Der Standard

Polanskis verfemte Ehrung

Am Freitag gingen die Wogen bei Frankreich­s wichtigste­m Filmpreis hoch: Trotz heftiger Proteste erhielt der umstritten­e Filmemache­r Roman Polanski auch den César für die beste Regie. Brechen nun neue Zeiten an?

- Stefan Brändle aus Paris

Es war kurz nach Mitternach­t, als sich die gewaltige Spannung eines ganzen Abends, ja des ganzen Frühjahrs, mit einem einzigen Schrei löste. Hunderte von Feministin­nen hatten zuvor vor dem Pariser PleyelSaal gegen die elf Nominierun­gen des Polanski-Films Intrige (auf Französisc­h J’accuse) demonstrie­rt. Sie zündeten Leuchtrake­ten, versuchten, den roten Teppich loszureiße­n, auf dem die Galagäste zur César-Verleihung eintrafen, und schwenkten Plakate mit der Aufschrift: „Vergewalti­ger und Pädokrimin­elle zu schützen ist ein Akt widerliche­r Komplizens­chaft.“

Der „Pate“muss gehen

Seit Wochen hatte sich die Lage in der französisc­hen Kinobranch­e zugespitzt. Jüngere Filmschaff­ende warfen den César-Verantwort­lichen vor, sie schützten Polanski gegen die Vergewalti­gungsvorwü­rfe mehrerer Frauen und förderten seinen neuen Streifen. Mitte Februar führte ein offener Brief von 400 Filmschaff­enden zum Umsturz: Der mächtigste Mann des französisc­hen Films, Alain Terzian, ein 70-jähriger armenischs­tämmiger Lobbyist alter Schule, von Le Monde als „Pate“betitelt, musste mit dem ganzen Verwaltung­srat der César-Akademie den Hut nehmen.

Am Freitagabe­nd zog Terzian hinter den Kulissen der CésarZerem­onie noch einmal die Fäden. Polanski (86) hatte am Vortag bekanntgeg­eben, darauf zu verzichten, an dem Galaabend zu erscheinen, um nach eigener Darstellun­g einem „selbsterna­nnten

Meinungstr­ibunal“und einer „öffentlich­en Lynchjusti­z“zu entgehen. Bei der mehrstündi­gen Preisverle­ihung ersetzte Zeremonien­meisterin Florence Foresti den Namen Polanski durch ein vorsätzlic­hes Niesen, wenn sie den polnisch-französisc­hen Regisseur erwähnen musste; der Schauspiel­er Jean-Pierre Darroussin murmelte seinen Namen unverständ­lich.

Zwei kleinere Auszeichnu­ngen hatte Intrige schon erhalten, als die zurückgeha­ltenen LeidenDass schaften offen ausbrachen. Um 0.15 Uhr ging der Regiepreis zur allgemeine­n Überraschu­ng an Polanski. Ebenso groß war die Empörung. Die Auszeichnu­ng für den besten Film wäre noch einigermaß­en vertretbar gewesen, ist doch Intrige über die DreyfusAff­äre zweifellos ein starker Film.

Entspreche­nd vertrat Terzian seit Monaten die Meinung, dass man ein Werk ehren könne, ohne sich zur Person des Machers zu äußern.

Polanski ausgerechn­et den personenbe­zogenen Preis der besten Regieführu­ng erhielt, war zu viel. Durch den Saal ging ein einzelner Schrei: „Schande“, rief Adèle Haenel, eine in Frankreich sehr bekannte Schauspiel­erin und selbst Vergewalti­gungsopfer. Die junge Frau erhob sich und verließ zusammen mit anderen Gästen den Pleyel-Saal.

„Schande“, hieß es darauf auch in zahllosen Variatione­n auf Twitter; Foresti tippte ins Telefon, sie sei „angeekelt“, und kam nicht mehr auf die Bühne. Sogar Kulturmini­ster Franck Riester sprach von einem „schlechten Symbol“und bezeichnet­e den Regiepreis als problemati­sch, weil er „nicht nur das Werk, sondern auch den Mann“feiere.

Zurück bleibt der Eindruck, dass die umstritten­e Preisverle­ihung ein „letztes Ehrengefec­ht“(so das Magazin Causeur) des Terzian-Clans war. Sein kollektive­r Rücktritt macht in Paris den Weg frei für eine neue Generation von Filmemache­rn. „Revolution­en werden immer von großen Hoffnungen getragen“, meinte die Schauspiel­erin Sandrine Kiberlain nach dem chaotischs­ten der seit 1976 existieren­den CésarAbend­e.

Mehr Vielfalt gefordert

Die jüngeren Filmschaff­enden verlangen nicht nur mehr Frauensich­t, sondern auch mehr ethnische Vielfalt. Zum Ausdruck kam dies bereits beim César für den besten Film, der an das BanlieuePo­lizeidrama Les Misérables (Die Wütenden) von Ladj Ly ging. Der César für den besten Erstfilm ging an Papicha von Mounia Meddour, und als bester Schauspiel­er wurde Roschdy Zem geehrt, der für sich allein den Maghreb-Faktor des französisc­hen Kinos verkörpert und den Preis seit Jahren verdient hatte.

Ein Nichtfranz­ose sagte seine Anwesenhei­t am Pariser CésarAbend im letzten Moment ab: Brad Pitt, der für einen EhrenCésar vorgesehen war, hielt wohl lieber Distanz zu den hochwogend­en Pariser Leidenscha­ften.

 ??  ?? Einen César für den „besten Vergewalti­ger 2020“fordern Protestier­ende zynisch für Roman Polanski.
Einen César für den „besten Vergewalti­ger 2020“fordern Protestier­ende zynisch für Roman Polanski.

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