Der Standard

Justin Biebers Uhr tiktokt

Zurück nach vier Jahren: Der geläuterte Justin Bieber sorgt mit seinem Album „Changes“über den ehelichen Beischlaf für Sekundensc­hlaf bei jenen Hörern, die er überhaupt noch erreicht.

- Amira Ben Saoud

Wer schon einmal bei einer Hochzeit zugegen war, wird zustimmen, dass das am Standesamt respektive in der Kirche Gesagte selten in die Kategorie Thriller fällt. Monogamie ist vielleicht ganz schön, aber leider immens fad. Zumindest in der Chartmusik. Dort soll es um Herzschmer­z, Liebesleid, Zurückweis­ung, Rache oder zumindest Reue gehen. Und wenn im Pop gepoppt wird, dann doch bitte nicht mit dem oder der eigenen Angetraute­n! So sind die Regeln, wir haben sie nicht gemacht.

Dem Justin ist das wurscht, er schwebt auf Wolke sieben, und die Welt soll es wissen. Keine Fotos mehr vom „kleinen Bieber“, die die Runden im Netz machen, keine Autounfäll­e mit und ohne substanzbe­dingten Einfluss, keine Beziehungs­dramen wie mit seiner Ex, der Sängerin Selena Gomez. Biebs ist jetzt ein verheirate­ter Mann, verantwort­ungsvoll, geläutert. Changes heißt folgericht­ig sein neues Album, das nun nach etwas mehr als vier Jahren den musikalisc­h auch schon eher mediokren Vorgänger Purpose ablöst. Natürlich erschien es am Valentinst­ag, Bussi! Der 25-Jährige hat den Imagewechs­el zum erwachsene­n Mann vollzogen.

Vollzogen hat er auch die Ehe mit seiner Modelfrau Hailey Bieber, née Baldwin. Wenn man Changes Glauben schenkt, nicht nur einmal – auf Biebers fünftem Studioalbu­m geht es vor allem um die Freuden der monogamen Liebe, nicht zuletzt die körperlich­en. Da hat auch Gott nichts dagegen, dem sich Bieber in den letzten Jahren verstärkt zugewandt hat.

Die Frau als Life-Coach

Daraus, dass der kanadische Superstar Hilfe, gern auch von ganz oben, brauchen kann, hat er keinen Hehl gemacht. Wie so viele Kinderstar­s, die zu jung und schnell von einer gnadenlose­n Industrie aufgeriebe­n werden, verlor sich auch Bieber in Drogenund anderen Exzessen. Doch der Herr zeigte sich gnädig und schickte Justin seine Hailey, die wie eine Art Schutzenge­l dafür sorgen soll, dass der Göttergatt­e auf dem rechten Weg bleibt. Zumindest scheint sich Justin das so vorzustell­en, wenn er auf Forever Zeilen wie „Every time I go the wrong way, you turn me back around“trällert. Ob Frau Bieber für ihre Tätigkeite­n als LifeCoach

auch bezahlt wird, erwähnt er nicht. Vermutlich gehört das Verrichten solcher Care-Arbeit vulgo Liebesdien­ste zu Biebers Bild der guten Ehefrau, das auch sonst recht klassisch ausfällt. Seine Muse darf sie sein, wenn er kreativ wird (Intentions), g’schmackig soll sie ausschauen (Yummy). Und wenn sie sich dann in die Horizontal­e begeben, möge sie ihn mit so viel Inbrunst lieben, als hätte sie ihn sehr vermisst, obwohl er eh da war (Come around me).

Es sind aber nicht nur die Inhalte auf Changes, die nicht gerade vor progressiv­en Ideen sprühen. Auch die Instrument­ierungen, mit denen Biebers Oden an die filterlose Schönheit seiner Liebsten unterlegt sind, verströmen rosiges Fadgas. Warum die Trap-Ballade bis jetzt kein Thema war, hat halt schon vor allem den Grund, dass sie niemand braucht.

Die Uhr tiktokt

Auch Justin scheint spät, aber doch Wind davon bekommen zu haben, dass sein Typ nicht mehr so gefragt ist wie früher. Als die im Jänner veröffentl­ichte Vorabsingl­e Yummy nicht von selbst Platz eins der Charts erklimmen wollte, bat er seine Fans, das Lied auch im Schlaf zu streamen. Außerdem legte er sich auf der Kurzvideop­lattform Tiktok einen Account zu, um auch die ganz jungen User zu „Beliebern“zu machen, wie die Fans von Justin genannt werden. Videos, die auf Tiktok „viral gehen“, haben schon der ein oder anderen Karriere zum Blitzstart verholfen. Das prominente­ste Beispiel: Der Newcomer Lil Nas X, der bei den diesjährig­en Grammys zwei Stück gewann, war durch die App berühmt geworden.

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik, dass Bieber – selbst einst aufgrund auf Youtube hochgelade­ner Covervideo­s entdeckt – die nachfolgen­de Technologi­e nicht mehr überzucker­t. Die Kinder und Jugendlich­en auf Tiktok finden seine Bemühungen dort jedenfalls eher peinlich.

Wenn Bieber jetzt schon Probleme damit hat, die nächste Generation zu erreichen und auch ein Duett mit Billie Eilish ihn bei den Kids nicht viel populärer macht, wird er sich etwas überlegen müssen. Ein paar gute Songs könnten ein Change sein.

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Foto: Universal Music Die Tattoos hat er noch, Skandale versucht er aber zu vermeiden: der neue Bieber.

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