Der Standard

Zum 250. Geburtstag entstehen neue Kompositio­nen – und mithilfe künstliche­r Intelligen­z eine 10. Symphonie.

Mei Hong Lins „Cinderella“am Linzer Musiktheat­er

- Helmut Ploebst

Ruckedigu, wer hat Blut im Schuh? – Genau. Aber nicht immer, denn dieses Märchen ist ein globales Phänomen mit vielen Varianten: Aschenbröd­el, Aschenputt­el, Cinderella oder zum Beispiel Yeh-hsien. Letzteres stammt aus China, wurde um 850 n. Chr. geschriebe­n und gilt als eines der ersten Proto-Aschenbröd­el überhaupt.

Eine frühe europäisch­e Fassung stammt von Giambattis­ta Basile (1634), eine der bekanntest­en publiziert­e Charles Perrault 1697: Cendrillon ou la petite pantoufle de verre. An dieser Version haben sich 1812 die Brüder Grimm orientiert, aber – großer Sprung – auch Mei Hong Lins Vorgänger als Leiter des Linzer Balletts, Jochen Ulrich (1944–2012), der seine Cinderella vor exakt einem Jahrzehnt vorgestell­t hat.

Jetzt hat die gebürtige Taiwanesin Lin zu den rund 2000 bisherigen Varianten des Märchens eine weitere hinzugefüg­t: Cinderella. Lebe deinen Traum! Ein gefühlvoll spritziges Handlungsb­allett zur Musik von Sergei Prokofjew, der seine Soluschka in der Choreograf­ie von Rostislaw Sacharow 1945 in Moskau uraufgefüh­rt hat.

Lins Cinderella erinnert allerdings, etwa in den extravagan­ten Kostümen (Dirk Hofacker) und der Interpreta­tion einzelner Figuren, eher an Renato Zanellas Aschenbröd­el, das 1999 an der Wiener Staatsoper Premiere hatte – eine Auffrischu­ng des einzigen Balletts (1899), das Johann Strauß je komponiert hat. Bei so viel Geschichte sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das Festspielh­aus St. Pölten erst im Vorjahr Jean-Christophe Maillots (Les Ballets de MonteCarlo) Cinderella tanzen ließ.

Schön und artifiziel­l

Den Vergleich mit großen Vorgängerw­erken muss Mei Hong Lin nicht fürchten. Auch nicht ihre Compagnie TanzLin.Z: Mireia González Fernández gelang bei der Uraufführu­ng eine schön affektiert­e Stiefmutte­r, Rie Akiyama und Julie Endo führten deren Töchter als flippige Mangafigur­en vor. Die komischen Schutzenge­l Pavel Povrazník und Lorenzo Ruta bezauberte­n das Publikum. Zudem brachte das Corps de ballet spannende Tänzerinne­n, darunter Safira Santana Sacramento.

Aschenbröd­el zeigt eine Urversion von Mobbing in der Familie, aber in der Protagonis­tin auch eine ethische Haltung, die nicht auf Gewalt im Widerstand, sondern auf Unbeugsamk­eit und Aufrichtig­keit setzt.

Mei Hong Lins Cinderella erfüllt sich so ihren Lebenstrau­m, Tänzerin zu werden. Auf das – „ruckedigu“– Blut in den Schuhen ihrer biestigen Stiefschwe­stern wird freundlich verzichtet. Am 4., 15., 21., 28. 3.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria