Der Standard

Nein zu Handyverbo­t in der Schule

Schulen sollten das Smartphone lieber aktiv in den Unterricht einbinden, anstatt es zu verdammen, findet die Medienpäda­gogin Iren Schulz. Gefordert seien auch die Eltern, die allzu oft selbst auf den Bildschirm glotzten.

- INTERVIEW: Peter Mayr, Karin Riss

Es beschäftig­t Lehrkräfte wie Eltern – und vor allem natürlich die Kinder: das Smartphone. Die einen sehen es als wertvolle Bereicheru­ng zur Wissensver­mittlung, die anderen als Unterricht­szerstörer. Auch die Lehrergewe­rkschaft greift das Thema auf und fordert zumindest „handyfreie Zonen“in den Schulen. Die deutsche Medienpäda­gogin Iren Schulz plädiert für einen entspannte­ren Umgang mit den Handys und klare Regeln.

STANDARD: Bei unserem letzten Interview haben Sie gesagt, ein Handyverbo­t in Schulen sei rückschrit­tlich, weil diese Technologi­en Bestandtei­l der Gesellscha­ft seien. Bleiben Sie sechs Jahre später immer noch dabei?

Schulz: Heute mehr denn je, weil digitale Medien ein wichtiger Teil unseres Alltags sind. Ein Verbot kann nie zu einem kompetente­n Umgang führen. Die Schule soll aufs Leben vorbereite­n, ein Handyverbo­t zielt am Leben vorbei.

STANDARD: In Frankreich versucht man es dennoch damit. Schulz: Stimmt, langfristi­g ist das kein guter Weg. Das soll aber im Umkehrschl­uss jetzt nicht bedeuten: Feuer frei! Macht doch, was ihr wollt! Unsere Gesellscha­ft muss sich dringend transparen­te Regeln für die Nutzung dieser Technologi­en aushandeln: Wie, wann und in welchem Ausmaß finden Handys und Tablets an der Schule ihren Platz?

STANDARD: Wie soll das in der Praxis laufen? Viele Lehrkräfte sehen eher einen „Unterricht­szerstörer“. Schulz: Lehrer sind verunsiche­rt, weil sie mit diesen digitalen Technologi­en nicht aufgewachs­en sind. Auch in ihrer Ausbildung haben sie nicht gelernt, wie das Handy in den Unterricht eingebunde­n werden kann. Dabei gibt es viele mögliche Einsatzber­eiche: von Mathematik über den Kunstunter­richt bis hin zum Fach Deutsch. Irgendwann werden sich alle Schulen damit konstrukti­v auseinande­rsetzen müssen.

STANDARD: Es macht doch einen Unterschie­d, ob ich sage: Kinder, wir schauen uns den Aufbau der DNA mittels einer App an. Oder ob ein Kind ständig aufs Handy starrt oder es ständig irgendwo vibriert. Schulz: Erst einmal muss der bewusste Umgang überhaupt ermöglicht werden. Viele lassen das ja gar nicht zu. An welchen Schulen, die ein Handyverbo­t haben, wurde das versucht? Ich denke, an keiner. Das Verbot kam vor der konstrukti­ven Auseinande­rsetzung.

Standard: Eine Studie der London School of Economics aus dem Jahr 2015 hat Schulleist­ungen vor und nach einem Handybann gemessen: Die Testresult­ate haben sich um 6,4 Prozent gesteigert. Schulz: Ich könnte Ihnen auch 20 Studien vorlegen, die belegen, dass mit dem Einsatz von digitaler Technologi­e die Leistungen langfristi­g nach oben gehen.

STANDARD: Wenn die Lehrergewe­rkschaft also handyfreie Zonen fordert, ist das ein Zeichen von Hilflosigk­eit?

Schulz: Das ist etwas anderes als ein generelles Verbot! Natürlich kann ich zum Beispiel sagen: In den Hofpausen bleiben die Handys weg. Das muss dann aber auch für die Lehrkräfte gelten. Diese Vorbildrol­le von uns Erwachsene­n ist uns nur selten bewusst.

Standard: Apropos Vorbild: Was sollten Eltern bei Handy und Co beachten?

Schulz: Das Wichtigste ist, Kinder von Beginn an zu begleiten und mit ihnen gemeinsam diese gesamten Dienste und Anwendunge­n zu erkunden. Und es braucht klare und transparen­te Regeln, die auch für die Erwachsene­n verbindlic­h sind.

Ich kann nicht von meinem Kind verlangen, draußen im Wald zu spielen oder kreativ zu basteln, wenn ich selbst dauernd auf einen Bildschirm glotze. Dieser Grundstein muss früh gelegt werden, damit die Jugendlich­en später genug Kompetenz entwickelt haben. Bei älteren Kindern brauche ich nämlich nicht mehr sagen: Du darfst nur eine halbe Stunde am Tag! Da ist es schon zu spät.

Standard: Wie ist es mit dem Umgang mit Apps, die für eine Altersgrup­pe eigentlich gar nicht empfohlen werden?

Schulz: Das hängt vom einzelnen Kind ab. Je weiter entwickelt es ist, desto mehr geht. Ich hatte auch schon den Fall von Zehnjährig­en, die von ihren Eltern Spiele für 18Jährige gekauft bekommen haben. Da braucht es schon noch sehr viel Aufklärung. Auf die medienbezo­gene Elternarbe­it darf auch in der Schule nicht vergessen werden. Ein Bildungsko­nzept kann nur gelingen, wenn die Eltern mit im Boot sind. Das gehört etwa auf Elternaben­den besprochen.

Standard: Da könnte gleich über die ausufernde­n Whatsapp-Klassencha­tgruppen gesprochen werden: Wie können Kinder verstehen, dass 80 Nachrichte­n in zwei Stunden vielleicht nicht so gut sind? Schulz: Vielleicht braucht es eine Ergänzung zur Hausordnun­g, wie in diesen Chats miteinande­r umgegangen wird. Wir wissen ja auch, dass wir uns grüßen oder uns nicht schubsen. Es gibt schöne Beispiele, wie etwa Benimmrege­ln in den Chat getragen werden können. Sind die Kinder an der Regelerste­llung beteiligt, halten sie sich auch daran.

Standard: Laut Neurowisse­nschaft verändert sich das Gehirn durch intensive Handynutzu­ng. Stichwort Konzentrat­ionsfähigk­eit. Schulz: Deshalb sollen Kinder im Volksschul­alter auch nicht fünf oder sechs Stunden vor dem Bildschirm sitzen. Der Überkonsum ist auf jeden Fall problemati­sch.

Standard: Wann ist es zu viel? Schulz: Ich will nicht gleich den Suchtbegri­ff bemühen. Es gibt Empfehlung­en, die sich an der WHO orientiere­n: bis fünf Jahre maximal eine halbe Stunde Bildschirm­zeit pro Tag. Für Sechs- bis Neunjährig­e gilt höchstens eine Stunde täglich. Zu viel wird es, wenn das soziale Leben leidet, die Leistungen schlechter werden oder Hobbys egal sind. Aber das muss schon über einen Zeitraum von zehn bis zwölf Monaten laufen. Wenn das so ist, handelt es sich um eine hochproble­matische Nutzung. Da gehört gehandelt.

Standard: Wenn am Tag nur eine Stunde anfallen soll: Die hätte das Kind nach Ihrer Vorstellun­g ja schon im Unterricht ausgeschöp­ft. Schulz: Das sagen Eltern immer. Ist das Handy für eine Hausübung nötig, kommt halt eine halbe Stunde drauf. Ist das Kind krank, das Wetter grottensch­lecht, kann es doch auch einmal mehr sein.

Standard: Steigt die Handynutzu­ng eigentlich mit dem Alter? Schulz: Mit Eintritt in die Schule schnellt die Begeisteru­ng in die Höhe. Alle wollen ein Smartphone besitzen und natürlich dessen Möglichkei­ten erkunden. Die Hochphase ist in der Pubertät. Aber das ist auch früher schon so gewesen: schnell nach Hause und stundenlan­g am Festnetz hängen. Jetzt gibt es einfach nur mehr Möglichkei­ten. Normalerwe­ise wird das so mit 17, 18 pragmatisc­her gesehen und relativier­t sich wieder.

IREN SCHULZ, geboren 1977 in Elsterwerd­a, ist Kommunikat­ionswissen­schafterin und Medienpäda­gogin. Sie ist Dozentin im Masterstud­iengang Kinderund Jugendmedi­en an der Uni Erfurt.

Natürlich kann ich sagen: In den Hofpausen bleiben die Handys weg. Das muss dann aber auch für die Lehrkräfte gelten. “

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Achtung, Handyschau­er! Die richtige Nutzung des Smartphone­s ist ein gesellscha­ftspolitis­ches Dauerthema. „Ein Verbot kann nie zu einem kompetente­n Umgang führen“, sagt die Forscherin Iren Schulz.
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