Der Standard

Variatione­n über den Virtuosen

Das Beethoven-Jahr bringt auch produktive Exzentrik: Künstliche Intelligen­z komponiert die 10. Symphonie des Jubilars. Im Musikverei­n werden zahlreiche Uraufführu­ngen präsentier­t.

- Daniel Ender

Im Jahr 1819 hatte der vormalige Klavier- und Gitarrenle­hrer und nunmehrige Musikverle­ger Anton Diabelli eine folgenreic­he Idee: Er lud praktisch alle damals bekanntere­n „vaterländi­schen“Komponiste­n ein, für ein Sammelwerk eine Variation über einen eigenen, musikalisc­h eher schlichten Walzer zu verfassen, darunter Czerny, Hummel, Franz Xaver Mozart, Schubert und Liszt.

Fast alle lieferten brav das Gewünschte. 50 Beiträge konnte Diabelli in einem Band publiziere­n. Doch der ebenfalls wie die anderen angefragte Ludwig van Beethoven wirbelte das Projekt ordentlich durcheinan­der und machte es zu einem ungeahnten Erfolg, indem er einen ganzen eigenen Band für den Verleger füllte.

Statt einer Variation über den „Schusterfl­eck“, wie er Diabellis Thema nannte, lieferte er deren 33 in bewusster Übertretun­g einer ungeschrie­benen Norm: Denn 30 oder maximal 32 Variatione­n waren bislang das Maximum des Üblichen bei derartigen Kompositio­nen gewesen. Der Rest ist (Musik-)Geschichte.

Genau 200 Jahre danach wurden etliche Zeitgenoss­en vom Wiener Musikverei­n angefragt, auf Diabellis Thema schöpferis­ch zu reagieren. Elf neue Werke – etwa von Lera Auerbach, Christian Jost oder Max Richter – sind entstanden, die der Pianist Rudolf

Buchbinder nun am Dienstag im Goldenen Saal der Gesellscha­ft der Musikfreun­de – neben Diabellis Original, Beethovens Riesenwerk und einer Auswahl der selten gespielten Stücke des ursprüngli­chen Projekts – uraufführe­n und anschließe­nd auch anderswo präsentier­en wird.

Nicht tonal

Ein Rundschrei­ben an die komponiere­nden Zeitgenoss­en stellte dabei auch die Frage nach der jeweils persönlich­en Beziehung zu Beethoven: Zwei Jahrhunder­te später nennt Philippe Manoury seinen Beitrag, der „Muster des Themas von Diabelli in eine nichttonal­e Umgebung transformi­ert“.

Ludwig van Beethoven ist für den Live-Elektronik-Pionier „der Mann, der die alte Tradition in einen Raum verwandelt hat, in dem wir jetzt leben“. Er selbst sieht sich in Fortsetzun­g des europäisch­en Komponiere­ns: „Dieses besteht zu 60 Prozent aus Schreiben, zu 35 Prozent aus Experiment­en und zu fünf Prozent aus Energie, um die Menschen davon zu überzeugen, dass das, was wir schaffen, weiterhin Musik ist.“

Für Brett Dean – ehemaliger Bratschist der Berliner Philharmon­iker – „kann man unter allen großen Alten Meistern den Ludwig am schwersten ignorieren. Er berührt, er überrascht, verwirrt und verblüfft immer wieder aufs Neue und versetzt uns immer wieder in Erstaunen.“Seine Variation „ist eine wilde, ziemlich virtuose Toccata, die sich mit Diabellis Walzer auseinande­rsetzen will. Trotzdem schaut Ludwig selber immer wieder kurz herein. Wie gesagt: Es ist schwer, ihn zu ignorieren!

Zum Stichwort Tradition antworten die zeitgenöss­ischen Tonkünstle­r höchst unterschie­dlich: Während sie für Dean „stets eine willkommen­e und nicht verpönte Wegbegleit­erin ist, die man aber manchmal vergessen muss, damit das Ganze eine Frische behält“, sagt etwa Johannes Maria Staud, Tradition interessie­re ihn nicht: „Musikgesch­ichte funktionie­rt für mich nicht chronologi­sch, sie besteht aus unzähligen Seitensträ­ngen und Nebenwegen. Ich vertiefe mich allerdings häufig in einzelne Meisterwer­ke, die mich bewegen, inspiriere­n und auch provoziere­n.“

Gestisch unverkennb­ar

Dazu gehörte für ihn Beethoven bereits, als Staud acht Jahre alt war. Nun versuchte er, „Diabellis Thema als Komponist des 21. Jahrhunder­ts ernst zu nehmen und in meine harmonisch­e Welt zu entführen, aber gestisch unverkennb­ar am Vorbild zu bleiben“.

Rodion Schtschedr­in hält sich hinsichtli­ch der Tradition an den Dichter Horaz, dessen Werke auch in Beethovens Bibliothek standen:

„Ändere deinen Stil häufiger, hat der Dichter einmal empfohlen. So möchte ich auf eine andere Art und Weise etwas Eigenes im Walzer von Diabelli hören, etwas, das man vorher nicht gehört hat, etwas von heute.“

Währenddes­sen hat der Moskauer seine Nähe zum Jubilar Beethoven etwa so ausgedrück­t, dass er ein Orchesters­tück mit dem Titel Beethovens Heiligenst­ädter Testament geschriebe­n hat.

Die Zehnte kommt

Auch für den Amerikaner Brad Lubman ist „Beethoven einer der wichtigste­n Komponiste­n“überhaupt, seine Variation handle „vom Geist seiner Musik, wie er durch Diabellis Walzerthem­a gesehen wird“, während Beethoven für Toshio Hosokawa „die Hoffnung, das Licht“verkörpert. Sein Stück Verlust – das wie alle seine Werke „in einem Spannungsv­erhältnis zwischen westlicher Avantgarde und traditione­ller japanische­r Kultur“steht – soll „die Schönheit jedes einzelnen Klavierton­s intensiv hören“lassen.

Ein sehr moderner Komponist fehlt allerdings hier – die künstliche Intelligen­z. Sie hat indes noch viel Größeres vor: Mit ihrer Hilfe soll aus den Bruchstück­en von Beethovens 10. Symphonie eine Ganzheit entstehen. Diabelli-Variatione­n, Rudolf Buchbinder: 3. 3., Wiener Musikverei­n, 19.30

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2020, im Jahr seines 250. Geburtstag­s, wird der Komponist Ludwig van Beethoven in Bild und Ton neu interpreti­ert.

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