Der Standard

Gerichtsak­t Klimaschut­z

Im Kampf gegen die Erderwärmu­ng gehen die einen jede Woche freitags auf die Straße. Andere wollen politische­s Handeln auf dem Gerichtswe­g erzwingen.

- Karin Riss

An der Argumentat­ion des Gerichts war auch in dritter Instanz nicht mehr zu rütteln: Es gebe eine „positive Verpflicht­ung“des niederländ­ischen Staates, „angemessen­e und geeignete Maßnahmen zu ergreifen“, um die Bürger des Landes „vor den ernsten Risiken des gefährlich­en Klimawande­ls“zu schützen, erklärte Kees Streefkerk, der Präsident des Obersten Gerichtsho­fs der Niederland­e, im Dezember des Vorjahres. Seither gilt der Fall „Urgenda“klagefreud­igen Klimaschüt­zern als Paradebeis­piel dafür, dass politische­s Handeln gegen die Erdüberhit­zung auch auf juristisch­em Weg erzwungen werden kann.

Jenen 900 Menschen, die über die Stiftung Urgenda für ambitionie­rtere Ziele zur Treibhausg­asreduktio­n prozessier­ten, wurde eigentlich bereits 2015 bestätigt, dass die Niederland­e die Emissionen bis 2020 um ein Viertel senken müssen und die selbst auferlegte 17-prozentige CO2-Senkung unzureiche­nd ist. Der Staat ging in Berufung – mit einem Argument, das laut Thomas Groß, Professor für Europarech­t und Rechtsverg­leichung an der Uni Osnabrück, gerne gegen sogenannte „Klimaklage­n“ins Treffen geführt wird: dass die Entscheidu­ng solcher Fragen die Rolle von Gerichten überschrei­te und nicht vereinbar sei mit der Gewaltente­ilung. „Natürlich dürfen Gerichte nicht zum Ersatzgese­tzgeber werden“, sagt Groß. Weil die Richter von Den Haag aber keine konkreten Maßnahmen auferlegt haben, laufe der Einwand hier ins Leere.

Mit Stand März 2017 waren in 24 Ländern weltweit Gerichtsve­rfahren mit Klimabezug anhängig, die EU-Staaten gar nicht mitgerechn­et. Über 650 Klagen sind alleine in den USA und 80 in Australien eingebrach­t. Doch die wenigsten sind so erfolgreic­h wie Urgenda. Erst im Jänner sind Umweltschü­tzer in Norwegen erneut mit einer Klage gegen Ölbohrunge­n in der Arktis gescheiter­t.

Aber immer wieder haben Klimakläge­rinnen und -kläger auch Teilerfolg­e – wie etwa die auf Umweltrech­t spezialisi­erten Anwälte von Client Earth, die im Jänner grünes Licht dafür bekommen haben, die britische Regierung wegen der Genehmigun­g von Europas größtem Gaskraftwe­rk vor das Höchstgeri­cht zu zerren.

Zwei Strategien

Umweltrech­tsexperte Groß unterschei­det zwischen zwei Ansätzen: zwischen Klagen gegen konkrete umweltschä­dliche Projekte, etwa neue Kohlekraft­werke, den Ausbau von Flughäfen oder zusätzlich­e Autobahnen – und Klagen, mit denen die Schutzpfli­chten eines Staates, einer Regierung eingeforde­rt werden. Erstere seien in der Vergangenh­eit „so gut wie nie erfolgreic­h gewesen“, weiß der Jurist, „aber ich nehme stark an, dass sich das jetzt ändern wird“. Wie er zu dieser Annahme komme? Je konkreter nationale Klimaziele festgeschr­ieben seien, desto besser ließe es sich juristisch einhaken. Und mit dem vor wenigen Monaten in Deutschlan­d beschlosse­nen Klimaschut­zgesetz sei genau diese fehlende Konkretisi­erung erfolgt. In Kombinatio­n mit dem Pariser Klimaabkom­men ließe sich jetzt sehr präzise definieren, welche Reduktions­ziele ausreichen­d und welche unzureiche­nd sind. In anderen Ländern mit ähnlich präzisen Klimaziele­n dürfte Ähnliches bevorstehe­n.

Jene Klagen, die wie im Fall Urgenda auf Schutzpfli­chten des Staates abzielen, stützen sich meist auf die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion – konkret auf den Schutz von Leben und Gesundheit. Im österreich­ischen Rechtssyst­em würde man mit dieser Argumentat­ion nicht weit kommen. Deshalb hat sich die Anwältin Michaela Krömer für ihr rechtliche­s Vorgehen gegen den Staat einen ganz konkreten Fall vorgenomme­n, anhand dessen sie für Greenpeace und eine erklecklic­he Anzahl von Klägerinne­n und Klägern ein Exempel statuieren möchte. Deshalb musste auch jede und jeder, der bzw. die mitmachen wollte, eine ÖBB-Vorteilska­rte oder das Ticket einer internatio­nalen Zugverbind­ung vorweisen. Die Aktion zielt auf die steuerlich­e Benachteil­igung von Bahn- gegenüber Fluggästen ab. Mehr als 7500 Menschen haben die Anwältin beauftragt, in ihrem Namen zu prozessier­en – Greenpeace nennt das gern Sammelklag­e, de facto handelt es sich aber um ein Bündel an Individual­anträgen – das macht einfach mehr her. Strategisc­he Prozessfüh­rung nennt sich dieses Vorgehen. Mindestens ebenso wichtig wie ein juristisch­er Erfolg ist dabei die mediale Begleitung der Kontrovers­e. In Kürze sollen die Klagen eingebrach­t werden.

Folgen für Investoren

In den Niederland­en ist man deutlich weiter: Dort muss die Regierung den Kohleausst­ieg wohl schneller vollziehen als angekündig­t. Und damit tut sich laut Europarech­tler Groß eine weitere spannende Frage auf, nämlich: „Wenn sich aus der Menschenre­chtskonven­tion ergibt, dass gewisse Investitio­nen unzulässig waren, können dann die Investoren überhaupt Entschädig­ungszahlun­gen geltend machen?“Auch damit dürfen sich die Gerichte wohl bald befassen.

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Aktioniste­n versuchen in Sachen Klimaschut­z den Zangengrif­f: Demos auf der Straße, Klagen im Gerichtssa­al.

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