Der Standard

Die gezielte Veränderun­g des Erbguts von Ungeborene­n wirft neue ethische Fragen auf.

Die Möglichkei­t der gezielten Veränderun­g des Erbguts wirft viele ethische Fragen auf – sei es bei der Zucht neuer Pflanzen oder dem genetische­n Eingriff bei menschlich­en Embryonen. Der Ethiker Ranisch plädiert für eine sachliche Debatte fern von Heilsver

- INTERVIEW: Tanja Traxler

STANDARD: Welche ethischen Fragen ergeben sich beim Einsatz von Genom-Editierung­s-Technologi­en wie CRISPR/Cas9 beim Menschen?

Ranisch: Wenn wir die Forschung und mögliche klinische Anwendunge­n von Genom-Editierung betrachten, ist es zunächst wichtig, zwischen zwei sehr verschiede­nen Szenarien zu unterschei­den: Einerseits gibt es die sogenannte somatische Gentherapi­e, bei der es um den Einsatz von GenomEditi­erung bei Patienten geht, die eine bestimmte Krankheit haben. Anderersei­ts gibt es Keimbahnei­ngriffe, bei denen Embryonen verändert werden. Bei diesen Eingriffen gibt es also zunächst noch gar keine Patienten, folglich geht es hier auch nicht um die Behandlung einer bereits manifestie­rten Erkrankung, sondern eher um eine Art Prävention.

STANDARD: Was für Herausford­erungen bringt das mit sich?

Ranisch: Das Besondere an diesen Keimbahnei­ngriffen ist, dass sie potenziell vererbt werden können. Auf diese Weise kann es sein, dass nicht nur die Person, die sich einmal aus dem veränderte­n Embryo entwickelt, sondern auch deren Kinder und Enkel die Genverände­rung in sich tragen. Das gilt für erwünschte Wirkungen von Genom-Editierung, aber eben auch für mögliche Nebenwirku­ngen. Keimbahnin­tervention­en

wird daher auch nachgesagt, dass mit ihnen in die Evolution eingegriff­en wird. Damit verbinden sich neue ethische Ansprüche.

STANDARD: Manchmal wird auch gesagt, die Gen-Schere mache es möglich, Gott zu spielen – wie denken Sie darüber?

Ranisch: Dazu muss man nüchtern feststelle­n, dass wir nahezu auf allen Ebenen sehr invasiv in die Natur eingreifen. Dass wir nun „Gott spielen“würden, halte ich daher für kein gutes Argument. Meiner Meinung nach ist eine andere Frage ernster: Es ist zwar trivial, dass wir von künftigen Personen, die von den Folgen einer

Keimbahnin­tervention betroffen sind, kein Einverstän­dnis einholen können. Wenn Keimbahnin­tervention­en aber einmal in der Praxis verfügbar wären, könnten Eltern mit einer neuen Anklage konfrontie­rt sein: „Warum bin ich mit diesen oder jenen Genen geboren worden, wenn meine Eltern die Möglichkei­t gehabt hätten, das zu ändern?“Oder auch: „Warum habt ihr euer Kind nicht vor dieser oder jener Krankheit geschützt, obgleich ihr die Möglichkei­t hattet?“

STANDARD: Was ist das Problem, wenn durch Genom-Editierung Nachkommen vor schweren Krankheite­n geschützt werden?

Ranisch: Wir reden in einem solchen Fall gerne von Keimbahnth­erapien. Wenn wir uns die Situation aber genauer ansehen, ist fraglich, ob das wirklich Therapien sind. Bei einer üblichen Therapie hat man es mit einem Patienten zu tun, also mit einer existieren­den Person mit einer Krankheit. Hier kann das Risiko gerechtfer­tigt sein, auch einen riskanten Heilversuc­h zu unternehme­n. Bei einer Keimbahnin­tervention ist das anders. Hier haben wir es mit Kinderwuns­chpaaren zu tun, die wissen, dass sie mit einer gewissen Wahrschein­lichkeit eine Krankheit weitergebe­n werden. Der Patient wird sozusagen erst noch gezeugt. In diesem Zusammenha­ng wären Keim

bahneingri­ffe vielmehr eine Art Kinderwuns­chbehandlu­ng, die es Paaren erlauben könnte, ein gesundes Kind zu bekommen. Zugleich sind derartige Eingriffe aber selbst auch risikoreic­h, und einige ethische Konflikt würden sich auflösen, wenn das Paar auf Möglichkei­ten wie Adoption oder Samenspend­e zurückgrif­fe oder schlichtwe­g auf die Familienpl­anung verzichtet­e. Das wäre für viele freilich ein hoher Preis.

STANDARD: Wo steht die Entwicklun­g somatische­r Gentherapi­en basierend auf CRISPR/Cas9?

Ranisch: Momentan handelt es sich noch um experiment­elle Verfahren. Solche Gentherapi­en könnten etwa einmal bei Erbkrankhe­iten wie den Bluterkran­kungen BetaThalas­sämie und Sichelzell­enanämie zum Einsatz kommen. Momentan gibt es noch keine zugelassen­e CRISPR-Therapie und lediglich ein paar Dutzend klinische Studien, die meisten davon in China und den USA, auch einige in Europa. Die bisherigen Daten sind zwar mitunter vielverspr­echend, aber es ist noch ein langer Weg bis zur breiten Anwendung. Zudem gibt es noch viele Herausford­erungen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Ranisch: Was Probleme macht, sind beispielsw­eise die Off-Target-Effekte – sozusagen ungewollte Veränderun­gen in Genen an einer falschen Stelle. Zudem entstehen in diesem recht jungen Forschungs­gebiet laufend neue Fragen. Schon mehr als einmal wurde CRISPR totgesagt, da es im Verdacht stand, etwa Immunreakt­ionen auszulösen oder sogar Krebs zu befördern. Viele Befürchtun­gen haben sich so nicht bewahrheit­et, sie zeigen aber, dass es viele Fragezeich­en gibt. Wir müssen aufpassen, keinem Hype zu verfallen, sondern nüchternen Auges auf die Studien zu schauen und abzuwarten.

STANDARD: Wie sind solche CRISPR-Gentherapi­en ethisch zu bewerten?

Ranisch: Ethisch sind solche Therapien nicht anders zu bewerten als frühere Gentherapi­en, die bereits seit dreißig Jahren erforscht werden. Hier gibt es strenge Regeln für die klinische Prüfung und Zulassung. Es gibt aber auch Fragen, die drängender werden, etwa in Bezug auf die Kosten solcher neuer Therapien. Wir erleben momentan eine Situation, in der die Preise für pharmakolo­gische Innovation nach oben hin offen scheinen. Kürzlich kam eine neue Therapie gegen seltene Muskelerkr­ankungen auf den Markt, bei der eine Einmaldosi­s zwei Millionen US-Dollar kostet. Ähnliches könnte sich mit ersten Anwendunge­n von Genom-Editierung wiederhole­n. Die Erforschun­g und Entwicklun­g ist schließlic­h nicht nur prestigetr­ächtig, sondern auch teuer und risikoreic­h. Vielleicht ist es im Zuge dieser Entwicklun­g an der Zeit, die bestehende­n Vergütungs­systeme zu überdenken. Da stellt sich für Gesundheit­ssysteme die Frage, wie man mit innovative­n Therapien umgesehen soll, die pro Patient Millionen Euro kosten. Das lädt auch ein, Fragen nach neuen Bezahlmode­llen zu stellen: Könnte man nicht beispielsw­eise den Preis einer neuen Behandlung auch an tatsächlic­hen Therapieer­folgen bemessen?

STANDARD: Wie bewerten Sie das Potenzial von Genom-Editierung in der Pflanzenfo­rschung, wenn es etwa darum geht, die wachsende Weltbevölk­erung nachhaltig zu ernähren?

Ranisch: Die Pflanzenzu­cht ist ein extrem ideologisc­h aufgeladen­es Thema. Wir müssen jetzt erst einmal die weiteren Entwicklun­gen abwarten. Es gibt vielverspr­echende Ansätze, wonach CRISPR/Cas9 es ermögliche­n könnte, Pflanzen zu züchten, die widerstand­sfähiger und zugleich ertragreic­her sind, verbessert­e Produkteig­enschaften haben oder besser schmecken. Diese Verspreche­n wurden aber auch schon vor dreißig Jahren im Zusammenha­ng mit der grünen Gentechnik gemacht, doch der große Durchbruch blieb aus. Gerade bei Genom-Editierung sollten wir uns vor Heilsversp­rechungen in Acht nehmen. Auch sollten wir uns vor Illusionen schützen. Sicherlich wird Genom-Editierung nicht das einzige Rezept sein, um die globale Ernährung sicherzust­ellen. Vielleicht kann sie aber einmal einen Beitrag leisten.

STANDARD: Was verspreche­n Sie sich vom Einsatz genetische­r Methoden wie Gene-Drive, um Krankheite­n wie Malaria zu bekämpfen?

Ranisch: Gene-Drive wird auch gerne als Vererbungs­turbo bezeichnet, weil dadurch eine bestimmte genetische Veränderun­g über mehrere Generation­en erhalten bleibt. Auf dem Papier lädt das zu wunderbare­n Planspiele­n ein, damit etwa Stechmücke­npopulatio­nen auszurotte­n und somit Malaria zu bekämpfen. Gene-Drive könnte auch nützlich sein, wenn man eingeschle­ppte Tierarten wieder loswerden will. Wichtig ist dabei, zu sehen, dass Gene-DriveTechn­ologien einen sehr invasiven Eingriff in komplexe Systeme darstellen. Es bedürfte daher einer umfassende­n Kosten-Nutzen-Analyse. Fairerweis­e muss man auch sagen: Ein effektiver Weg, um Malaria zu bekämpfen, sind beispielsw­eise auch Moskitonet­ze. Zudem brauchte es vor der Anwendung ernsthafte Bemühungen, die lokal betroffene Bevölkerun­g in Entscheidu­ngsprozess­e

einzubezie­hen. Man muss gemeinsam zu einer Entscheidu­ng kommen, und diese kann auch sein: Nein, solche Eingriffe sind zu risikoreic­h oder schlicht unerwünsch­t.

STANDARD: Wissen die Menschen überhaupt ausreichen­d über Genom-Editierung Bescheid, um sich an solchen Debatten beteiligen zu können?

Ranisch: Bereits für Deutschlan­d zeigen Umfragen, dass nur eine kleine Minderheit der Bevölkerun­g etwas mit dem Wort GenomEditi­erung anfangen kann, noch weniger mit CRISPR. Dabei haben wir es mit einer Technologi­e zu tun, die invasiv in unsere Lebenswelt dringen könnte – sei es durch das, was auf unsere Teller gelangt, durch Tiere und die Umwelt oder die zukünftige Medizin. Wir müssen daher sehr sorgsam vorgehen, ein reiner Expertendi­skurs reicht nicht aus. Es braucht eine breit angelegte Debatte. Wir müssen Sorgen ernst nehmen, aber zugleich auch einen kühlen Kopf bewahren. CRISPR und Co sind erstaunlic­he Werkzeuge, erzeugen trotz aller Verspreche­n aber auch Ängste. Genom-Editierung wird uns weder alle töten noch erlösen. Da bin ich mir recht sicher.

ROBERT RANISCH leitet die Forschungs­stelle Ethik der Genom-Editierung an der Universitä­t Tübingen und ist Geschäftsf­ührer des Klinischen Ethik-Komitees am Universitä­tsklinikum Tübingen.

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Ein menschlich­er Embryo sechs Wochen nach der Befruchtun­g, umgeben ist er von der Fruchtblas­e.
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Foto: Uni Tübingen / Friedhelm Albrecht Robert Ranisch ist Ethiker am Unikliniku­m Tübingen.

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