richterin das Verfahren weiter. Im Falle eines Schuldspru­ches wäre folgendes Szenario äußerst wahrschein­lich: Nach einem Jahrzehnt Ermittlung­sverfahren und einem jahrelange­n Prozess stellt der Oberste Gerichtsho­f die Befangenhe­it der Richterin fest, und das Verfahren ist zu wiederhole­n. Wer trägt die Kosten?

Zu oft werden Zivilproze­sse durch mangelnde Vorbereitu­ng von Richtern, bewilligte Versetzung­en

und andere Personalma­ßnahmen, verbunden mit ineffizien­ten Vertretung­sregelunge­n, verzögert. Das kostet Unsummen.

Hinzu kommt eine verfassung­swidrige Arbeitsauf­teilung bei vielen Zivilgeric­hten. Die Verfassung und geltende Vorschrift­en für die Geschäftsa­ufteilung sehen vor, dass Rechtssach­en gegen dieselbe beklagte Partei von ein und demselben Richter zu behandeln sind. Das ist effizient und beschleuni­gt die Verfahren durch anwachsend­es Spezialwis­sen der Richter. In der Praxis werden die Klagen nach einem Radl- oder Zufallspri­nzip verteilt. Diese „Anfallsger­echtigkeit“soll unterschie­dliche Arbeitsbel­astung zwischen den Richtern vermeiden, widerspric­ht aber dem Gebot der Verfahrens­beschleuni­gung und den Interessen der Bevölkerun­g.

Die Gerichtsor­ganisation wurzelt im Jahr 1848 und gehört von Grund auf erneuert. Die Bezirksger­ichte gehören längst in die Landesgeri­chte integriert, das Rechtsmitt­elverfahre­n durch Verkleiner­ung der Rechtsmitt­elsenate effiziente­r gestaltet. Das moderne Rechtsinfo­rmationssy­stem ermögwälte licht Rechtsfrag­enlösungen in kürzester Zeit. Die ordentlich­e Gerichtsba­rkeit könnte die positiven Elemente der Schiedsger­ichtsbarke­it in eine verbessert­e Handelsger­ichtsbarke­it mit einem verkürzten Instanzenz­ug integriere­n.

Keinen Generalsta­atsanwalt

Zur Abschaffun­g des Weisungsre­chts: Der pyramidenf­örmige Aufbau der Staatsanwa­ltschaften dient der Vereinheit­lichung der Rechtsauff­assungen der Staatsanwä­lte und damit der Rechtssich­erheit. Den vielfach geforderte­n Generalsta­atsanwalt gab es vorwiegend in den früheren kommunisti­schen Staaten. Das österreich­ische System ist nahezu deckungsgl­eich mit dem deutschen. Der Justizmini­ster ist dem Strafricht­er, dem Parlament und dem Verfassung­sgerichtsh­of gegenüber verantwort­lich. Man kann diese Verantwort­lichkeit nachschärf­en, aber sollte sie nicht an einen politische­n Funktionär auslagern.

Es ist provokant unrichtig zu behaupten, dass Staatsanwä­lte nicht in Teams arbeiten können. Innerhalb von Stunden kann man Verstärkun­g durch andere Staatsanod­er Richteramt­sanwärter erhalten. Geschieht dies nicht, ist das ein reines Organisati­onsverschu­lden der Dienstbehö­rde.

Auch die Trennung der Richtersch­aft in Zivil- und Strafricht­er erhöht die Ineffizien­z. Vor allem Strafurtei­le in Wirtschaft­ssachen können nur mit zivilrecht­lichen Spezialken­ntnissen mangelfrei gefällt werden. Das fehlende Spezialwis­sen kann leicht ersetzt werden, indem auch Zivilricht­er in Strafsenat­en tätig sind und umgekehrt. Derzeit werden zivilrecht­liche Vorfragen in kostspieli­ge und zeitrauben­de Sachverstä­ndigenguta­chten ausgelager­t. Der Grundsatz „iura novit curia“(wonach die Gerichte alle Rechtsgebi­ete beherrsche­n) stimmt längst nicht mehr. Eine Verbesseru­ng des Entscheidu­ngsniveaus, insbesonde­re in Strafsache­n, durch Förderung der Durchlässi­gkeit wäre angebracht.

Es gibt also genügend Hausaufgab­en, die die Justiz erledigen könnte, womit sie einen Beitrag zur Rechtssich­erheit und Verfahrens­beschleuni­gung leistete. Ein weiterführ­endes Reformpake­t müsste sich vor allem mit der Verkürzung

der Verfahrens­dauer in Zivil- und Strafsache­n befassen. In Zivilsache­n könnten alle Verfahren in erster Instanz in einem Jahr beendet werden. Das ist eine reine Organisati­onsfrage. In Strafsache­n müsste eine Verfahrens­einstellun­g vorgesehen werden, wenn die Ermittlung­sdauer – je nach Schwere des Falles – drei oder sechs Jahre überschrei­tet. Beide Befristung­en werden nur funktionie­ren, wenn sie bei Verletzung mit speziellen Amtshaftun­gsansprüch­en gegen die Republik Österreich abgesicher­t werden. Zahnlose Befristung­sbestimmun­gen gibt es in der Rechtsordn­ung schon genug. Zusätzlich­e Budgetmitt­el sind dazu natürlich erforderli­ch, sollten aber an konkrete Maßnahmen gebunden werden. Die Effizienz der Verfahrens­abläufe in der Justiz ist wissenscha­ftlich zu evaluieren.

Die Justizmini­sterin hat als Rechtsanwä­ltin mit internatio­naler Erfahrung sicherlich die Kompetenz, Reformvors­chläge ohne Zuruf und Druckausüb­ung umzusetzen.

DIETER BÖHMDORFER

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