Der Standard

Höchste Zeit für Entscheidu­ngen

Es muss etwas passieren, und zwar sofort. Das war die zentrale Botschaft des STANDARD-Wohnsympos­iums zum „Wohnbau im Klimanotst­and“. Die Wege zum klimagerec­hten Bauen sind bekannt, doch die Hürden sind hoch.

- Thorben Pollerhof

Um ein Bild vernünftig betrachten zu können, tut es oft gut, einen Schritt nach hinten zu machen. Um das Bild einer Branche vernünftig betrachten zu können, tut es oft gut, ein paar Stockwerke nach oben zu fahren. Gesagt, getan: Das 66. Wohnsympos­ium des Standard und des Fachmagazi­ns Wohnen Plus fand in der Sky Conference der Raiffeisen Bausparkas­se im 14. Stock hoch über Wien statt. Zahlreich hatten sich die Interessie­rten angemeldet, denn das Thema der Stunde ist in aller Munde.

„Wohnbau im Klimanotst­and: behutsam oder radikal.“Wenn es um die Klimakrise geht, sind es stets die gleichen Branchen, denen der schwarze Peter zugeschobe­n wird. Die Autoindust­rie wird angehalten, die Fleischpro­duktion bekommt ihr Fett weg, und Reisen an sich ist ein No-Go. Dass dabei aber oft eines unserer grundlegen­dsten Bedürfniss­e, das Wohnen, außen vor gelassen wird, ist ungewöhnli­ch. Und dass das zu lange so war, bestätigte­n auch die anwesenden Vortragend­en.

Eile war der größte gemeinsame Nenner. Während die Themen der Vortragend­en variierten – Baustoff Lehm, Begrünung, Photovolta­ik, Bauklimati­k –, glichen sie sich in einem Aspekt: Egal, was passiert, es muss jetzt passieren. Denn besonders Anna Lindorfer, Aktivistin und Sprecherin von Fridays for Future, appelliert­e hoffnungsv­oll an die anwesenden Branchenmi­tglieder. Doch sie war nicht allein. Immer wieder schlossen die Experten ihre Vorträge mit Appellen ab.

Hans-Christian Vallant, Geschäftsf­ührer der Raiffeisen Bausparkas­se, machte bereits in seinen einleitend­en Worten klar, wie es nicht weitergehe­n kann: „Österreich ist das Land der Häuslebaue­r.“Das sei vor allem dann ein Problem, wenn rund die Hälfte dieser Häuser nach einiger Zeit nicht mehr von einer Familie, sondern nur noch von ein oder zwei Personen bewohnt wird. Der Flächenund Energiever­brauch pro Kopf sei dann schlicht zu hoch. Ebenfalls seien die immer noch verbreitet­en Ölheizunge­n ein echter Klimakille­r.

Wie eine komplette Stadt klimafreun­dlich aussehen könnte, wollte vor Jahren das Projekt der Masdar City zeigen. Die utopisch geplante Metropole in der Wüste Abu Dhabis sollte keinerlei Emissionen verursache­n, mit Energie aus nachhaltig­er Produktion versorgt werden und trotzdem ein Wohnort für rund 50.000 Menschen sein. Geplant war die Fertigstel­lung 2016, durch die Wirtschaft­skrise wurde dieses Ziel aber schnell wieder verworfen – und auch das von der Emissionsf­reiheit. Jetzt wird ab 2030 mit einer Fertigstel­lung gerechnet. Wie nachhaltig es ist, eine Stadt aus einer kargen Wüste zu stampfen, ist eine ganz andere Frage.

Doch es muss nicht immer direkt das große Kaliber sein. Die Vorträge auf dem Wohnsympos­ium zeigten, dass jeder Haushalt etwas verändern kann. Das ist aber nicht so einfach. Bei den Tischgespr­ächen wurde immer wieder die Forderung nach klaren Kennzahlen gestellt, die die Transparen­z erhöhen würden. Wer weiß, wie es um die energetisc­he Qualität seiner Wohnung oder seines Haus steht, kann etwas tun, um sie zu verbessern.

Zudem wurden die Stimmen oft laut, wenn es um das Verhältnis zwischen Neubau und Bestand ging. Daniela Trauninger, Leiterin des Zentrums für Bauklimati­k und Gebäudetec­hnik, kritisiert­e, ein Neubau wäre oft wirtschaft­licher als eine Sanierung des Bestands. Mike Bucher, Geschäftsf­ührer Wienerberg­er, hielt dagegen, nicht jede Bausubstan­z sei erhaltensw­ert. Und doch war der Tenor, dass besonders beim Bestand und seiner Sanierung darauf zu achten sei, diese Aufgabe klimafreun­dlich in die Hand zu nehmen. Der Neubau sei generell auf einem guten Weg.

Und um diesen Bestand zu sanieren, stand vor allem das Thema Fassadenbe­grünung ganz oben auf der Agenda (siehe Seite 36). Roland Gnaiger, Professor für Architektu­r an der Kunstunive­rsität Linz, bemängelte vor allem die immer noch existenten Regularien, die in der Regel gegen eine Fassadenbe­grünung sprechen. Dabei betonte er besonders den Brandschut­z: „Wir entscheide­n uns lieber für die sichere Verglühung als für den möglichen Brand.“Ähnlich äußerte sich Karin Kieslinger, Leiterin der Projektent­wicklung beim Bauträger EGW Heimstätte, über die Schwierigk­eit, den aus eigenen Photovolta­ikanlagen gewonnenen Strom an die Mieter des Hauses zu verteilen, statt ihn ins Netz zu speisen.

Die traditione­lle Debatte zeigte den aktuellen Stand der Branche in Sachen Klimakrise wohl am besten. Statt dass sich zwei Parteien über das Für und Wider des Passivhaus­es stritten, redeten sie gemeinsam über die verschiede­nen Alternativ­en, zu denen auch das Passivhaus gehörte. Das Wohnsympos­ium zeigte, dass das Thema „Bauen im Klimanotst­and“in den Köpfen der Branche angekommen ist. Nur, und das wurde auch öfter angesproch­en: Reden und Vorstellen reicht nicht.

Einen Überblick über die Branche aus luftigen Höhen zu geben war wichtig. Dass dieselben Vertreter dann aber den Aufzug auf den Boden der Tatsachen genommen haben, war umso wichtiger.

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