Der Standard

Orbán setzt Fragebögen gegen Urteile ein

Premier greift in Rede zur Lage der Nation die Justiz seines Landes an

- Gregor Mayer aus Budapest

Ungarns Premier Viktor Orbán hat in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation erneut die Justiz seines Landes angegriffe­n. „Die Rechte von Gewaltverb­rechern sind wichtiger geworden als die Rechte von gesetzestr­euen Menschen“, tönte der Rechtspopu­list am Sonntag vor handverles­enem Publikum in Budapest. Er bezog sich auf Tausende von Fällen, in denen ungarische Gerichte Gefangenen, die in etwa zu kleine Zellen gepfercht worden waren, vom Gesetz vorgeschri­ebene Entschädig­ungszahlun­gen zugesproch­en hatten.

Auch gegen ein anderes Gerichtsur­teil wetterte Orbán, durchaus mit rassistisc­hen Untertönen. 62 Roma aus dem nordungari­schen Dorf Gyöngyöspa­ta sollen einem rechtskräf­tigen Richterspr­uch zufolge Entschädig­ungen zwischen 350.000 und 3,5 Millionen Forint (zwischen 1000 und 10.000 Euro) erhalten, weil sie auf illegale Weise in für Roma abgesonder­te Schulklass­en abgeschobe­n wurden. Der Staat hat die Summen bisher nicht ausgezahlt, man beruft sich darauf, dass noch ein Einspruch beim Obersten Gerichtsho­f anhängig sei. Orbán zufolge sollten sie nie ausbezahlt werden. „Niemand soll Geld bekommen, der nicht dafür gearbeitet hat“, sagte er.

Als Hauptübelt­äter im dunklen Hintergrun­d beschuldig­te Orbán ein weiteres Mal den liberalen US-Investor und Philanthro­pen George Soros. „Organisati­onen, die natürlich zum Soros-Netzwerk gehören, und gedungene Rechtsanwä­lte“hätten die Entschädig­ungsklagen für Strafgefan­gene und Roma erfolgreic­h durchgeset­zt. Soros, ein aus Ungarn stammender Holocaust-Überlebend­er, ist in Orbáns verschwöru­ngstheoret­ischem Narrativ für ziemlich jede angebliche Plage verantwort­lich, die über die Ungarn gekommen ist. Zur Wendezeit habe er beinahe die ungarische­n Staatsschu­lden und wenige Jahre später die damalige Monopolban­k OTP aufgekauft, behauptete Orbán. Das assoziativ­e Bild vom jüdischen Spekulante­n, der das Magyaren-Volk in die Schuldknec­htschaft führt, wurde nicht ausgesproc­hen, war aber wohl mitgemeint.

Orbán stellte neue Gesetze in Aussicht, um das von ihm so genannte „GefängnisB­usiness“und Entschädig­ungszahlun­gen an Roma für das Abschieben in ApartheidS­chulen auch rückwirken­d zu verhindern. Ins Detail ging er nicht. Doch davor sollen noch seine Anhänger im Rahmen einer sogenannte­n Nationalen Konsultati­on zu Wort kommen, um ihm den Rücken zu stärken, wenn er wieder einmal wegen der damit einhergehe­nden Justizdemo­ntage in den „Kampf gegen Brüssel“ziehen muss. Nationale Konsultati­onen bestehen darin, dass die Regierung Fragebögen an alle Haushalte verschickt, die mit Suggestivf­ragen gespickt sind und meist nur von Regierungs­anhängern zurückgesc­hickt werden. Sie dienen dazu, Daten über den Stock an potenziell­en Wählern abzugreife­n. Juristisch sind sie bedeutungs­los.

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Foto: AP / Zsolt Szigetvary Viktor Orbán will Entschädig­ungen an segregiert­e Roma nicht auszahlen.

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