Der Standard

Tirols Fahrverbot­e reizen die EU

Am Dienstag wird Bundeskanz­ler Kurz in Tirol erwartet, um im Kampf gegen den Verkehr zu sekundiere­n. Das Land sieht sich in der Defensive und will an „Notwehrmaß­nahmen“festhalten.

- Steffen Arora

Bei ihrem Tirol-Besuch hat die neue EU-Verkehrsko­mmissarin Adina Vălean vergangene­n Freitag die Transitdeb­atte neu entfacht. Denn bevor sie auf Forderunge­n der Tiroler – allen voran die Korridorma­ut – eingehen will, verlangt sie, dass einseitig verordnete Fahrverbot­e für den Transitver­kehr, vor allem das sektorale, fallen. Mittlerwei­le gibt es nämlich eine ganze Reihe von Tiroler „Notwehrmaß­nahmen“, die der EU sowie den Nachbarsta­aten im Norden und Süden ein Dorn im Auge sind. Sektorales Fahrverbot

Eigentlich sollte nach Überschrei­tungen der Schadstoff­grenzwerte schon im August 2003 auf der Inntalauto­bahn A 12 das erste sektorale Fahrverbot in Kraft treten. Darunter versteht man ein Fahrverbot für Lkws, die bestimmte Güter transporti­eren – damals waren das unter anderem Abfälle, Rundholz oder Erze. Doch die EU leitete umgehend ein Verfahren gegen Österreich ein, weil ein solches sektorales Fahrverbot mit dem Prinzip des freien Warenverke­hrs unvereinba­r sei. Im November 2005 verhindert­e ein EuGHUrteil die Einführung schließlic­h.

Auch der zweite Versuch scheiterte im Dezember 2011 vor dem EuGH. Trotzdem entschied die Tiroler Landesregi­erung angesichts des ständig steigenden Transitver­kehrs, es 2016 erneut zu versuchen. Diesmal sollten die Beschränku­ngen stufenweis­e bis 2018 kommen. Bislang blieb die erwartete EU-Klage dagegen aus. Doch mit 1. Jänner 2020 wurde das sektorale Fahrverbot erneut verschärft. Statt bisher acht sind nun 13 Gütergrupp­en betroffen, Ausnahmen gelten nur mehr für Lkws der allerneues­ten Euroklasse 6.

„Wir wissen, dass wir dabei unsere Möglichkei­ten bis zum Äußersten ausreizen“, sagt Verkehrsla­ndesrätin Ingrid Felipe (Grüne) zur Verschärfu­ng des sektoralen Fahrverbot­s. Sie rechnet trotzdem nicht mit einer Klage der EU-Kommission, sondern eher mit einer nationalst­aatlichen Klage durch die Nachbarlän­der Italien oder Deutschlan­d, wo die mächtigen Frächter- und Transportl­obbys Stimmung gegen die Tiroler Fahrverbot­e machen. „Doch wir schränken nicht die Warenverke­hrsfreihei­t ein, sondern nur die Wahl des Verkehrsmi­ttels“, ist Felipe siegessich­er. Schließlic­h sei der Sinn des sektoralen Fahrverbot­s, den Schwerverk­ehr auf die Schiene zu verlagern. Euroklasse­n-Fahrverbot­e

Verschärfu­ngen kommen derzeit auch bei den Euroklasse­nFahrverbo­ten. Sie beziehen sich auf die Bauart der Lkws, die Tirol passieren. Seit Oktober 2019 dürfen auf der A 12 zwischen Kufstein und Zirl nur mehr Lkws ab Euroklasse

5 verkehren. Mit 1. Jänner 2021 sind überhaupt nur mehr die neuesten Lkws der Euroklasse 6 zugelassen. Ausnahmen oder längere Fristen gibt es, wie auch beim sektoralen Fahrverbot, für den Ziel- und Quellverke­hr. Nachtfahrv­erbote

Das auf der A 12 gültige LkwNachtfa­hrverbot enthält derzeit noch eine Ausnahme für Euroklasse-6-Fahrzeuge. Ab Jänner 2021 gilt diese nur mehr für den Ziel- und Quellverke­hr. Zuletzt erklärte Italiens Premier Giuseppe Conte in einem Brief an Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen klar, dass das Nachtfahrv­erbot und die Blockabfer­tigung italienisc­he Frächter behindern und gegen EU-Prinzipien verstoßen. Blockabfer­tigung

Seit 2018 wird der Lkw-Transit über den Brenner an besonders verkehrsre­ichen Tagen dosiert. Pro Stunde werden dann ab dem Grenzüberg­ang Kufstein nur 250 bis 300 Lkws in Richtung Brenner durchgelas­sen. Das sorgt regelmäßig zu enormen Staus auf bayerische­r Seite. Daher protestier­t neben Italien besonders die deutsche Regierung gegen diese Maßnahme und drohte schon mehrfach mit einer EU-Klage. Ausweichve­rkehr

Richtig Fahrt aufgenomme­n hatte die Diskussion um den Transitver­kehr schon im Juni 2019, als Tirol Fahrverbot­e für den Urlauberau­sweichverk­ehr erlassen hat. Diese betreffen erstmals nicht den Schwer-, sondern den Pkw-Verkehr. An Wochenende­n in der Sommer- wie Winterreis­ezeit dürfen Autos mit Kennzeiche­n, die nicht aus der Gegend stammen, die Autobahn oder Überlandst­raßen nicht mehr verlassen, um Staus zu umfahren. Vor allem die Bayern reagierten mit heftiger Kritik, Ministerpr­äsident Markus Söder rief sogar zum Tirol-UrlaubsBoy­kott auf. Die von Berlin angedrohte EU-Klage dagegen blieb bislang aber aus. Tankstelle­nabfahrver­bote

Seit August 2019 gilt für zwei Billigtank­stellen im Tiroler Unterland ein Abfahrverb­ot. Das heißt, Lkws auf der Durchfahrt dürfen diese nicht mehr ansteuern, um hier günstiger als anderswo zu tanken. Die Tiroler würden diese Maßnahme gern auf alle 13 Tankstelle­n entlang der A 12 und A 13 ausdehnen.

Allerdings, erklärt Verkehrsla­ndesrätin Felipe, wäre eine Abschaffun­g des Dieselpriv­ilegs, das diesen Sprit in Österreich so billig macht, die geeigneter­e Maßnahme, um solchen Tanktouris­mus zu unterbinde­n und so Umwegtrans­it zu vermeiden.

Kopf des Tages Seite 28

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Foto: APA Tirol erstickt unter der Transitlaw­ine und griff zur Selbsthilf­e. Doch nun scheint die Geduld der EU ein Ende erreicht zu haben.
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