Lange Verhandlungen um kürzere Arbeit
Wie kann man die Arbeitsbedingungen in der Pflege- und Sozialbranche attraktivieren? Warum Arbeitgeber und Gewerkschaften für die Antwort auf diese Frage so lange brauchen.
Frage: Warum sind die Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft besonders schwierig? Antwort: Die langwierigen Verhandlungen sind keine Ausnahme. Bereits vergangenes Jahr benötigte man in der Branche sechs Runden, um zu einem Ergebnis zu kommen. Der größte Zankapfel ist die 35-Stunden-Woche, deren Einführung die Gewerkschaften GPA und Vida seit fünf Jahren fordern. Die Arbeitgeberseite – der Verband der Sozial- und Gesundheitsunternehmen (SWÖ) – lehnt das seit jeher kategorisch ab.
Frage: Wer ist vom Kollektivvertrag betroffen?
Antwort: Rund 125.000 Beschäftigte der privaten Pflege- und Sozialbranche, die in Organisationen wie der Volkshilfe und der Diakonie angestellt sind. Diese arbeiten nicht nur in der Altenpflege, sondern auch in der Drogensuchtberatung und der Nachmittagsbetreuung von Schulkindern.
Frage: Was will die Gewerkschaft? Antwort: Die Gewerkschaften beklagen die schlechten Arbeitsbedingungen. Emotionale Schwerstarbeit, psychische Gesundheit, familiäre Pflichten – das sei mit einem schlechtbezahlten Vollzeitjob nicht vereinbar.
Frage: Mit welchen Argumenten halten die Arbeitgeber dagegen? Antwort: Die SWÖ verweist vor allem auf den Fachkräftemangel, der durch die Arbeitszeitverkürzung noch verschärft würde. Mit Gewinnmargen, die gegen null gehen, sei die Umsetzung einer 35Stunden-Woche auch finanziell ein schwieriges Unterfangen.
Frage: Ist die 35-Stundenwoche ökonomisch sinnvoll?
Antwort: Darüber scheiden sich die Geister. Studien bestätigen zwar, dass durch Arbeitszeitverkürzungen Produktivitätszuwächse entstehen, diese den Lohnkostenanstieg aber nicht ausgleichen können. Frankreich liefert einen Präzedenzfall: Dort belaufen sich die Kosten seit der schrittweisen Einführung der 35Stunden-Woche laut Analyse des
Pariser OFCE-Instituts auf 0,15 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Arbeitszeitverkürzung hatte aber auch positive Effekte auf das Steueraufkommen und die Beschäftigungszahlen.
Frage: Geht es nur um die 35-Stunden-Woche?
Antwort: Nur indirekt. 70 Prozent der Beschäftigten in der Pflegeund Sozialbranche sind Teilzeitangestellte. Sie würden von der Arbeitszeitverkürzung vor allem durch höhere Löhne profitieren. Das Mehr als Freizeit wird zudem als Ausgleich für die psychischen Belastungen im Berufsalltag gesehen. Die Forderungen der Arbeitnehmer hängen aber nicht zwingend nur an der 35-Stunden-Woche: Generell gesagt, geht es ihnen um ein attraktiveres Arbeitsumfeld, Respekt und Anerkennung.
Frage: Mit welchem Ergebnis kann die Arbeitgeberseite zufrieden sein? Antwort: Wenn das „Schreckensgespenst“der 35-Stunden-Woche verhindert wird. Die SWÖ will nicht zum Türöffner für Arbeitszeitverkürzungen in anderen österreichischen Branchen werden. Die Befürchtung, dass dies passieren könnte, kommt vor allem vonseiten der Wirtschaftskammer.
Frage: Mit welchem Ergebnis können die Arbeitnehmer zufrieden sein? Antwort: Jeder Schritt in Richtung Arbeitszeitverkürzung kann von GPA und Vida als Verhandlungserfolg verkauft werden. Die Gewerkschaften spielen letztendlich ein Geduldsspiel, in dem sie den Druck auf die Arbeitgeber jedes Jahr erhöhen. Jedes Zugeständnis der Arbeitgeber ist ein Meilenstein auf dem Weg zur 35-Stunden-Woche, so die Hoffnung.
Frage: Wäre das Thema mit einer Einigung gegessen?
Antwort: Nein. Zu Redaktionsschluss waren die Ergebnisse der montäglichen Verhandlungsrunde noch nicht bekannt, aber: Unabhängig davon, ob Kompromiss oder nicht, wird das Thema Politik, Unternehmen, Arbeitnehmer und die gesamte Gesellschaft wohl noch Jahrzehnte begleiten.
Der Rechnungshof verweist darauf, dass Österreich auf die wachsenden Probleme in der Pflege schlecht vorbereitet ist.
Frage: Wo liegt das Problem? Antwort: Beim Thema „Arbeitsbedingungen in der Pflege“hängt vieles am vielzitierten Fachkräftemangel: Der Personalbedarf durch Absolventen ist etwa nur bis 2024 gedeckt. In gewisser Weise ergibt sich ein Henne-Ei-Problem: Die Gewerkschaften argumentieren, dass man den Fachkräftemangel nur durch eine Attraktivierung des Arbeitsumfelds beheben kann. Die Arbeitnehmer sind der Meinung, man könne nicht dafür sorgen, solange der Fachkräftemangel besteht. Finanziert werden Volkshilfe und Co letztendlich vom Bund und den Gemeinden. Der Staat will der Bevölkerung aber nicht mehr Steuern aufhalsen. Ohne zusätzliches Geld wird es für die Arbeitgeber schwierig, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Und das befeuert wiederum den Fachkräftemangel.