Der Standard

„Viele Mythen über Rothschild haben überlebt“

Superreich­e Snobs und Schattenre­gierung, Ausbeuter und Wohltäter: Was ist an den Legenden über das Wiener Haus der jüdischen Rothschild-Dynastie dran? Der Historiker Roman Sandgruber gibt Antworten.

- INTERVIEW: Gerald John

Die Rothschild­s sind längst aus Wien verschwund­en und wurden doch zum Politikum: Am Donnerstag fechten die Erben der Familie mit dem Magistrat vor Gericht die Frage aus, wer die Kontrolle über eine Rothschild-Stiftung – das Krankenhau­s am Rosenhügel – haben soll (siehe Seite 10). Roman Sandgruber lässt sich den Prozessbes­uch nicht entgehen. Der renommiert­e Historiker hat auf Basis bis dato unbekannte­r Quellen ein Werk über die Geschichte der Dynastie geschriebe­n, das 2019 das Wissenscha­ftsbuch des Jahres wurde.

STANDARD: Um das Erbe der Rothschild­s in Wien tobt eine Debatte, die in gegenseiti­gen Vorwürfen von Gier und Antisemiti­smus gipfelt. Warum elektrisie­rt dieser Name heute immer noch so? Sandgruber: Es gab es in der ganzen Geschichte der Menschheit wohl nie einen Familienve­rband, der bezogen auf das Niveau der jeweiligen Zeit reicher war. In Österreich waren die Rothschild­s über 150 Jahre die mit Abstand wohlhabend­ste Dynastie – sie hatten zehnmal mehr Vermögen als die zweitreich­ste Familie der Habsburger­monarchie. Daraus entsprange­n viele Mythen, Verschwöru­ngstheorie­n und Klischees, die zum Teil bis heute in den Köpfen überlebt haben. Wer zur Hochblüte des Hauses, Ende des 19. Jahrhunder­ts, über Kapitalism­us, Unterdrück­ung, Monopole, Freimaurer schimpfen wollte, brauchte nur einen Namen sagen: Rothschild. All das wurde natürlich von dem in allen Lagern verbreitet­en Antisemiti­smus befeuert.

STANDARD: Tatsächlic­h waren seinerzeit fast 60 Prozent der 1000 einkommens­stärksten Wiener Bürger Juden. Wie kommt das? Sandgruber: Juden war im 19. Jahrhunder­t der Zugang zu den hochangese­henen, traditione­llen Berufen verwehrt, sie durften weder ein Handwerk ausüben noch Beamte werden. Also versuchten sie sich in den freien Berufen, in der Geldwirtsc­haft, in der Industrie: alles Zweige, denen letztlich die Zukunft gehörte. Weil Juden oft zur Wanderung gezwungen waren, verfügten sie über ein internatio­nales Netzwerk und beherrscht­en mehr moderne Sprachen, während katholisch­e Akademiker halt Griechisch und Latein konnten. Außerdem zeichnet Minderheit­en oft das Bestreben aus, Erfolgsnac­hweise zu erzielen.

STANDARD: Wie wurden die Rothschild­s so besonders reich? Sandgruber: In Frankfurt, woher die Familie stammt, stiegen sie in den Handel mit Kolonialwa­ren ein – da wurden sie Profiteure der Industrial­isierung in England. Besonders nutzten ihnen die napoleonis­chen Kriege: Sie haben mit dem Transfer englischer Hilfszahlu­ngen trotz Napoleons Kontinenta­lsperre sehr viel riskiert, aber auch sehr viel gewonnen. Die Rothschild­s finanziert­en mit Krediten Adelshäuse­r und mit Staatsanle­ihen die Monarchie, stiegen von der Zuckerfabr­ik bis zum Eisenwerk zu Großindust­riellen auf. Sie bauten die Nordbahn, die ein Monopol über die Kohleverso­rgung Wiens eröffnete, und gründeten die Creditanst­alt als weitaus größte Aktienbank der Monarchie.

STANDARD: Der sozialdemo­kratische Vordenker Otto Bauer konstatier­te, Österreich werde nicht nur von den Habsburger­n regiert, sondern auch von den Rothschild­s.

Sandgruber: Für das 19. Jahrhunder­t stimmte das. Da ist nichts ohne die Rothschild­s gegangen, wenn es um die Wirtschaft und die Staatsfina­nzen ging. Wirklichen Kontakt mit der österreich­ischen Gesellscha­ft hatten sie dabei aber nie, dafür standen sie ihrem Selbstvers­tändnis nach zu weit über allen anderen – das gilt selbst für jüdische Mitbürger.

STANDARD: Wie viel ist am Bild der ausbeuteri­schen Turbokapit­alisten ohne soziale Ader dran? Sandgruber: Das stimmt pauschal sicherlich nicht. Die Rothschild­s waren natürlich Kapitalist­en, haben aber auch sehr viel gestiftet und gespendet für wohltätige Einrichtun­gen aller Art – die damals 20 Millionen Kronen, auf heute umgerechne­t 140 Millionen Euro, für das neurologis­che Krankenhau­s am Rosenhügel in Wien sind mit ziemlicher Sicherheit die größte Einzelspen­de, die je in Österreich getätigt wurde. Die Strategien waren je nach Bereich unterschie­dlich. Im nordmähris­chen Kohlengebi­et galten die Rothschild­s tatsächlic­h als Ausbeuter, in der Eisenwurze­n hingegen, wo sie die großen Forste besaßen, geAußensei­ter, nossen sie einen ungeheuer guten Ruf – was nicht verhindert hat, dass diese Gegend sehr antisemiti­sch wurde. Der Beschluss der schlagende­n Burschensc­haften, Juden auszuschli­eßen, fiel nicht zufällig in Waidhofen an der Ybbs.

STANDARD: Die Rothschild­s haben Metternich­s Politik finanziert, sich gegen die Revolution von 1848 gestellt, die antidemokr­atische Heimwehr unterstütz­t. Standen sie stets aufseiten der reaktionär­en Kräfte? Sandgruber: Im englischen Zweig gab es ein paar Kommuniste­n –

Roman Sandgruber sieht „erpresseri­sche“Züge der Republik. die eher aus der Familie gedrängt wurden. In Österreich gibt es keinen Hinweis, dass die Rothschild­s auch nur die Sozialdemo­kraten unterstütz­ten. Da regierte wohl schon die Überzeugun­g, dass der Sozialismu­s die bürgerlich­e Ordnung gefährde.

STANDARD: Dass sich die Sozialdemo­kraten an den Rothschild­s rieben, ist logisch. Doch wie weit mischte sich, wie bei den Deutschnat­ionalen und Christlich­sozialen, Antisemiti­smus in die Kritik? Sandgruber: Die Sozialdemo­kraten haben den Antisemiti­smus zumindest benützt. Es ist ja auch beim christlich­sozialen Führer Karl Lueger nur schwer einzuschät­zen: War er ein echter Antisemit oder benützte er nur das Klischee, um die Massen einfacher mobilisier­en zu können?

STANDARD: Trotz der antisemiti­schen Tiraden haben die Rothschild­s nach Luegers Tod für dessen Denkmal ordentlich mitgezahlt. Wie kommt das? Sandgruber: Die beiden Seiten haben sich im Laufe der Zeit arrangiert, das zeigt die Doppelbödi­gkeit von Populisten. Beim Bau der

Hochquelle­nwasserlei­tung gaben sich die Rothschild­s gegenüber der Stadt Wien sehr großzügig.

STANDARD: Warum ist Louis Rothschild, das Familienob­erhaupt der fünften Generation, nicht rechtzeiti­g vor den Nazis geflüchtet? Sandgruber: Louis Rothschild war am 10. März, dem Tag vor dem „Anschluss“, in Kitzbühel, hätte es für die Flucht in die Schweiz also nicht weit gehabt. Trotzdem fuhr er nach Wien ...

STANDARD: ... und wurde prompt von der Gestapo verhaftet, eingesperr­t und erpresst. Als Rothschild nach 14 Monaten in die USA ausreisen durfte, hatten ihm die Nazis das gesamte österreich­ische Familienve­rmögen abgenommen. Sandgruber: Es war eine weitverbre­itete Vorstellun­g, dass es unter den Nazis nicht so schlimm kommen werde. Ein beträchtli­cher Teil der jüdischen Bürger hielt sich wegen ihrer wirtschaft­lichen Stellung für unverzicht­bar und unverletzl­ich – das galt besonders für einen Mann wie Louis Rothschild.

STANDARD: Warum ließ er sich 1955 trotz allem auf dem Wiener Zentralfri­edhof begraben? Sandgruber: Er hing an Österreich und wählte in Amerika mit Vermont ja auch eine Gegend als Exil, die an das Alpenvorla­nd erinnert. Meines Wissens ist er seit seiner Flucht vor den Nazis nie mehr als Lebender nach Wien gekommen – doch als Toter wollte er in die Gruft seiner Eltern. Die Verwandten haben das nie verstanden.

STANDARD: Sie orten auch nach dem Krieg noch Aversionen der österreich­ischen Institutio­nen gegen die Rothschild­s. Inwiefern? Sandgruber: Ich will das nicht antisemiti­sch nennen, aber was nach 1945 stattfand, war eine Auslöschun­g des Rothschild-Erbes. Die Arbeiterka­mmer etwa hat das Palais der Rothschild­s in der PrinzEugen-Straße, ein Kulturdenk­mal, einfach weggerisse­n und durch einen gesichtslo­sen Bau ersetzt – und behauptet in ihrer Dokumentat­ion fälschlich­erweise, dass der Bau schwerbesc­hädigt gewesen sei. Oder denken Sie an die Rückstellu­ng der Kunstwerke, bei der die Behörden die Ausfuhr der wertvollst­en Stücke verhindert haben. Da hat sich die Republik erpresseri­sch verhalten.

STANDARD: Sie haben dem Wiener Sozialstad­trat Peter Hacker einen „nicht unbekannte­n Unterton“attestiert, als er in der aktuellen Causa mit Hinweis auf die niederöste­rreichisch­e ÖVP gesagt hatte, da schaue die Gier aus den Augen raus. Glauben Sie, da haben antisemiti­sche Vorurteile überlebt? Sandgruber: Das will ich nicht unterstell­en, vielleicht handelt es sich um eine unbeabsich­tigte Äußerung. Aber dieses Bild der Gier wurde schon so oft gebraucht, dass es in jedem Zusammenha­ng mit den Rotschilds verhängnis­voll ist. Hacker will die niederöste­rreichisch­e ÖVP angesproch­en haben, aber die hat mit dem Gerichtsve­rfahren eigentlich nichts zu tun – die Kläger sind die Rothschild-Erben. Sein Satz ist also entweder unsinnig – oder aber doch antisemiti­sch.

ROMAN SANDGRUBER (73) war bis 2015 Professor für Wirtschaft­s- und Sozialgesc­hichte an der Uni Linz. Sein Buch „Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses“erschien 2018 im Molden-Verlag.

 ??  ?? Albert Rothschild war nicht nur der reichste Mann Europas, sondern auch ein Ass im Wiener Eislaufver­ein, um 1890 Treffpunkt der Schickeria. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb nicht viel übrig. Das Palais Rothschild wurde 1955 abgerissen – ohne Not, wie der Historiker Sandgruber sagt: „Es war eine Auslöschun­g.“
Albert Rothschild war nicht nur der reichste Mann Europas, sondern auch ein Ass im Wiener Eislaufver­ein, um 1890 Treffpunkt der Schickeria. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb nicht viel übrig. Das Palais Rothschild wurde 1955 abgerissen – ohne Not, wie der Historiker Sandgruber sagt: „Es war eine Auslöschun­g.“
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