Kopf des Tages
Die Protestbewegung Gewöhnliche Menschen und unabhängige Persönlichkeiten kam bei der Wahl auf Platz eins. Die bisherigen Regierungsparteien erlitten ein Debakel, enttäuscht sind auch junge liberale Gruppen.
In der Slowakei gewann der ExUnternehmer Igor Matovič mit seinen Gewöhnlichen Menschen die Parlamentswahlen.
Die ersten Statements des frischgebackenen Wahlsiegers klangen wie die nahtlose Fortsetzung seiner Kampagne: „Jetzt sind wir die Mafia definitiv losgeworden!“, jubelte Igor Matovič, dessen Partei Ol’ano bei der Parlamentswahl in der Slowakei am Samstag mit 25 Prozent souverän den ersten Platz errungen hatte. Ol’ano ist die Abkürzung für Gewöhnliche Menschen und unabhängige Persönlichkeiten. Der bunt zusammengewürfelten Bewegung wird häufig vorgeworfen, keine klare ideologische Ausrichtung zu haben und damit ein unberechenbarer Faktor in der slowakischen Politik zu sein.
Doch nach dem Schock über den Mord am Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová vor zwei Jahren sowie den anschließenden Enthüllungen über einen Filz aus Politik und Geschäftemacherei,
der bis in höchste Regierungskreise reichte, war offenbar genau dies das richtige Rezept.
Die bisherigen Regierungsparteien hingegen erlitten ein Debakel. Die lange Jahre tonangebende linkspopulistische Smer von Ex-Premier Robert Fico stürzte auf 18,3 Prozent und Platz zwei ab. Im Vergleich zur letzten Wahl vor vier Jahren ist das ein Minus von mehr als zehn Prozentpunkten.
Ruf nach Veränderung
Ebenfalls wenig erfreulich ist das Ergebnis für die Koalitionspartner der Smer, die Slowakische Nationalpartei (SNS) und die liberale Most-Híd, die auch um Stimmen der ungarischen Minderheit gebuhlt hatte. Die Wählerinnen und Wähler haben auch sie abgestraft, beide haben den Wiedereinzug ins Parlament klar verfehlt.
Der Ruf nach Veränderung war bereits unmittelbar nach dem
Mord im Februar 2018 laut geworden. Die spontan entstandene Bürgerbewegung Für eine anständige Slowakei hatte damals die größten Kundgebungen seit der Wende des Jahres 1989 organisiert. Robert Fico trat binnen weniger Wochen als Premier zurück, ebenso sein Innenminister Robert Kaliňák.
Regierungschef wurde der Smer-Politiker Peter Pellegrini. Kritiker sahen diesen aber stets als Marionette von Fico, der weiterhin Parteichef blieb. Den Absturz der Smer jedenfalls konnte dieser Schachzug nicht stoppen. Bis zuletzt fand die Partei kein probates Mittel zur Verhinderung des sich abzeichnenden Wahldebakels.
Dem hoffnungsvollen Bündnis, bestehend aus der sozialliberalen Partei Progressive Slowakei (PS) und ihrem etwas konservativeren Partner Spolu, zu Deutsch Gemeinsam, wurde die für Wahlkoalitionen angesetzte Hürde für den Einzug ins Parlament zum Verhängnis. Einzelparteien brauchen dazu mindestens fünf Prozent, Wahlkoalitionen aber sieben. PS/Spolu landeten bei lediglich bei 6,97 Prozent.
Kiskas Alleingang
Geschafft hat es hingegen der liberale Ex-Präsident Andrej Kiska mit seiner Partei Za ľudí (Für die Menschen). Er erzielte 5,8 Prozent, was für den Einzug ins Parlament knapp reicht. Besonders bitter für PS/Spolu, die ein ähnliches Wählersegment ansprechen wie er: Beobachter hatten erwartet, dass beide bei einem gemeinsamen Antreten im Rennen um Platz eins hätten mitmischen können. Immerhin kam die PS bei der EU-Wahl 2019 auf Platz eins, die von ihr unterstützte Zuzana Čaputová hatte zuvor die Präsidentschaftswahl gewonnen. Kiska aber entschied sich für einen
Alleingang, was PS/Spolu entscheidende Stimmen kostete.
An dritter Stelle nach Ol’ano und Smer konnte sich die populistische Sme rodina (Wir sind Familie) positionieren. Sie gilt als sozialkonservativ, migrationsfeindlich und EU-skeptisch und kommt auf 8,2 Prozent. Die rechtsradikale Volkspartei Unsere Slowakei (ĽSNS), mit der aber niemand koalieren will,wurde mit acht Prozent Dritte. Auch die libertäre Freiheit und Solidarität (SaS, 6,2 Prozent) kommt ins Parlament.
In Anspielung auf die für slowakische Verhältnisse hohe Wahlbeteiligung von fast 66 Prozent hatte Igor Matovič stolz verkündet, er habe den „schlafenden Drachen geweckt“– den Nichtwähler. Mit den im Parlament verbliebenen Parteien der Ablehnungsfront gegen Fico eine Koalition zu zimmern wird aber auch für ihn nicht leicht sein. Kopf des Tages Seite 20