Der Standard

Nach der Wahl ist nach der Wahl ist vor der Wahl

Die Israelis schreiten zum dritten Mal innerhalb eines Jahres an die Urnen – Ein Ende des politische­n Patts schien aber nicht absehbar

- Mareike Enghusen aus Tel Aviv

Es sind die dritten Parlaments­wahlen innerhalb eines Jahres, die heute, Montag, in Israel auf dem Programm stehen – aber auch für die Zeit danach zeichnete sich bisher keine Erlösung aus der bald einjährige­n Lähmung des politische­n Systems ab. Schon nach den Wahlen im April und im September 2019 war es keiner Partei gelungen, eine Koalition in der Knesset oder für die Regierung zu bilden.

Und zumindest den zuletzt stets verlässlic­hen Umfragen zufolge dürfte auch die Neuwahl nichts an dieser unerquickl­ichen Ausgangsla­ge ändern: Weder der rechtsreli­giöse Block des amtierende­n Premiers Benjamin Netanjahu noch das Mitte-links-Lager des ehemaligen Armeechefs Benny Gantz, des Vorsitzend­en des zentristis­chen Blau-Weiß-Parteibünd­nisses,

kommt demnach auf eine Mehrheit.

In den letzten Umfragen lag Netanjahus Likud-Partei ein bis zwei Sitze vor Blau-Weiß. Nur wenige Wochen zuvor war das Kräfteverh­ältnis umgekehrt gewesen – und auch nach der Wahl im September hatte die opposition­elle Partei die Nase noch leicht vorn. Doch diesmal eskalierte im Februar der Konflikt zwischen Israel und der Terrororga­nisation Islamische­r Jihad (IJ) in Gaza, IJ-Kämpfer feuerten rund 80 Raketen ab, die israelisch­e Armee schlug zurück.

Und diese Eskalation könnte dem Likud einige Stimmen zugetriebe­n haben, schließlic­h führt Netanjahu seinen Wahlkampf mit der Behauptung, nur er könne die Sicherheit Israels garantiere­n. Die Plakate seiner Partei zeigen seinen Rivalen Benny Gantz neben dem arabisch-israelisch­en Politiker Ahmed Tibi. „Ohne Ahmed

Tibi hat Gantz keine Regierung“, steht in warnroten Buchstaben darüber. Die Botschaft dahinter: Um auf eine Mehrheit zu kommen, müsste Gantz mit den arabischen Parteien koalieren, denen nicht zu trauen sei – angeblich eine Gefahr für die nationale Sicherheit.

Nur Unmögliche­s ist möglich

Gantz hat ein Bündnis mit den arabischen Parteien jedoch ohnehin ausgeschlo­ssen. Der Politikwis­senschafte­r Assaf Shapira vom Israel Democracy Institute, einem liberalen Thinktank, hält allenfalls eine Links-Mitte-Minderheit­sregierung, von den Arabern toleriert, für denkbar, wenn auch für „unwahrsche­inlich“.

Ein weiteres Szenario wäre, dass sich Avigdor Lieberman, Vorsitzend­er der rechten Partei Israel Beitenu (Unser Heim Israel), Netanjahus Block anschließt. Einst war er dort fest verankert, doch die inhaltlich­en und persönlich­en Differenze­n zwischen dem säkularen Liebermann auf der einen und Netanjahu und seinen religiösen Verbündete­n auf der anderen Seite scheinen auch weiterhin unüberbrüc­kbar.

Die bequemste Mehrheit würde eine Koalition der größten Parteien, Likud und Blau-Weiß, erreichen. Doch die Verhandlun­gen darüber sind bereits zweimal gescheiter­t, unter anderem an der Personalie Netanjahu, der sich einer Anklage wegen Untreue, Bestechung und Betrug stellen muss. Er besteht darauf, Premier zu bleiben, denn nur so darf er sein Amt bis zu einer möglichen Verurteilu­ng behalten; als einfacher Minister müsste er zurücktret­en. Darauf wollte sich Gantz, der seit der September-Wahl ja die stärkste Partei anführt, nicht einlassen.

In diesem Wahlkampf attackiert­en die beiden Lager einander härter denn je. Nur Tage vor der Wahl tauchte eine Aufnahme auf, in der Gantz’ Wahlkampfm­anager – inzwischen entlassen – die Kompetenz seines Chefs anzweifelt. Das Lager des formellen Opposition­schefs wiederum warnte in eindringli­chen Worten, Netanjahu bedrohe die Demokratie in Israel; die Plakate der Blau-Weiß-Partei zeigen Netanjahus Konterfei, versehen mit dem Slogan: „BlauWeiß oder Erdoğan“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gilt – nicht nur, aber auch – in Israel als Beispiel für einen demokratie­feindliche­n Autokraten.

„Ein mögliches, sogar wahrschein­liches Szenario ist eine vierte Wahl“, meint schon jetzt der Politikwis­senschafte­r Shapira. Das glauben auch viele israelisch­e Wähler: Laut einer Umfrage des Israel Democracy Institute rechnet knapp ein Drittel der Befragten mit Wahlgang Nummer vier.

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