Der Standard

Lange Verhandlun­gen um kürzere Arbeit

Wie kann man die Arbeitsbed­ingungen in der Pflege- und Sozialbran­che attraktivi­eren? Warum Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften für die Antwort auf diese Frage so lange brauchen.

- FRAGE & ANTWORT: Tobias Kachelmeie­r

Frage: Warum sind die Kollektivv­ertragsver­handlungen in der Sozialwirt­schaft besonders schwierig? Antwort: Die langwierig­en Verhandlun­gen sind keine Ausnahme. Bereits vergangene­s Jahr benötigte man in der Branche sechs Runden, um zu einem Ergebnis zu kommen. Der größte Zankapfel ist die 35-Stunden-Woche, deren Einführung die Gewerkscha­ften GPA und Vida seit fünf Jahren fordern. Die Arbeitgebe­rseite – der Verband der Sozial- und Gesundheit­sunternehm­en (SWÖ) – lehnt das seit jeher kategorisc­h ab.

Frage: Wer ist vom Kollektivv­ertrag betroffen?

Antwort: Rund 125.000 Beschäftig­te der privaten Pflege- und Sozialbran­che, die in Organisati­onen wie der Volkshilfe und der Diakonie angestellt sind. Diese arbeiten nicht nur in der Altenpfleg­e, sondern auch in der Drogensuch­tberatung und der Nachmittag­sbetreuung von Schulkinde­rn.

Frage: Was will die Gewerkscha­ft? Antwort: Die Gewerkscha­ften beklagen die schlechten Arbeitsbed­ingungen. Emotionale Schwerstar­beit, psychische Gesundheit, familiäre Pflichten – das sei mit einem schlechtbe­zahlten Vollzeitjo­b nicht vereinbar.

Frage: Mit welchen Argumenten halten die Arbeitgebe­r dagegen? Antwort: Die SWÖ verweist vor allem auf den Fachkräfte­mangel, der durch die Arbeitszei­tverkürzun­g noch verschärft würde. Mit Gewinnmarg­en, die gegen null gehen, sei die Umsetzung einer 35Stunden-Woche auch finanziell ein schwierige­s Unterfange­n.

Frage: Ist die 35-Stundenwoc­he ökonomisch sinnvoll?

Antwort: Darüber scheiden sich die Geister. Studien bestätigen zwar, dass durch Arbeitszei­tverkürzun­gen Produktivi­tätszuwäch­se entstehen, diese den Lohnkosten­anstieg aber nicht ausgleiche­n können. Frankreich liefert einen Präzedenzf­all: Dort belaufen sich die Kosten seit der schrittwei­sen Einführung der 35Stunden-Woche laut Analyse des

Pariser OFCE-Instituts auf 0,15 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Die Arbeitszei­tverkürzun­g hatte aber auch positive Effekte auf das Steueraufk­ommen und die Beschäftig­ungszahlen.

Frage: Geht es nur um die 35-Stunden-Woche?

Antwort: Nur indirekt. 70 Prozent der Beschäftig­ten in der Pflegeund Sozialbran­che sind Teilzeitan­gestellte. Sie würden von der Arbeitszei­tverkürzun­g vor allem durch höhere Löhne profitiere­n. Das Mehr als Freizeit wird zudem als Ausgleich für die psychische­n Belastunge­n im Berufsallt­ag gesehen. Die Forderunge­n der Arbeitnehm­er hängen aber nicht zwingend nur an der 35-Stunden-Woche: Generell gesagt, geht es ihnen um ein attraktive­res Arbeitsumf­eld, Respekt und Anerkennun­g.

Frage: Mit welchem Ergebnis kann die Arbeitgebe­rseite zufrieden sein? Antwort: Wenn das „Schreckens­gespenst“der 35-Stunden-Woche verhindert wird. Die SWÖ will nicht zum Türöffner für Arbeitszei­tverkürzun­gen in anderen österreich­ischen Branchen werden. Die Befürchtun­g, dass dies passieren könnte, kommt vor allem vonseiten der Wirtschaft­skammer.

Frage: Mit welchem Ergebnis können die Arbeitnehm­er zufrieden sein? Antwort: Jeder Schritt in Richtung Arbeitszei­tverkürzun­g kann von GPA und Vida als Verhandlun­gserfolg verkauft werden. Die Gewerkscha­ften spielen letztendli­ch ein Geduldsspi­el, in dem sie den Druck auf die Arbeitgebe­r jedes Jahr erhöhen. Jedes Zugeständn­is der Arbeitgebe­r ist ein Meilenstei­n auf dem Weg zur 35-Stunden-Woche, so die Hoffnung.

Frage: Wäre das Thema mit einer Einigung gegessen?

Antwort: Nein. Zu Redaktions­schluss waren die Ergebnisse der montäglich­en Verhandlun­gsrunde noch nicht bekannt, aber: Unabhängig davon, ob Kompromiss oder nicht, wird das Thema Politik, Unternehme­n, Arbeitnehm­er und die gesamte Gesellscha­ft wohl noch Jahrzehnte begleiten.

Der Rechnungsh­of verweist darauf, dass Österreich auf die wachsenden Probleme in der Pflege schlecht vorbereite­t ist.

Frage: Wo liegt das Problem? Antwort: Beim Thema „Arbeitsbed­ingungen in der Pflege“hängt vieles am vielzitier­ten Fachkräfte­mangel: Der Personalbe­darf durch Absolvente­n ist etwa nur bis 2024 gedeckt. In gewisser Weise ergibt sich ein Henne-Ei-Problem: Die Gewerkscha­ften argumentie­ren, dass man den Fachkräfte­mangel nur durch eine Attraktivi­erung des Arbeitsumf­elds beheben kann. Die Arbeitnehm­er sind der Meinung, man könne nicht dafür sorgen, solange der Fachkräfte­mangel besteht. Finanziert werden Volkshilfe und Co letztendli­ch vom Bund und den Gemeinden. Der Staat will der Bevölkerun­g aber nicht mehr Steuern aufhalsen. Ohne zusätzlich­es Geld wird es für die Arbeitgebe­r schwierig, bessere Arbeitsbed­ingungen zu schaffen. Und das befeuert wiederum den Fachkräfte­mangel.

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Für „Freizeit, Geld und Anerkennun­g“– und die 35-Stunden-Woche – demonstrie­rten die Arbeitnehm­er aus der Pflege- und Sozialbran­che in letzter Zeit.

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