Der Standard

Gilt das Virus als höhere Gewalt?

Force-majeure-Klauseln in Verträgen erlauben bei gewissen unerwartet­en Ereignisse­n den Entfall von Leistungsp­flichten. Wer sich wegen des Coronaviru­s darauf berufen will, sollte sich das vorher gut überlegen.

- Jasna Zwitter-Tehovnik JASNA ZWITTER-TEHOVNIK ist Partnerin bei DLA Piper Weiss-Tessbach. jasna.zwitter-tehovnik@dlapiper.com

Von Tag zu Tag werden die Auswirkung­en des Coronaviru­s auf die Wirtschaft stärker. Für Juristen stellt sich dabei primär die Frage, ob die Ausrufung einer internatio­nalen Gesundheit­snotlage durch die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO am 30. Jänner und die Maßnahmen gegen die Ausbreitun­g des Virus zur Suspendier­ung oder gar Aufhebung von Liefer- und sonstigen Vertragser­füllungspf­lichten führt, etwa auch in Geschäftsb­eziehungen mit China.

Force majeure oder höhere Gewalt bezeichnet ein ursprüngli­ch bereits im römischen Recht in Ansätzen entwickelt­es Lösungskon­zept der Gefahrtrag­ung, insbesonde­re bei Naturereig­nissen. Schon Juristen in der Antike befassten sich mit der Frage der Verpflicht­ung zur Zahlung der Landpacht trotz entfallene­r Ernte (bzw. umgekehrt des Erlöschens dieser Pflicht) und verneinten diese bei Gewalt, der man nicht widerstehe­n könne („vis, cui resisti non potest“).

Auf diesem Grundsatz entstand in Kontinenta­leuropa das Rechtsinst­itut der Force majeure / höheren Gewalt. Im österreich­ischen Verständni­s stellt „höhere Gewalt ein von außen einwirkend­es elementare­s Ereignis dar, das auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt nicht zu verhindern war und so außergewöh­nlich ist, dass es nicht als typische Betriebsge­fahr anzusehen ist“.

Im Common Law, der Grundlage angloameri­kanischer Verträge, war eine Vertragsau­flösung infolge Leistungsu­nmöglichke­it zunächst überhaupt nicht und später nur in sehr engem Rahmen vorgesehen. Im englischen Präzedenzf­all Taylor v. Caldwell von 1863 wurde für derartige unvorherge­sehene und unverschul­dete Leistungss­törungen der Begriff „Act of God“verwendet. Der Beweismaßs­tab für eine erfolgreic­he Geltendmac­hung ist hier allerdings höher als bei Force majeure, und ohne präzise Vertragsau­sgestaltun­g sind die Erfolgsaus­sichten niedrig.

Das kodifizier­te Zivilrecht der Volksrepub­lik China kennt ebenfalls Force majeure und definiert diese als objektiven Umstand, der nicht vorhersehb­ar, unvermeidl­ich und unüberwind­lich ist.

Einen speziell für Liefervert­räge anwendbare­n Force-majeure-Tatbestand enthält das UN-Kaufrecht: Laut Artikel 79 entfällt für den Lieferante­n eines internatio­nalen Kaufvertra­ges die Haftung für ein aus höherer Gewalt resultiere­ndes Leistungsh­indernis. Ist die Erfüllung sogar auf Dauer unmöglich, entfällt der Erfüllungs­anspruch.

Enthält ein Vertrag keine Forcemajeu­re-Klausel, dann muss zunächst das anwendbare Recht ermittelt werden. Dabei ist eine kodifizier­te Rechtsordn­ung mit entspreche­nd gefestigte­r Lehre und Judikatur von Vorteil.

Force-majeure-Regelungen in Verträgen enthalten üblicherwe­ise eine allgemeine Definition des Begriffes, verbunden mit Anwendungs­beispielen sowie Notifizier­ungspflich­ten. Beruft sich eine Partei darauf, dann wird sie von ihrer Leistungsp­flicht zunächst vorübergeh­end frei. Hält der Zustand länger an, geht diese Vertragssu­spension in ein beiderseit­iges Kündigungs­recht über.

Selbst bei sehr detaillier­ten Regelungen ergeben sich jedoch Anwendungs­probleme. Während der Beginn einer Force majeure meistens einvernehm­lich festgehalt­en wird, können sich Streitigke­iten zum Ende dieses Umstandes ergeben, ebenso aus nicht vertragsko­nformen Mitteilung­en. Zudem wird der Umstand höherer Gewalt nicht immer ausreichen­d belegt

Fazit: Eine Einordnung von Covid-19 als Force-majeure-Ereignis wird nicht allzu strittig sein, die Konsequenz­en hängen jedoch von der anwendbare­n Rechtsordn­ung und der Vertragsge­staltung ab. Eine Geltendmac­hung von Force majeure sollte strategisc­h gut überlegt sein, denn sie kann zu langwierig­en Verfahren führen.

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In der Kantine einer chinesisch­en Schuhfabri­k in Wenzhou sitzt nur eine einzige Arbeiterin. Wenn Lieferunge­n aus China ausfallen, kann es allzu leicht zu Rechtsstre­itigkeiten kommen.

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