Der Standard

Potenziale und Gefahren der Gen-Schere CRISPR

Das molekularb­iologische Werkzeug CRISPR/Cas9 hat ein enormes Potenzial für die Medizin. Doch die Gen-Editierung beim Menschen ist eine heikle Angelegenh­eit: Der Hoffnung auf Therapien für unheilbare Krankheite­n stehen Gefahren bei der Anwendung und große

- Tanja Traxler, David Rennert

Sie könnte der Schlüssel sein, um bislang unheilbare Krankheite­n zu kurieren. Sie könnte es aber auch möglich machen, Babys mit maßgeschne­iderten Genen im Labor zu zeugen. Kaum eine andere Entwicklun­g macht deutlicher, dass neue Technologi­en nie per se gut oder böse sind, wie die Gen-Schere CRISPR/Cas9. Mit jedem weiteren wissenscha­ftlichen Durchbruch im Bereich der Genom-Editierung stellt sich die Frage: Soll man Gene auf diese Weise verändern dürfen oder nicht?

Wissenscha­fter allein haben kein Mandat, sie zu beantworte­n. In Demokratie­n ist es eine Frage, die sich an die gesamte Gesellscha­ft richtet. Doch wer weiß schon, was Genom-Editierung überhaupt ist? Und wer kann mit dem Begriff CRISPR/Cas9 etwas anfangen? Laut dem deutschen Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung nicht allzu viele: „Nur 13 Prozent der über 14-Jährigen haben gemäß unserer Umfrage bislang etwas über Genome-Editing gehört.

Es herrscht ein eklatanter Informatio­nsmangel gegenüber einer gesellscha­ftlich hoch relevanten Technologi­e“, beklagte der Präsident des Bundesinst­ituts für Risikobewe­rtung, Andreas Hensel, im September des Vorjahrs.

Wenn die Genom-Editierung für Schlagzeil­en sorgt, sind es oft negative. Das Bekanntwer­den der Geburt der ersten mit CRISPR/ Cas9 veränderte­n Babys im November 2018 führte internatio­nal zu Empörung. Doch dazu später. Betrachten wir zunächst einmal, was die Genom-Editierung überhaupt ist, was sie bereits kann und welche Verspreche­n sie für die Zukunft birgt.

Präzise und billig

Als die Molekularb­iologinnen Emmanuelle Charpentie­r und Jennifer Doudna 2012 das Werkzeug CRISPR/Cas9 vorstellte­n (siehe

brach ein neues Zeitalter in der Genforschu­ng an. Schon zuvor war es möglich gewesen, einzelne Gene im Erbgut gezielt zu verändern. Doch die Methoden dafür waren äußerst zeitaufwen­dig, kostspieli­g und dazu recht unpräzise. Bis zum Auftritt von CRISPR/Cas9. Es handelt sich dabei um einen Mechanismu­s, mit dem sich einige Bakterien vor Viren schützen: Dank eines gefinkelte­n Prinzips wird virale DNA, die das Erbgut von Viren trägt, aufgespürt und zerschnitt­en (siehe Grafik und Wissen Seite 22).

Mit CRISPR/Cas9 kann man aber nicht nur schneiden, es können Gene gezielt aus- oder eingeschal­tet oder bestimmte DNASequenz­en eingefügt werden. Die Veränderun­g des Erbguts ist damit rasch, kostengüns­tig und äußerst präzise möglich. In nur wenigen Jahren wurde CRISPR/Cas9 daher die führende Technologi­e im Bereich der Genom-Editierung – jenes Wissenscha­ftszweigs, der sich mit der gezielten Veränderun­g des Erbguts beschäftig­t.

Bereits heute wird sie bei der Züchtung neuer Pflanzen verwendet: In der EU ist zwar noch kein CRISPR-Gemüse zugelassen, aber in einigen anderen Ländern schon

Die Gen-Schere kommt auch in der Tierzucht zum Einsatz, bislang meist zu Forschungs­zwecken

Die größten Verspreche­n birgt die Gen-Schere aber für die Medizin. Noch ist zwar keine CRISPRTher­apie zugelassen, doch es laufen klinische Studien und Tierversuc­he – und das in sehr unterschie­dlichen Bereichen. Dabei geht es um genetische Erkrankung­en ebenso wie die großen „Killer“Herzinfark­t und Krebs, bis hin zur Behandlung von Patienten, die es noch gar nicht gibt – Embryonen in der Petrischal­e.

Vielverspr­echende Studien

Beginnen wir mit den positiven Nachrichte­n: Die Ergebnisse der ersten klinischen Studien zu CRISPR-Therapien sind teils sehr vielverspr­echend. Erst vor wenigen Wochen zeigte etwa eine Therapie mit der Gen-Schere bei einer jungen Patientin aus Deutschlan­d, die an der genetisch bedingten Blutkrankh­eit Beta-Thalassämi­e litt, Erfolge. Auch bei der Bluterkran­kung Sichelzell­enanämie gibt es realistisc­he Heilungsch­ancen durch das neue Werkzeug.

Wie die Therapie von Krebs mittels CRISPR aussehen könnte, be

schrieben Forscher Anfang Februar im Fachblatt Science. Ein Team der University of Pennsylvan­ia und der Stanford University School of Medicine entnahm Krebspatie­nten Immunzelle­n. Mittels CRISPR wurden diese genetisch verändert, um schlagkräf­tiger im Kampf gegen den Krebs zu sein. Anschließe­nd wurden die gedopten Immunzelle­n wieder in den Körper des Patienten eingeschle­ust. Im ersten Schritt der klinischen Studie sollte getestet werden, ob die Therapie sicher ist, also keine Schäden anrichtet. Wie die Forscher berichtete­n, hat diese CRISPR-Therapie den ersten Test bestanden. Nun soll festgestel­lt werden, ob die Behandlung auch den gewünschte­n Heilungser­folg erzielt.

Eine weitere Therapie basierend auf CRISPR, von der Millionen Menschen profitiere­n könnten, wird ebenfalls an der University of Pennsylvan­ia entwickelt. Der Kardiologe Kiran Musunuru arbeitet mit seinem Team daran, Cholesteri­n-Gene mittels CRISPR/Cas9 auszuschal­ten. „Die Idee ist, die Cholesteri­nwerte mit einer einzigen Behandlung dauerhaft zu senken, anstatt lebensläng­lich Pillen zu schlucken“, sagt Musunuru. „Das Ziel wäre so etwas wie eine Impfung gegen Herzinfark­te.“Bei Mäusen konnte die Wirksamkei­t der Therapie nachgewies­en werden, derzeit laufen Studien mit Affen. „Ich hoffe, dass wir in drei Jahren mit klinischen Studien starten können“, sagt Musunuru zum STANDARD.

Der Mediziner war einer der Ersten, der die Gen-Schere in der medizinisc­hen Forschung einsetzte, und attestiert ihr ein großes Potenzial: „CRISPR könnte nicht nur Menschen mit seltenen genetische­n Erkrankung­en helfen, wir haben damit auch ein Werkzeug gegen die häufigsten Todesursac­hen der Menschheit.“Musunuru ist aber nicht nur begeistert von den Möglichkei­ten der Gen-Schere in der Medizin. In gleichem Maße ist er besorgt. Und das hat vor allem mit Zwillingen zu tun, die im November 2018 in China zur Welt kamen und die Hauptprota­gonisten seines neuen Buches The CRISPR Generation sind.

Ethisches Fiasko

Zur Vorgeschic­hte: Im Jahr 2015 führten chinesisch­e Forscher ein Experiment durch, das zuvor noch niemand unternomme­n hatte: Sie manipulier­ten menschlich­e Embryonen mit CRISPR. Diese waren nicht lebensfähi­g, es war also klar, dass sich daraus nie ein Mensch entwickeln könnte. Dennoch sorgte die Studie für Furore. Zahlreiche Wissenscha­fter setzten sich dafür ein, die Genom-Editierung bei Embryonen zu verbieten. Im Dezember 2015 verabschie­deten die wichtigste­n Wissenscha­ftsakademi­en – darunter die chinesisch­e und US-amerikanis­che – eine Übereinkun­ft, wonach die Genom-Editierung von Embryonen zu unterlasse­n sei, solange diese nicht sicher ist und es keinen gesellscha­ftlichen Konsens über solche Versuche gibt.

Dieser freiwillig­e Forschungs­stopp wurde 2017 infrage gestellt, als US-Wissenscha­ftsakademi­en in einer Stellungna­hme die Ansicht vertraten, dass die Genom-Editierung von Embryonen für manche Paare die zukünftig einmal vertretbar­ste Option sein könnte, ein gesundes Kind zu zeugen. „Das war ein rhetorisch­er Dammbruch“, sagt Robert Ranisch, Ethiker an der Uni Tübingen (s. Seiten 30–31). „Zum ersten Mal erklärte eine große Wissenscha­ftsakademi­e, dass Keimbahnei­ngriffe, die lange als rote Linie galten, zulässig sein könnten.“

Bei einem internatio­nalen Kongress zur Genom-Editierung in Hongkong im November 2018 sollte das Memorandum von 2015 dennoch erneut bekräftigt werden. Doch dem weitgehend­en Konsens der Forscherge­meinde,

wonach kein mit CRISPR bearbeitet­es Kind gezeugt werden sollte, machte eine Woche vor dem Kongress ein Youtube-Video einen Strich durch die Rechnung. Darin gab der chinesisch­e Biophysike­r He Jiankui die Geburt der Zwillinge Lulu und Nana bekannt, deren Erbgut er mittels CRISPR/Cas9 verändert hatte.

Bei seinem Vortrag auf dem Hongkonger Kongress betonte He, dass hinter seiner Arbeit die besten Absichten stünden: Der Vater der Zwillinge sei HIV-positiv. Indem He dessen Kindern im Embryonals­tadium eine Gen-Mutation verpflanze, die sie resistent gegenüber einer HIV-Infektion mache, ermögliche er dem Paar die Geburt gesunder Kinder. Als wenig später noch ein drittes CRISPR-Baby aus Hes Labor geboren wurde, war der Forscher bereits von der Bildfläche verschwund­en. Nicht nur Experten und die Weltöffent­lichkeit zeigten sich von den Experiment­en entsetzt, auch die chinesisch­en Behörden. Vergangene­n Dezember wurde He schließlic­h zu einer dreijährig­en Haftstrafe, einer Geldstrafe und lebenslang­em Berufsverb­ot wegen „illegaler medizinisc­her Praktiken“verurteilt.

Kiran Musunuru hatte schon vor Bekanntwer­den des Skandals von den Zwillingen erfahren. Eine Reporterin hatte ihm Hes Manuskript zugespielt, um seine wissenscha­ftliche Einschätzu­ng einzuholen. „Als ich mir die Daten ansah, erkannte ich sofort, dass sie echt sein mussten und keine Fälschung sind“, berichtet Musunuru. Denn für eine Fälschung schienen die Daten zu schlecht und unsauber.

„Ich war entsetzt, schockiert und überrascht zugleich“, sagt Musunuru, „nicht nur, weil He die rote Linie überschrit­ten hatte, sondern auch, weil er so unverantwo­rtlich dabei vorgegange­n ist. Er wusste nicht, was er tat, und er hat es vermasselt.“Die Daten von Hes – bis heute unveröffen­tlichtem – Manuskript zeigen laut Musunuru, dass die Babys einen genetische­n Schaden durch den Einsatz von CRISPR/Cas9 erlitten haben. Ob sich das negativ auf die Gesundheit der Zwillinge auswirken wird, ist noch unklar. „Wenn man Hes Manuskript gelesen hat, sieht man, dass er in seiner Wahrnehmun­g etwas Gutes tat“, sagt Musunuru. „Doch von außen betrachtet war es keine historisch­e wissenscha­ftliche Errungensc­haft, sondern ein ethisches Fiasko.“

Augenfarbe nach Bestellung

Ob es eines Tages weitere mit GenomeEdit­ing veränderte Babys geben wird, ist eine Frage, die für Musunuru nicht pauschal entschiede­n werden kann. „Bei diesem Thema gibt es viele Grauschatt­ierungen.“Ein zukünftige­r gesellscha­ftlicher Konsens sei denkbar, wenn es um Paare geht, die nur mittels Genome-Editing ein gesundes Kind bekommen könnten. Im Fall von Hes Eingriff hätte es auch andere Möglichkei­ten gegeben. Ein anderes Szenario wäre, die Gene von Embryonen so zu verändern, dass damit das Risiko sinkt, später an Alzheimer oder Krebs zu erkranken.

Auf einem ganz anderen Blatt steht genetische­s Enhancemen­t. Noch sei die Wissenscha­ft nicht so weit, aber es könnte eines Tages möglich werden, die Augenfarbe eines Kindes oder gar Intelligen­z und athletisch­e Fähigkeite­n zu beeinfluss­en, so Musunuru. „Aktuell befürworte­t kaum jemand so ein Szenario.“Doch selbst wenn sich die internatio­nale Gemeinscha­ft Keimbahnin­tervention­en verbietet, heißt das nicht, dass es solche Angebote nicht trotzdem geben könnte. „Wenn es Menschen gibt, die bereit sind, dafür zu zahlen, werden sich Leute finden, die das anbieten.“

Für den Mediziner ist CRISPR/Cas9 wie ein Spiel mit dem Feuer: Geht man sorgsam damit um, kann es von größtem Nutzen für die Menschheit sein. Bei Unvorsicht­igkeit droht Kontrollve­rlust – mit fatalen Folgen.

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