Wenn Sandkistenfreunde Ramsch andrehen
Früher waren es Tupperware-Partys und Co, bei denen Vertriebler Produkte an Kunden brachten. Das Geschäftsmodell verschiebt sich immer mehr in soziale Medien – und birgt die Gefahr unseriöser Schneeballsysteme.
Kaum öffnet man das SocialMedia-Profil, poppt schon eine neue Nachricht des einstigen Volksschulfreundes auf. Kosmetikartikel, Proteinshake, Kleidung oder sogar Finanzberatung: Plötzlich wird der Messenger-Chat zu einem Marktplatz und man selbst – meist unfreiwillig – zum potenziellen Kunden. Und im Newsfeed werden stets „Erfahrungen“mit dem neuen, immerzu nach Angaben des oder der Bekannten großartigen Produkt geteilt. Multi-Level-Marketing (MLM), auch bekannt als NetworkMarketing oder einfach (MultiLevel-)Direktvertrieb, hat sich in den letzten Jahren vor allem in soziale Medien – Stichwort Facebook – verlagert. Das Konzept dahinter ist im Grunde ein Pyramidenspiel: Das Unternehmen rekrutiert Person A, um ein Produkt zu verkaufen. Das macht sie auch, zumindest teilweise, großteils aber rekrutiert sie Person B, C, D und E, damit diese selbst in den Vertrieb einsteigen. A verdient dann an deren Verkäufen anteilsmäßig mit. Und damit man überhaupt mitmachen kann, muss man häufig selbst Geld einzahlen, oft im Bereich von mehreren Hundert Euro.
Nicht immer seriös
Peter Krasser, Obmann des Gremiums Direktvertrieb der Wirtschaftskammer, erklärt auf Anfrage, dass nicht alle Firmen am Markt seriös sind. Erwägt man, über Direktvertrieb Geld zu verdienen, sollte man prüfen, ob die Firma einen Sitz in der EU hat, marktkonforme Preise verlangt und zugelassene Produkte anbietet. Sind Provisionen für das Anwerben neuer Mitglieder angedacht, dürfte es sich um ein Pyramidensystem handeln. Wird keine Gewerbeberechtigung verlangt, könnte man rechtliche Probleme bekommen. Bei seriösem MLM ginge es um den Verkauf des jeweiligen Produkts, bei Schneeballsystemen darum, so viele Personen wie möglich anzuwerben.
Im Bereich Direktvertrieb gibt es zwei Modelle, erklärt Krasser.
Das eine ist „Single Level“, also der ausschließlich direkte Verkauf, meist über Partys. „Bekanntestes Beispiel dabei ist wohl Tupperware, aber auch für Schmuck, Kerzen und Dessous finden solche Homepartys statt“, sagt er. Beim Multi-Level-Marketing dagegen wird ein Netzwerk aufgebaut. Bei seriösen Firmen verdient man laut einer im Branchenreport der Wirtschaftskammer veröffentlichten Studie nebenberuflich unversteuert im Schnitt 1035 Euro, hauptberuflich 6415 Euro monatlich. „Grundsätzlich möchte ich sagen, dass der Direktvertrieb ein normanun ler, seriöser Handelsweg ist und es daher keine anderen Richtlinien gibt als bei anderen Wirtschaftszweigen“, sagt Krasser. Daher sei der Vertrieb über soziale Medien zulässig, wenn die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und das Telekomgesetz eingehalten werden. „Dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, über Facebook Produkte zum Verkauf anzubieten, bezweifle ich“, sagt der Obmann. Eine Gewerbeberechtigung sei jedenfalls notwendig.
Der Vertrieb über soziale Medien, ein Trend, der sich vor allem in den USA entwickelt hat und auch Europa erreicht, bietet viele Vorzüge: Bei TupperwarePartys müssen die Händler ihre Kunden erst einmal besuchen, in sozialen Netzwerken sind Nutzer sowieso täglich unterwegs. Insgesamt hat das Gremium Direktvertrieb 20.818 Mitglieder, 75 Prozent davon weiblich. Die größten Unternehmen sind die Kosmetikhersteller Amway, Avon, Herbalife und der deutsche Hersteller Vorwerk. Tupperware findet sich an zehnter Stelle.
Christian Prantner, Mitarbeiter im Bereich Konsumentenpolitik bei der Arbeiterkammer Wien, erklärt MLM anhand des Beispiels Finanzvertrieb. Dieser sei besonders ausgeprägt: „Dass gerade Vertriebler auf Facebook setzen, ist nicht verwunderlich. Die billige Verbreitungsmöglichkeit über Facebooks Mechanismen – Teilen, Liken, Gruppen und so weiter – ist verlockend“, sagt Prantner. Die Berater bräuchten jedoch eigentlich eine Gewerbeberechtigung und müssten sich an gesetzliche Beratungs- und Werbestandards halten, etwa das Wertpapieraufsichtsgesetz. Zudem gebe es für Verträge, die im Internet abgeschlossen werden, Informationspflichten. Außerdem hätten Konsumenten weiterhin ein Rücktrittsrecht. „Das Internet macht den Vertrieb vielleicht einfacher und kostengünstiger, aber nicht zum rechtsfreien Raum.“
Vom Kunden zum Vertriebler
In Österreich habe es etwa 2019 einen wahrscheinlichen Betrugsfall mit einem Kryptowährungsmodell gegeben. „Vertriebler“hatten ein Kryptopaket auf Facebook verkauft. Als das aufflog, waren die Chats zum Teil verschwunden. „Das Problem: Wenn ,Verkaufsgespräche‘ mit Versprechen eines Vermittlers nicht nachvollziehbar sind, dann wird es mit der Haftung schwierig – denn ein Gericht braucht handfeste Aussagen, um falsche Informationen und Fehlberatung feststellen und bewerten zu können“, sagt Prantner.
Dadurch, dass beim MLM der Kunde zum Vertriebsorgan wird, entstehen Pyramiden. Häufig gibt es Provisionen für Anwerber und verkaufte Produkte. „Die Arbeiterkammer tritt für umfassende, kompetente Beratung im Finanzbereich ein – und nicht für MLM. Das brachte unzählige Problemfälle in der Vergangenheit“, sagt Prantner. Das neue Wertpapieraufsichtsgesetz habe einige Neuerungen gebracht, die den Konsumentenschutz bessern sollen. So werde etwa mehr Transparenz vor Vertragsabschluss vorgeschrieben – vor allem in Hinblick auf die Kosten.