Randschaften & Leerzeichen
Die verfallenden Gebäude zeigen sich im Untergang noch einmal in ihrer wahren Schönheit: wie eine alternde Ballerina, die sich von der Bühne zurückgezogen hat, aber ein letztes Mal ihre früheren Pirouetten in ihrer ganzen Grandezza zeigt.“Derart poetisch nähert sich leerstehenden Gebäuden in Wien. Die heute oft als Lost Places titulierten Ruinen sind Zeugen einer vergangenen hohen Zeit, einer Ära der Hochs, gleichgültig, welche Bestimmung sie auch hatten. Jahn besucht Fabrikshallen, Sanatorien, die einst als Zauberberg hätten durchgehen können, Theatersäle und Varietés, ebenso Kathedralen und Kirchenschiffe, die heute weder durch Seelen noch Gesang noch Glocken zum Schwingen gebracht werden, sondern nur mehr des Nachts von Fledermäusen lautlos widerhallen, Katakomben, ehemalige Patrizier-Villen, hin und wieder Zinshäuser und Mietskasernen. Auch Kanalisation und Friedhöfe pflastern den Pfad des 1963 geborenen Wiener Autors. Die Leere ist der wesentliche Teil der Aura, des seltsamen Charismas, das Jahns Ansichten innewohnt. Von erratischer Schönheit kann man sprechen, auch vom Mythos des Verlorengehenden, des rettungslos Verfallenden. Wien eben in all seiner morbiden Pracht. Im Gegensatz zu anderen Expeditionen in diesem Segment – und deren gab es in den letzten Jahren einige – gelingt Jahn hier doch Überraschendes, Exzentrisches. Die Perspektiven und Orte sind keineswegs ausgetreten. Die Bilderwelten sprechen für sich. Silentium! Gregor Auenhammer