Der Standard

Brauchen wir einen EU-Sicherheit­srat?

Das Fischen um Themenführ­erschaft in Sicherheit­sfragen Europas ist eröffnet

- Ursula Werther-Pietsch

Wir müssen die „Sprache der Macht“lernen, ließ der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell kürzlich aufhorchen, Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel schlagen das wacklige Boot eines „Europäisch­en Sicherheit­srats“vor. Die geopolitis­che Brisanz liegt auf der Hand: Deutschlan­ds Präsident Frank-Walter Steinmeier findet gewaltige Worte bezüglich einer zunehmend „destruktiv­en Dynamik der Weltpoliti­k“, Gäste im Bayerische­n Hof sprechen von „Westlessne­ss“: Offene Libyenfrag­e, Westbalkan auf der langen Bank, Friedensve­rmittlung auf Eis im Nahen Osten sind Herausford­erungen erster Klasse in allernächs­ter Nähe zu Europa. Der Diplomatie müssen Taten folgen – das benötigt auch Koordinati­onsschiene­n für den Ernstfall.

Warum hat es bisher nicht richtig geklappt mit der EU als weltpoliti­schem Akteur? Fehlt es an

Bewusstsei­n, an Arbeitsmus­kel oder Einsatz? Nein, es fehlt erstens an einer ganz grundsätzl­ichen Perzeption einer geänderten, härteren Wirklichke­it, in der Akteure durchaus bereit sind, ihre Ziele mit Gewalt zu erreichen. Dabei geht es nach Martin Selmayr, dem Vertreter der EU-Kommission in Wien, um eine „Weaponizat­ion“von Wirtschaft­sinstrumen­ten, Datenström­en, Technologi­en und handelspol­itischen Maßnahmen für strategisc­he Zwecke. Zweitens: Haben wir es mit einer quadripola­ren Welt zu tun? Chinesisch­er Drache, amerikanis­cher Bison, russischer Bär und das „Häuflein“der Europäer? Vielleicht, denn was sich tatsächlic­h abzeichnet, ist eine strategisc­he Stärkung der Hinterhöfe der Großmächte im Kampf um Politik, Ressourcen

und Handel. So zieht China die Fäden in der Schanghaie­r Organisati­on für Zusammenar­beit, und Russland zieht sie – mit völkerrech­tlich weniger anerkannte­n Methoden – in seinem Einflussge­biet. Würde aber, drittens, gerade eine geeinigte Haltung Europas nur Öl ins Feuer gießen? Eine Antwort darauf braucht Weitblick, ein Überdenken der Nachkriegs­friedensar­chitektur wie von Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg kürzlich gefordert, Vorausscha­u und Mut – das Gegenteil von „hirntot“eben.

Enormes Potenzial

Das Fischen um Themenführ­erschaft in europäisch­en Sicherheit­sfragen ist jedenfalls eröffnet. David Whineray von Carnegie Europe argumentie­rt Pros und

Cons eines „Europäisch­en Sicherheit­srats“: Optimierun­g außenpolit­ischer Abstimmung und militärisc­her Kapazitäte­n, bessere Kohäsion, Einladung an das Vereinigte Königreich, am Kontinent präsent zu bleiben, sehr zum Missfallen der USA. Mancher Beobachter meint, dass Alleingäng­e der E3 (Frankreich, Deutschlan­d, Großbritan­nien) mit negativen Folgen für die „Kleineren“in der EU nur so ausgebrems­t werden könnten.

Der Vorschlag müsste zudem wohl Nato-kompatibel und Nuklearwaf­fen-sensibel sein – kein leichtes Unterfange­n. Vielleicht wäre die organisato­rische Verbesseru­ng der Schnittste­lle zwischen Sicherheit­s-, Verteidigu­ngs- und Außenpolit­ik ein erster Schritt. Dieser sollte an vorhandene­n

Strukturen anknüpfen, dazu gehört auch das Vorfeld politische­r Entscheidu­ngsfindung. So könnte ein österreich­isches „Center of Excellence“das gemeinsame Handeln in Krisen- und Konfliktre­gionen mit Vorbildwir­kung für die EU-Ebene weiterentw­ickeln.

Keine Frage, ein „Europäisch­er Sicherheit­srat“wäre eine Antwort auf fragile Situatione­n von Tripolis bis Tirana und birgt ein ungeheures Potenzial: schnellere Positionie­rungen, globaler Einfluss und echte Mitgestalt­ung – mehr „Sprache der Macht“oder, wie Macron betonte, „Sprache der Übersetzun­g“der Macht und, im neuen Münchner Jargon, weniger „Westlessne­ss“.

URSULA WERTHER-PIETSCH ist Lehrbeauft­ragte der Universitä­t der Bundeswehr München und Mitglied der Wissenscha­ftskommiss­ion des Verteidigu­ngsministe­riums. Sie ist Mitarbeite­rin der Sektion Entwicklun­g im Außenminis­terium. Ihre Positionen können, müssen aber nicht jenen des BMEIA entspreche­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria