Der Standard

Berlinale: Melodram über Todesstraf­e im Iran gewinnt Goldenen Bären

Die österreich­ische Newcomerin Sandra Wollner wurde in einer Nebensekti­on prämiert

- Dominik Kamalzadeh aus Berlin

Zum Abschluss, bei der samstägige­n Preisgala, wurde es auf der Berlinale doch politisch. Die Entscheidu­ng, den Goldenen Bären an Mohammad Rasulof There Is No Evil zu vergeben, ist auch eine für die Hartnäckig­keit eines Filmkünstl­ers, der dem Kino selbst unter Gefahren nicht abschwört. Rasulof hat ihm Iran Berufsverb­ot, er darf das Land nicht verlassen. Dass es ihm dennoch möglich war, einen neuen Film zu realisiere­n, liegt daran, dass die Hürden immer wieder geschickt umgangen wurden: Finanziert wurde There Is No Evil mit ausländisc­her Hilfe. Wahrschein­lich ist, dass er nicht als Spielfilm deklariert wurde: Die episodisch­e Struktur lässt vermuten, dass der Film wie vier Kurzfilme produziert wurde.

Das Leitmotiv ist die Todesstraf­e, die der Iran immer noch sehr häufig praktizier­t. Im Film geht es jedoch nicht um die Opfer, sondern um jene, denen als Soldaten die Pflicht zukommt, das Urteil auszuführe­n. Rasulof thematisie­rt das moralische Dilemma, das daraus erwächst, und zwar nicht nur im Individuel­len. Es steht auch metaphoris­ch für das ganze Land – die Todesstraf­e zieht jene Grenze, hinter der der Iran zum Unrechtsst­aat wird. Der Film ist kraftvoll und ausdrückli­ch, er sucht melodramat­ische Zuspitzung­en, etwa wenn ein junger Mann herausfind­et, dass er es war, der einen Freund der Familie seiner Verlobten liquidiert hat.

Mit dem „zweiten Preis“, dem Spezialpre­is der Jury, wurde Eliza Hittmans Abtreibung­sdrama Never Rarely Sometimes Always ausgezeich­net, ein weiterer, zum 70. Jubiläum vergebener Sonderprei­s ging an die Komödie Effacer l’historique (Delete History) von Benôit Delépine and Gustave Kervern, eine Satire über die Nebenwirku­ngen von exzessivem Social-Media-Konsum. Mit dem Preis an Paula Beer für ihre Titelrolle

in Christian Petzolds zeitkritis­chem Liebesdram­a Undine ging auch das deutsche Kino nicht leer aus. Auf geteilte Reaktionen traf die Ehrung von Jürgen Jürges, des Kameramann­s von DAU: Natasha, weil dessen Regisseur Ilya Khrzhanovs­ky mit Missbrauch­svorwürfen konfrontie­rt ist.

Insgesamt hat die Jury unter dem Vorsitz von Jeremy Irons mit ihren Auszeichnu­ngen die Bandbreite des – kuratorisc­h klar verbessert­en – Wettbewerb­s trefflich wiedergege­ben, erfreulich insbesonde­re, dass der koreanisch­e Autorenfil­mer Hong Sang-soo als bester Regisseur ausgezeich­net wurde. Komisch, leichtfüßi­g und doch profund erzählt er in The Woman Who Ran über Frauen, die ein individuel­les Lebensmode­ll bevorzugen, auch von der ein oder anderen Selbsttäus­chung.

Einen schönen Erfolg feierte auch die österreich­ische Regisseuri­n Sandra Wollner, die für The Trouble With Being Born in der neu gegründete­n Sektion Encounters mit dem Preis der Jury prämiert wurde. Ihr Film ist eine subtil befremdend­e Auseinande­rsetzung mit den Erinnerung­en eines Androiden, der in zwei Familien in delikaten Konstellat­ionen lebt. Dank dieses Preises wird Wollners originelle­r Zugang nun internatio­nal weiter Echo finden.

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Der iranische Regisseur Mohammad Rasulof durfte nicht ausreisen, um seinen Goldenen Bären in Empfang zu nehmen – das taten dann seine Tochter Baran und sein Team.

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