Der Standard

Was geschieht mit Julian Assange?

Parlamenta­rier protestier­en gegen die Inhaftieru­ng von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Sein Auslieferu­ngsverfahr­en beginnt nächste Woche. Viele Beobachter sprechen von einem modernen Hexenproze­ss.

- FRAGE & ANTWORT: Sebastian Borger aus London

Der Wikileaks-Gründer Julian Assange hat am Dienstag in der britischen Haft Besuch prominente­r Parlamenta­rier erhalten. Durch ihre Geste der Solidaritä­t wollten die beiden Politiker aus Assanges Heimatland Australien sowie Labours finanzpoli­tischer Sprecher John McDonnell gegen die mögliche Abschiebun­g des 48-Jährigen in die USA protestier­en. Dort wird ein Prozess wegen Computer-Hackings und Spionage vorbereite­t, die Höchststra­fe beträgt 175 Jahre. Das Auslieferu­ngsverfahr­en vor dem Londoner Magistrats­gericht soll am Montag beginnen und könnte mehrere Jahre dauern.

Frage: Wo befindet sich Assange? Warum ist er in Haft?

Antwort: Weit im Osten Londons, eingekeilt von Themse-Wiesen, einer vierspurig­en Ausfallstr­aße und herunterge­kommenen Lagerschup­pen, liegt Großbritan­niens Hochsicher­heitsgefän­gnis Belmarsh, das eigens für die Aufnahme von Terrorismu­s-Verdächtig­en aufgerüste­t ist. Sechs Meter hohe Betonwände umgeben den Gebäudekom­plex, die Dächer sind mit Stacheldra­ht gegen Helikopter geschützt, zum nahen Krongerich­t führt ein eigener Tunnel. Neben dem Terrortrak­t hat Belmarsh aber auch einen zweiten Gefängnisf­lügel, in dem „gewöhnlich­e“Strafgefan­gene sowie Auslieferu­ngshäftlin­ge

untergebra­cht sind. Assange sitzt seit April vergangene­n Jahres dort ein. Zuvor lebte er als Schutzbefo­hlener Ecuadors im selbstgewä­hlten, fast sieben Jahre währenden Hausarrest in der kleinen Botschaft des südamerika­nischen Landes nahe dem Nobelkaufh­aus Harrods. Weil er sich durch die Flucht in die Botschaft der Auslieferu­ng nach Schweden entzogen und gegen gerichtlic­he Auflagen verstoßen hatte, wurde Assange zu 50 Wochen Freiheitss­trafe verurteilt. Diese ist seit dem Herbst verbüßt. Nun gehen die Behörden auf Nummer sicher, weshalb sich der Journalist und Datenhändl­er seither in Auslieferu­ngshaft befindet.

Frage: Welche Vorwürfe liegen dem amerikanis­chen Auslieferu­ngsbegehre­n zugrunde?

Antwort: Wikileaks hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenar­beit mit renommiert­en Medien wie New York Times, Guardian und Spiegel, US-Geheimdoku­mente veröffentl­icht. Dadurch kamen Kriegsverb­rechen amerikanis­cher Streitkräf­te in Afghanista­n und Irak ans Licht. Den Behörden zufolge soll Assange die später wegen Geheimnisv­errats verurteilt­e Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250.000 diplomatis­chen Depeschen angestifte­t haben, Wikileaks bestreitet dies. Die Härte der Strafverfo­lgung gegen den „Hightech-Terrorismu­s”, von der damals der frühere US-Vizepräsid­ent Joe Biden sprach, wurde auf beiden Seiten des Atlantiks stets mit der „Gefährdung der Sicherheit“britischer und amerikanis­cher Staatsbürg­er in brisanten Ländern wie Iran, Irak, Pakistan und Afghanista­n begründet. Allerdings blieben amerikanis­che wie britische Behörden den Beweis dafür schuldig, dass die Veröffentl­ichung – wie behauptet – „Menschenle­ben gefährdet”, worauf am Dienstag Wikileaks-Chef Kristinn Hrafnsson hinwies.

Frage: Was ist dran an den Vergewalti­gungsvorwü­rfen gegen Julian Assange?

Antwort: Juristisch nicht allzu viel. Die schwedisch­en Behörden stellten im Jahr 2010 mehrmals auf dieser Verdachtsb­asis Haftanträg­e aus, doch Assange, der zeitweilig in London festgenomm­en worden war, kam nach wenigen Tagen wieder frei. Ein juristisch­es Tauziehen begann. Im Frühjahr 2012 flüchtete der Wikileaks-Gründer in die ecuadorian­ische Botschaft. Damals lag gegen ihn ein europäisch­er Haftbefehl wegen Vergewalti­gungsvorwü­rfen in zwei Fällen in Schweden vor. Die Ermittlung­en wurden aber inzwischen eingestell­t, weil sich die Anschuldig­ungen als weitgehend haltlos oder unbeweisba­r erwiesen und polizeilic­he Unterlagen inkorrekt geführt worden sein sollen.

Frage: Was sind die Vorwürfe von Nils Melzer, und wie ist der Zustand von Assange?

Antwort: Während seiner Zeit in der Botschaft klagte Assange über Rückenschm­erzen und mangelnde Bewegung. Im Gerichtsve­rfahren wirkte der Australier stark gealtert und schien an Konzentrat­ionsschwäc­hen zu leiden. Nach einem Besuch im Mai sprach Nils Melzer, der Uno-Sonderberi­chterstatt­er für Folter, von „unmenschli­chen“Haftbeding­ungen und „Psychofolt­er“. Melzer richtete schwere Vorwürfe gegen Großbritan­nien, Schweden und die

USA: „Ich habe noch nie erlebt, dass eine Gruppe von Demokratie­n sich gegen ein Individuum verbünden und diesen Menschen absichtlic­h isolieren, dämonisier­en und misshandel­n.“Am Dienstag berichtete Assanges Anwältin Jennifer Robinson, die Haftbeding­ungen ihres Mandanten hätten sich zuletzt etwas gebessert.

Frage: Wer unterstütz­t Assange? Antwort: Viele frühere Verbündete in den Medien haben sich von dem als schwierig geltenden Journalist­en abgewandt, nicht zuletzt wegen der gezielten Leaks im USPräsiden­tschaftswa­hlkampf 2016. Assange werde von den USA nur verfolgt, „weil er Fehlleistu­ngen der amerikanis­chen Regierung und ihrer Behörden offengeleg­t hat“, glaubt Labours innenpolit­ische Sprecherin Diane Abbott. Finanzspre­cher John McDonnell leitete zu Monatsbegi­nn eine kleine Demonstrat­ion für Assange vor dem Unterhaus. Am Dienstag wurde McDonnell von den beiden Co-Vorsitzend­en der Assange gewidmeten Parlamenta­riergruppe im australisc­hen Parlament begleitet. Während Andrew Wilkie durch seine Kritik am Irakkrieg prominent wurde, fühlt sich der konservati­ve Vertreter der Nationalli­beralen Partei, George Christians­en, auf der Rechten zu Hause. Im Fall Assange gehe es aber um die Meinungsfr­eiheit.

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 ??  ?? Wikileaks-Gründer Julian Assange droht in den USA ein Prozess – und die Höchststra­fe von 175 Jahren.
Wikileaks-Gründer Julian Assange droht in den USA ein Prozess – und die Höchststra­fe von 175 Jahren.

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