Österreich sollte Geflüchtete aufnehmen
Die Türkei hat viele Flüchtlinge aufgenommen, doch an der offiziellen Zahl von 3,6 Millionen gibt es Zweifel. Auch die Anzahl derer, die sich nun nach Europa aufmachen, dürfte niedriger sein als vermutet. Klar ist aber: Es sind Menschen auf der Flucht, ke
Während in der nordsyrischen Provinz Idlib in diesen Tagen weiter schwere Kriegsverbrechen begangen werden, die Zivilbevölkerung bombardiert wird und eine Million Menschen vor den Kämpfen flüchten muss, hält die Türkei die strengstens bewachte Südgrenze nach Syrien geschlossen. Quasi im Gegenzug hat die türkische Regierung eigenen Angaben zufolge jetzt tausende Geflüchtete in Richtung Europäische Union passieren lassen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) spricht von bisher etwa 13.000 Personen, die sich im Niemandsland zwischen der Türkei und Griechenland aufhalten.
Bundeskanzler Sebastian Kurz betont das Primat des Grenzschutzes und der Verhinderung illegaler Migration, der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis hält die Grenze geschlossen und kündigt an, dass Griechenland einen Monat lang keine Asylanträge entgegennehmen werde, im offenen Widerspruch zu EU-Recht, wie auch das UNHCR festhält. Damit werden die Geflüchteten erneut zum Spielball außen- und innenpolitischer Interessen.
Aus Sicht der Migrationsforschung ist sowohl die Drohkulisse der Einreise von Geflüchteten, die hier aufgebaut wird, zu kritisieren als auch die mangelhafte empirische Basis für eine Situation, wie sie im Jahr 2015 entstanden ist. Im Gegenteil, die Lage 2020 erscheint absolut lösbar.
Falsche Zahlen
Die politische Inszenierung, die Aufnahme der Geflüchteten sei unmöglich, wird auch durch falsche Zahlen unterfüttert. Zwar hat die Türkei unbestritten die weltweit größte Zahl an Flüchtlingen aufgenommen, an der offiziellen Zahl von 3,6 Millionen Geflüchteten gibt es allerdings begründete Zweifel, wie Franck Düvell vom Berliner Dezim-Institut feststellt. Denn das UNHCR hat bis Februar 2019 lediglich 2,7 Millionen Geflüchtete erneut gezählt. Die tatsächliche Zahl der Geflüchteten in der Türkei liegt wahrscheinlich also fast eine Million niedriger als die kursierende Zahl.
Und auch die Zahl derer, die sich jetzt mit neuer Hoffnung auf den Weg nach Europa aufmachen könnten, liegt wohl viel niedriger als oft vermutet. Denn nur wenige haben sowohl die unmittelbare Absicht als auch die finanziellen Mittel, um nach Europa zu kommen. Eine vom Dezim-Institut durchgeführte Befragung von syrischen Geflüchteten in der Türkei zeigt, dass nur eine Minderheit der Syrerinnen und Syrer nach Europa kommen möchte. Laut den bislang unveröffentlichten Daten sagen 60 Prozent der Befragten, es würde ihnen und ihrer Familie in der Türkei besser gehen. Und mehr als 98 Prozent der Syrerinnen und Syrer sagen, sie hätten nicht die finanziellen Mittel für eine Weiterreise nach Europa. Anhand dieser Größenordnungen ist klar: Es geht um etwa 50.000 Geflüchtete aus Syrien, die in die EU kommen könnten. Vielfach haben sie hier bereits Familie und damit ein Netzwerk, das sie unterstützen kann.
Darüber hinaus wird in der österreichischen Politik gerne der Begriff der „illegadie
Grenzenlose Unzuverlässigkeit
Betrifft: „Flüchtlingsresettlement jetzt!“von Irene Brickner der Standard, 2. 3. 2020 Europa hatte genug Zeit, sich auf die Flüchtlingsströme einzustellen – und sich nicht nur auf die Türkei zu verlassen. Nur die Balkanroute zu schließen, das war eine kurzsichtige Politik. Peter Jürß
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Grenzenloser Grenzschutz
Mir fehlt jegliches Verständnis für jene Politiker, NGOs und Medien, die schon wieder laut darüber nachdenken, ob wir nicht doch wieder Flüchtlinge aufnehmen sollten. Wenigstens Frauen und Kinder. Haben die denn wirklich gar nichts kapiert?
Denn auch diesmal handelt es sich nicht nur um Flüchtlinge, sondern vor allem um Wirtschaftsmigranten sowie gewaltbereite Islamisten, die mit uns „Ungläubigen“ein großes Problem haben. Auch diesmal findet man nur wenige Frauen und Kinder, weil vor allem junge Männer. Und auch diesmal gibt es Medien, die uns inszenierte herzzerreißende Bilder ins Haus liefern, die uns von grenzenloser Menschlichkeit überzeugen sollen. Christian Stafflinger
4040 Linz len Migranten“benutzt, selbst wenn es ganz offensichtlich um Geflüchtete geht, wie jetzt in der Türkei. Das ist ein klarer Fall eines falschen Framings: Ein Phänomen wird in einen Kontext gesetzt, der der eigenen Erzählung nützt.
Falsches Framing
Sachlich betrachtet ist das falsch – denn das Recht, einen Asylantrag zu stellen, hängt nicht davon ab, ob jemand einen Einreiseoder Aufenthaltstitel hat. Das würde das bestehende Asylsystem ad absurdum führen, denn legale Wege nach Europa und humanitäre Visa sind die Ausnahme, nicht
Aus Kommentaren internationaler Tageszeitungen zur Lage an den EU-Außengrenzen:
(Zürich) Die großen Versager in dieser Krise sind aber nicht Athen und auch nicht Ankara. Es sind die europäischen Staaten (auch jene außerhalb der EU). Sie haben auch im Jahr fünf nach der großen Migration noch nicht begonnen, ein effizientes Asylsystem an Europas Grenzen zu installieren. Die Notwendigkeit der Trennung von Asylpolitik und Einwanderungspolitik ist nicht einmal als Problem wirklich erkannt.
(München) Als Nachbarland wird die Türkei noch lange mit der Last der Vertriebenen leben müssen, aber dafür muss Erdoğan alle erdenkliche Hilfe angeboten werden. Die Idee einer internationalen Schutzzone war überhastet geboren und lausig geplant worden. Schlecht war sie deshalb noch lange nicht. Freilich muss sich auch die Türkei bekennen, auf welcher Seite sie in diesem Krieg steht. Am Donnerstag in Moskau kann Erdoğan für Klarheit sorgen.
Regel. Wer mit dem Boot auf Lesbos, Chios oder Samos landet, wer an der griechischen Landgrenze einen Asylantrag stellt, hat nach EU-Recht und nationalem Recht einen Anspruch darauf, dass dieser Antrag entgegengenommen und behandelt wird. Daher auch die Strategie vieler Staaten, Geflüchteten den Weg bis an die europäischen Grenzen erst gar nicht zu ermöglichen.
Die Darstellung, es gehe hier um den Schutz der EU-Außengrenzen oder (in späterer Folge) der österreichischen Grenzen, ist eine Verdrehung der Tatsachen. Selbstredend ist es Aufgabe des Grenzschutzes, die Einreise von Personen zu prüfen und Personen ohne Einreiseerlaubnis, Aufenthaltstitel oder Asylgesuch zurückzuweisen. Wenn allerdings die große Mehrheit der Menschen, die da in der Kälte vor der griechischen Grenze ausharren, Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, Irak oder Iran sind, fällt dieses Argument in sich zusammen. Auch dass die Türkei zuständig wäre, ist rechtlich nicht haltbar, denn die Türkei ist kein sicherer Drittstaat – und wendet im Übrigen die Genfer Flüchtlingskonvention nicht auf diese Gruppen an.
Österreich in der Verantwortung
Es geht also um eine für die Europäische Union und für Österreich überschaubare Zahl von Menschen, die aus Syrien und anderen Ländern geflüchtet sind und gute Aussicht auf Asyl oder Subsidiärschutz haben.
Angesichts der kippenden Stimmung in der Türkei und in Griechenland, der unmittelbaren humanitären Krise an der Grenze in Evros sowie in den Lagern auf den griechischen Inseln sollte Österreich daher einlenken und sofort Geflüchtete aus Griechenland und der Türkei aufnehmen. Zum Beispiel Syrerinnen und Syrer aus der Türkei über das zuletzt ausgesetzte Resettlement-Programm. Österreich hat dazu das Know-how und die Kapazität.
Wenn jetzt die richtigen Weichen gestellt werden, wird Europa keine zweite „Flüchtlingskrise“erleben – eine ohnehin zynische Darstellung in Anbetracht dessen, dass die Belastung und die Not zuallererst die geflüchteten Kinder, Frauen und Männer schultern.