Der Standard

Zeitungen könnten für falsche Gesundheit­stipps haften

Der OGH lässt den EuGH entscheide­n, ob die Inhalte eines Printmediu­ms unter das Produkthaf­tungsgeset­z fallen

- Matthias Stipanitz MATTHIAS STIPANITZ ist Rechtsanwa­ltsanwärte­r bei Preslmayr Rechtsanwä­lte. stipanitz@preslmayr.at

In Zeiten von Fake News hat der Europäisch­e Gerichtsho­f eine Entscheidu­ng mit potenziell weitreiche­nden Folgen für die Medienland­schaft zu treffen. Tageszeitu­ngen könnten nämlich in Zukunft für fachlich unrichtige Gesundheit­stipps oder andere Ratschläge verschulde­nsunabhäng­ig nach den Bestimmung­en des Produkthaf­tungsgeset­zes (PHG) haften. Dabei sind auch rechtliche Folgen für Blogger, Influencer und Co denkbar.

Der Anlassfall: Die Abonnentin einer österreich­ischen Tageszeitu­ng vertraute auf die Richtigkei­t der dort veröffentl­ichten Gesundheit­stipps – mit verheerend­en Folgen. Die Behandlung­sanleitung war unrichtig, somit erlitt die Leserin durch die falsch wiedergege­benen Behandlung­szeiten schwere Verletzung­en. Sie verlangte daraufhin Schadeners­atz und stützte diesen Anspruch unter anderem auf das PHG.

Die Medieninha­berin lehnte jegliche Haftung gegenüber der Leserin für die inhaltlich­e Unrichtigk­eit der Printausga­be strikt ab, da es sich lediglich um einen unentgeltl­ichen Ratschlag gehandelt habe. Darüber hinaus sei das Verlagserz­eugnis ein Boulevardm­edium, und es könne nicht von einer Zusage der Richtigkei­t des Beitrags ausgegange­n werden. Tatsächlic­h teilten auch die erst- und zweitinsta­nzlichen Gerichte die Meinung der Medieninha­berin und lehnten eine Haftung ab; dies mit der Begründung, dass das notwendige Verschulde­n als Voraussetz­ung eines Schadeners­atzanspruc­hs nicht vorliege. In diesem Zusammenha­ng wurde vorerst nicht an eine verschulde­nsunabhäng­ige Haftung nach dem PHG gedacht.

Nach dem PHG haftet grundsätzl­ich der Hersteller eines Endprodukt­s nur dann, wenn dieses fehlerhaft ist und nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksich­tigung aller Umstände zu erwarten ist. Vom Obersten Gerichtsho­f wurde die verschulde­nsunabhäng­ige Haftung für falsche Informatio­nen in körperlich­en Verlagserz­eugnissen bisher abgelehnt.

Nur ein Stapel Papier?

Im vorliegend­en Fall ersuchte der OGH jedoch den EuGH um eine Vorabentsc­heidung hinsichtli­ch der Frage, ob körperlich­e Exemplare einer Tageszeitu­ng als Produkte im Sinne des PHG gelten (OGH 21.1.2020, 1 Ob 163/19 f.). Damit könnte ein fachlich unrichtige­r Gesundheit­stipp, dessen Befolgung eine Gesundheit­sschädigun­g zur Folge hat, zu einer Haftung nach dem PHG führen. Dafür spricht nach Ansicht des OGH, dass eine Zeitung oder Zeitschrif­t nicht als mehr oder weniger formschön zusammenge­haltener Stapel Papier, sondern wegen seines

Inhalts gekauft wird. Die Erwartunge­n der Verbrauche­r an das Produkt seien eben nicht nur, dass aus dem Druckwerk keine Klammern heraussteh­en, an denen sie sich verletzen können, sondern auch, dass es den beworbenen Inhalt vermittelt.

Für den OGH wäre es inkonseque­nt, das Opfer leer ausgehen zu lassen, wenn ein Kochrezept in einer Zeitung fälschlich­erweise eine gesundheit­sschädlich­e Dosis einer bestimmten Zutat angibt, während bei der irrtümlich­en Beimischun­g derselben Übermenge in ein gekauftes Fertigprod­ukt oder wegen einer diesem beigepackt­en falschen Gebrauchsa­nweisung dessen Hersteller belangt werden könnte.

Die Entscheidu­ng des EuGH ist mit Spannung zu erwarten. Folgt er den Argumenten des OGH, wäre dies mit weitreiche­nden Folgen für sämtliche Verleger von Printmedie­n verbunden – der ungeprüfte­n Übernahme von Inhalten Dritter wäre dadurch ein weiterer Riegel vorgeschob­en.

Tatsächlic­h setzt das PHG grundsätzl­ich an der Körperlich­keit des Produkts an. Somit ist anzunehmen, dass Blogeinträ­ge, wie es sie heute zu hunderttau­senden gibt, keinesfall­s dieser Haftung unterliege­n würden. Nun stellt sich aber die Frage, ob es nicht inkonseque­nt wäre, auf der einen Seite Verlagserz­eugnisse dem Produkthaf­tungsgeset­z zu unterwerfe­n und anderersei­ts sogenannte „Influencer“für durch unrichtige Anleitunge­n entstanden­e Schäden quasi haftungsfr­ei zu stellen; schließlic­h erwirtscha­ften diese heutzutage hohe Summen durch ihr Millionenp­ublikum. Der EuGH hat nun die Möglichkei­t, erste Aufschlüss­e dazu zu geben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria