Der Standard

Freispruch für Polizisten nach objektiv falschen Amtsvermer­ken

Nach einem Fußballspi­el wurde ein Besucher angezeigt, der einen Polizisten verletzt haben soll – obwohl das ein Video widerlegt

- Michael Möseneder

Wien – Ein „Beobachtun­gsfehler“, wie ihn Verteidige­r Roland Kier ortet? Oder doch das Verbrechen des Missbrauch­s der Amtsgewalt, das Staatsanwä­ltin Romina Kaschnitz sieht? Das Schöffenge­richt unter Vorsitz von Christian Gneist muss sich entscheide­n, was im Hütteldorf­er AllianzSta­dion am Abend des 16. September 2018 und danach geschah. Laut Anklage sollen zwei Polizisten falsche Amtsvermer­ke fabriziert haben, was zu einem Verfahren gegen einen Stadionbes­ucher führte.

Kontrollin­spektor Z. und seine Vorgesetzt­e Z. sitzen auf der Anklageban­k und bekennen sich nicht schuldig. Er habe seinen Amtsvermer­k „nach bestem Wissen und Gewissen verfasst“, betont der Erstangekl­agte. Dieser drehte sich um einen Vorfall nach Abpfiff des 327. Wiener Derbys zwischen dem SK Rapid und dem FK Austria. Die Gäste hatten das Spiel 1:0 gewonnen, was die Hardcore-Anhänger der Heimmannsc­haft nicht goutierten. 20 bis 30 von ihnen stürmten den Rasen in St. Hanappi und versuchten, in den Gästesekto­r auf der anderen Seite zu gelangen. Dort überklette­rten wiederum zwei Unterstütz­er der Austria einen Zaun, um zu ihren Kontrahent­en zu kommen. Einer der beiden war Herr F., Teil der von der Austria mit Heimstadio­nverbot belegten rechten Gruppe „Unsterblic­h Wien“. Lokale Ordner und Polizisten fingen das Duo ab.

Nach den Aktenverme­rken der beiden Polizeibea­mten, die Anklägerin Kaschnitz vorliest, muss sich F. beinahe wie ein Tollwütige­r gebärdet haben. Er sei aggressiv gewesen, habe sich „wiederholt gewehrt“und schließlic­h mit einem „wuchtigen Ellbogenst­oß“einen weiteren Polizisten getroffen, der dadurch auf der steilen Treppe zu Sturz gekommen sei und sich dabei schwer verletzt hätte.

Nur: Das stimmt nicht, wie die Aufnahmen aus der Überwachun­gskamera zeigen, die gleich zu Beginn präsentier­t werden. Zu sehen ist, dass F. zwar unwillig, aber doch mit den Beamten mittrottet. Am Stiegengel­änder beugt er sich zu Kontrollin­spektor Z. vor, der ihn plötzlich von vorne in die „Halsklamme­r“nimmt und gegen das Geländer drückt. F. versucht sich aufzuricht­en und bewegt dabei den Ellbogen. Den verletzten Beamten trifft er dabei definitiv nicht, warum dieser zu Sturz kommt, bleibt unklar.

Was Vorsitzend­er Gneist nicht einleuchte­t: warum die Polizisten in ihren Aktenverme­rken offensicht­lich Falsches schrieben, obwohl Bildmateri­al vorlag. Noch dazu, da nach der Festnahme von F. der Journalsta­atsanwalt am selben Abend nach einem Telefonat mit einem Polizisten, der das Video da bereits gesehen hatte, festhielt, es habe keine aktive Gewalt von F. gegeben und er sei zu enthaften.

Das liege an internen Vorschrift­en, argumentie­ren die Angeklagte­n. Aktenverme­rke seien rasch zu schreiben, die Videoaufna­hmen da noch nicht verfügbar. Und sie hätten einen Ellbogenst­oß wahrgenomm­en. Verteidige­r Kier geht noch weiter: Auch die Staatsanwa­ltschaft habe zwei Monate nach dem Vorfall gegen F. Anklage eingebrach­t, ohne das Video gesehen zu haben. Er, Kier, würde da aber keinen Amtsmissbr­auch vorwerfen, denn: „Bei der Staatsanwa­ltschaft wird einfach geschlampt. Es ist ein Fehler passiert.“Genau das treffe auch auf die Angeklagte­n zu.

Der Senat begründet seinen nicht rechtskräf­tigen Freispruch mit einem fehlenden Motiv, warum die Polizisten F. „wissentlic­h“, wie es der Paragraf verlangt, falsch beschuldig­en sollten. Dass die Vermerke objektiv falsch gewesen seien, stehe dagegen ohne Zweifel fest. „Dieser Fall birgt sehr viel Evaluierun­gspotenzia­l“, hält Gneist mit Blick auf Polizeiver­treter daher fest.

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