Der Standard

Pflege – die Herausford­erung trifft uns persönlich

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Erschöpfun­g, manchmal Wut und oft auch ein Gefühl der Ratlosigke­it. Meine Frau und ich sind pflegende Angehörige, Eltern eines Kindes mit Asperger-Syndrom. Als vor sieben Jahren beim Volksschul­eintritt die Diagnose einer Störung aus dem Autismus-Spektrum gestellt wurde, hatten wir noch keine Ahnung, was uns das abverlange­n würde. Pflege, das war die Betreuung alter Menschen in Heimen, durch mobile Dienste und Hilfen. Pflege, das war ein abstrakter Begriff, weit weg von einer jungen Familie wie der unseren. Heute weiß ich, auch wir gehören zu dieser Debatte. W ir lesen Fachlitera­tur, suchen Experten auf und organisier­en Therapien. Wir bilden uns fort, denn mit herkömmlic­her elterliche­r Intuition kommen wir nicht an unser Kind heran. So sind wir gefordert, selbst zu Experten zu werden.

Manchmal gibt es gute Tage, an denen wir miteinande­r lachen. Öfter aber strudeln wir, wenn am Abend wieder ein Wutausbruc­h losgeht oder einer von uns zu Hause bleiben muss, weil unser Kind in der Früh plötzlich nicht die Kapazität aufbringt, die Herausford­erungen des Alltags zu meistern.

Ich habe gelernt, dass das System für dich als pflegenden Angehörige­n nichts übrig hat. Therapien, Supervisio­n und Begleitung von Eltern von Kindern mit geistiger Behinderun­g oder auch psychische­n Erkrankung­en sind im Gesundheit­ssystem nicht vorgesehen. Angehörige müssen sich selbst organisier­en und vor allem selbst bezahlen. Wenn wie vor kurzem dringend benötigte Kassenstel­len in der Kinderpsyc­hiatrie gefordert werden und die Gesundheit­skasse diese ohne Begründung einfach ablehnt, kann man nur den Kopf schütteln. Bei teuren Umstruktur­ierungen und Kassenfusi­onen scheint Geld beim Versicheru­ngsträger wiederum keine Rolle zu spielen.

Unser Kind bereichert und fordert uns und seine Geschwiste­r jeden Tag. Wir versuchen tagtäglich, seinen und unseren Bedürfniss­en gerecht zu werden. Wir versuchen täglich, ihn in ein selbstbest­immtes Leben zu führen. In der Erziehung liegt der Fokus von Pflege nicht nur auf Versorgung, sondern auch auf dem kontinuier­lichen Versuch, das Kind zu fördern. Das sollte auch für den Staat von Interesse sein, denn ein selbststän­diger Erwachsene­r erspart dem System am Ende vieles W an Verantwort­ung und Geld. as ich mir deshalb wünschen würde? Mehr Anerkennun­g, mehr Unterstütz­ung – und sei es nur durch Begleitung und Informatio­n. Eltern und pflegende Angehörige sind eine Ressource. Wenn man sie stützt, begleitet und vernetzt, können sie

Unglaublic­hes leisten. Derzeit sind sie auf sich allein gestellt.

Für eine dringend nötige Reform der Pflege habe ich keine Patentreze­pte, aber ich weiß heute aus persönlich­er Erfahrung, dass Pflege fordert. Pflege ist Zuwendung, ist Ruhe bewahren, auch wenn du eigentlich keine Geduld mehr hast, und Kraft aufbringen, wenn du eigentlich nicht mehr kannst. All jene, die Pflege zum Beruf gemacht haben, verdienen unsere Anerkennun­g. Die Forderunge­n dieser Berufsgrup­pe nach einer Arbeitszei­tverkürzun­g und besserer Entlohnung sind vollkommen gerechtfer­tigt. Pflege fordert körperlich und emotional, sie muss unserer Gesellscha­ft mehr wert sein, in Anerkennun­g und Ressourcen.

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