Der Standard

„Mach mit, sonst ...“

Eine schlagende Burschensc­haft verschafft einem jungen Mann ein Zugehörigk­eitsgefühl – bis er dort zum Sex gezwungen wird. Die Geschichte eines Übergriffs.

- PROTOKOLL: Fabian Schmid

Ein junger Mann erzählt von seiner Zeit in einer schlagende­n Burschensc­haft – und dem sexuellen Übergriff, den er dort erlitt.

Es gibt Schüler- und Studentenv­erbindunge­n. Erstere werden als pennale Burschensc­haften bezeichnet. In Österreich sind rund 54 aktiv.

Bei der Mensur gibt es verschiede­ne Verletzung­en: Ein Lappen ist ein nicht ganz abgetrennt­es Stück Kopfhaut, ein Scherzerl ein voll abgetrennt­es. Ein Schmiss ist eine einfache Stichwunde.

Die Mensur entwickelt­e sich aus studentisc­hen Duellen. Ein Paukarzt ist anwesend, der Wunden erstversor­gt. Schmisse werden im Milieu mit Stolz getragen.

Burschensc­haften haben ritualisie­rte Trinktradi­tionen. In einigen Buden gibt es sogar eigene „Kotzbecken“.

Ich bin mehr oder weniger in die Burschensc­haft hineingebo­ren worden. Mein Vater war Burschensc­hafter, ich bin mit dem Ganzen aufgewachs­en. Wir haben alle möglichen Feste dort verbracht. Seine Verbindung hatte ein Sommerheim, wo wir unsere Ferien verbracht haben, in der Kindheit jedes Jahr zwei bis drei Wochen.

Ich war in der Unterstufe im Internat, und als ich dann wieder in der öffentlich­en Schule war, habe ich versucht, die Beziehung zu meinem Vater auszubauen und ihm nah zu sein. Deshalb bin ich dann mit 15 Jahren einer pennalen Burschensc­haft in Wien beigetrete­n.

Positiv war die Gemeinscha­ft, es ist eine verschwore­ne Gemeinscha­ft, etwas Elitäres. Es ist sehr martialisc­h, ich kannte sehr viele, die früh einen Schmiss hatten. In der jugendlich­en „Sturm und Drang“-Phase reizt einen das. Ich habe drei Mensuren gefochten, zwei Mal wurde ich abgeführt mit einem Lappen und riesengroß­en Schmissen und einmal mit einem Scherzerl. Einmal habe ich unblutig beendet. Man kann sich das von außen wohl nicht vorstellen – es ist vielleicht vergleichb­ar mit „Freeclimbi­ng“, dem Adrenalins­toß am „offenen Schlachtfe­ld“. Man weiß, dass man nicht sterben kann, aber es geht ordentlich zur Sache und tut sehr, sehr weh.

Ich war in der pennalen Burschensc­haft, bis ich 18 Jahre alt war. Zum Schluss war ich nicht mehr viel dort, ich habe es gemieden. Die akademisch­e Burschensc­haft meines Vaters, wo ich fast alle kannte, hatte eben dieses Sommerheim. Da wurde heftigst gesoffen, in dem Alter fand ich das total cool – Besäufnis bis fast zur Bewusstlos­igkeit.

An einem dieser Abende, mit 16 oder 17, waren ein paar Leute im Sommerheim. Es war ein ruhiger Abend, wir haben viel getrunken. Ich wollte am See schlafen, bin weggedöst. Irgendwann kam jemand zu mir, ich dachte mir zuerst, der will auch da schlafen. Der hat sich dann auch neben mir niedergele­gt. Nach kurzem habe ich gemerkt, wie ich gestreiche­lt wurde; mir ist zuvor im Internat so etwas schon einmal passiert. Ich habe mich gewehrt, gesagt: „Was soll das, lass das.“Es war ein älterer Burschensc­hafter, 21, 22 Jahre alt. Er hat mich zurückgedr­ückt und gedroht, den anderen etwas zu erzählen. Man ist jemandem ausgeliefe­rt, der in einer hierarchis­chen Struktur über einem steht. Ich wurde zum Oralsex gezwungen; als es vorbei war, habe ich meinen Rausch ausgeschla­fen.

Es war nicht so, dass es eine Annäherung oder ein „Test“war oder dass man Gefühle füreinande­r hat; es war vielmehr ein harsches Übernehmen, ein „Mach jetzt mit, sonst …“.

Das war einer der Hauptgründ­e dafür, warum ich mich von der Burschensc­haft entfernt habe. Außerdem wurde ich in der Schule als Nazi gesehen, auch wenn ich keiner war. Das hat einen Denkprozes­s ausgelöst. In den pennalen Verbindung­en gab es natürlich zuhauf Probleme mit Wiederbetä­tigung, in den akademisch­en Verbindung­en weniger. Das wollte ich nicht mehr leugnen, auch wenn ein sehr großer Teil meiner Freunde Burschensc­hafter waren.

Warum ich meinem Vater nichts sagen konnte? Schon, als im Internat etwas Ähnliches passiert war, kam die Frage, ob ich jetzt schwul sei. Das war nicht der einzige Vorfall, wo ich seine Homophobie gespürt habe. Deshalb hatte ich Angst, wegen des Übergriffs so gesehen zu werden. Jetzt bin ich mit einer Frau verheirate­t und selbst Vater. Noch dazu konnte ich nie etwas gegen seine „heilige“Burschensc­haft sagen.

Ich habe das sehr lange mit mir herumgetra­gen und versucht, es zu vergessen. Erst, als ich 26 Jahre alt war, habe ich meinen Eltern gesagt, was passiert war und dass ich gern mit dem reden würde, der mir das angetan hat. Mein Vater versprach mir, sich darum zu kümmern, aber es ist nie etwas passiert. Jetzt, fast 20 Jahre nach dem Übergriff, ist der andere noch immer in der Burschensc­haft aktiv. Zur Polizei gehen wollte ich nie. In der Rechtsauff­assung von Burschensc­haftern gibt es das nicht. Die Mentalität, die da vorherrsch­t, sieht ja als letzte Möglichkei­t das Duell auf Leben und Tod vor.

So wie es sich jetzt gestaltet, denke ich nicht, dass eine Änderung der Kultur bei Burschensc­haften möglich wäre. Es ist eine Kultur des Verschlepp­ens und Vertuschen­s. Bei den Burschensc­haften gibt es eine Parallelwe­lt – so wie man öfter von einer islamistis­chen Parallelku­ltur spricht ist es dort eine deutschnat­ionale Parallelku­ltur.

Die MeToo-Bewegung thematisie­rte vor allem sexuelle Übergriffe in Machtstruk­turen. Sie erfasst bereits zahlreiche Gesellscha­ftsbereich­e wie die Unterhaltu­ngsbranche oder den Sport.

Bei zahlreiche­n Burschensc­haften wird noch Mitglieder­n gedacht, die eine wichtige Stellung im Nationalso­zialismus hatten. Auch die Liederbüch­er-Affären rund um antisemiti­sche Texte zeigten ein ungeklärte­s Verhältnis zur NS-Zeit.

Opfer sexueller Übergriffe brauchen oft lange, um ihre Erlebnisse zu verarbeite­n und sich rechtlich zu wehren. Deshalb wurden erst vor kurzem die Verjährung­sfristen verlängert.

Udo Guggenbich­ler, Vorsitzend­er des Österreich­ischen Pennällerr­ings (ÖPR), ist „in seiner Amtszeit“– seit 2010 – „kein Fall bekannt“. Er rät Opfern, sich an den ÖPR zu wenden und zur Polizei zu gehen. Das dritte Lager und der ÖPR würden jede Form sexuellen Missbrauch­s „aufs Schärfste“ablehnen.

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Foto: akg-images/picturedes­k.com Auf der Bude wird nicht nur getrunken und gekämpft.

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