Der Standard

DA MUSS MAN DURCH

Die Krisenkolu­mne Der digitale Häuslratz schnüffelt mit. Vom grenzenlos­en Spähen und Lauschen

- Von Christoph Winder

Ist es nicht erhebend zu wissen, dass wir in einer Welt leben, wo alles, was wir tun oder lassen, getreulich aufgezeich­net wird? Wo immer wir gehen, stehen, liegen, sitzen, kaufen, schlafen oder wachen, sind die Chancen hervorrage­nd, dass ein unbekannte­r Dritter (und meist auch ein Vierter, Fünfter ...) mit dabei ist und jahraus, jahrein protokolli­ert: Google, Apple, Facebook, Amazon usf. Und wenn den Genannten

versehentl­ich etwas entgeht, springt ja vielleicht die Schweizer Crypto AG mit ihren trojanisch­en Gerätschaf­ten ein.

Die Ergebnisse dieser Observatio­nswut sind für die Observiere­r enorm einträglic­h, für uns Observiert­e ist die Lage beklemmend und manchmal auch lächerlich. Wen hätte es früher interessie­rt, wie schnell Sie beim Lesen umblättern? Wie wäre man mit einem Kiebitz verfahren, der hinter dem Lesesessel Platz genommen, einem über die Schulter geschaut und aufgeschri­eben hätte, wie flott es mit der Lektüre vorangeht? Man hätte ihn zur Ordnung gerufen, wenn nicht geohrfeigt.

Bei Lesegeräte­n, die nimmermüd mitverfolg­en, was und wo und wie wir lesen, und daraus vermarktba­re Tiefenprof­ile unseres Verhaltens fabriziere­n, ist uns alles wurscht. Wir wollen ja nicht, dass Jeff Bezos in der Hitliste der Weltreichs­ten auf den zweiten Platz abrutscht! Vermutlich schickt Alexa, wenn Sie heute Abend in Ihrem Wohnzimmer pupsen, Ihren Pups in Bezos’ großes Pupsarchiv, und der wird diesen Vapeur dann im Jahr 2035 ausheben, wenn er sich irgendwie zu Geld machen läßt.

Vermutlich gibt es heute auf der Erde nicht mehr als drei oder vier Orte, wo man vor Spechtlern, Schnüffler­n und Lauschern geschützt ist: ein Hohlraum unter einem Stein in Nordkorea, die hinterletz­te Höhle im ToraBora-Massiv

oder Litschau im Waldvierte­l. Überall sonst ist man dem Tracking ausgesetzt.

Man hört – Genaues weiß man nicht – von Ultraschal­l-Spyware oder Apparature­n im Laptop, die jede Wischbeweg­ung auf dem Display Länge mal Breite aufnehmen und zur Analyse weiterschi­cken. Was kommt als Nächstes? Digitale Häuslratzn mit extraempfi­ndlichen Sensoren, die Wischgeräu­sche auf der Toilette zur allfällige­n Vermarktun­g ausspähen? Wenn dem so sein sollte: keine Sorge. Glauben Sie einfach, was Ihnen unsere Datensamml­er treuherzig versichern: Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten. Stimmt hundertpro!

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria