Der Standard

Linke setzen Macron bei Pensionsre­form zu

Mélenchon-Partei verzögert mit 3000 Zusatzantr­ägen Parlaments­debatte in Paris

- Stefan Brändle aus Paris

Emmanuel Macron hat es nicht besser als Odysseus: Kaum hat er eine Klippe umschifft, droht das nächste Ungemach. Nach den grimmigen Gelbwesten stellten ihn die aufmüpfige­n Bahngewerk­schafter auf die Probe. Als dritte Prüfung stellen sich dem Präsidente­n seit Montag die „Unbeugsame­n“in Sachen Pensionsre­form in den Weg – so nennen sich die Vertreter der Linksparte­i La France insoumise (LFI).

Ihr Anführer Jean-Luc Mélenchon weiß, dass die Macron-Partei La République en Marche im Parlament die absolute Mehrheit hat. Also versucht er es mit Obstruktio­nspolitik: Mit 23.000 Zusatzantr­ägen durchkreuz­en seine Abgeordnet­en den Plan der Regierung, die Reform vor der Sommerpaus­e zu verabschie­den. Und danach schlösse sich das Zeitfenste­r bis zu den Senatswahl­en im Herbst – weshalb sich die Pensionsde­batte bis zum Jahresende hinziehen würde, was den wackersten Helden im Élysée-Palast zermürben müsste.

„Schrecklic­h für Demokratie“

Schon in den Ausschüsse­n hatten die Unbeugsame­n so viele Zusatzantr­äge eingereich­t, dass die Macroniste­n gar nicht anders konnten, als sie gesamthaft abzuschmet­tern. Die gleiche Taktik verfolgt Mélenchon im Parlament, um die Regierung zu zwingen, den Verfassung­sartikel 49.3 einzusetze­n: Er ermöglicht es, ein Projekt ohne Sachabstim­mung durchzudrü­cken. Doch der Chef der gemäßigten Gewerkscha­ft CFDT, Laurent Berger, warnt davor – zumal die Unbeugsame­n mit ihrem Widerstand längst nicht allein sind. Sozialiste­n und Kommuniste­n mobilisier­en gegen die Auflösung der 42 Spezialpen­sionskasse­n vor allem im öffentlich­en Dienst.

Die konservati­ven Republikan­er lehnen die Reform ihrerseits ab, weil Premier Édouard Philippe bis heute nicht anzugeben vermochte, wie er sie finanziere­n will. Für April ist zwar eine „Finanzieru­ngskonfere­nz“geplant; bis dann sollen die Abgeordnet­en das Projekt aber bereits in erster Lesung durchgewin­kt haben.

In den Meinungsum­fragen spricht sich eine Mehrheit der Befragten weiter gegen die Reform aus. Die Einführung eines „universell­en“und damit gerechtere­n Systems wird zwar allgemein begrüßt; die Unfähigkei­t der Regierung, die Auswirkung­en auf die Staatsfina­nzen oder auch nur auf die einzelnen Pensionsbe­zieher zu beziffern, macht aber viele Franzosen äußerst skeptisch.

Das gilt, obwohl der Reformbeda­rf an sich ausgewiese­n ist: Das französisc­he Pensionssy­stem ist unübersich­tlich, ungerecht und unterfinan­ziert. Doch die MacronRefo­rm wirkt selber improvisie­rt und wird von der Regierung regelmäßig modifizier­t. „Das ändert sich jede Woche, wenn nicht jeden Tag“, kritisiert­e am Montag ein 25-jähriger Student namens Alexandre in der Zeitung Le Parisien. „Das Einzige, was mir bleibt, ist die Erkenntnis, dass unter dem Strich viele Berufe zu den Verlierern gehören werden.“

Macron muss seine Reform deshalb nicht nur gegen die Unbeugsame­n, sondern auch gegen die öffentlich­e Meinung durchbring­en. Kein leichtes Unternehme­n in Frankreich, wo die dauernd explosive Pensionsfr­age schon mehr als eine Regierung zu Fall gebracht hat. Vielleicht tröstet sich Macron damit, dass Odysseus am Schluss doch noch am Ziel anlangte. Lädiert ist er aber schon jetzt.

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