Größter Absturz an den Börsen seit der Lehman-Pleite
Handel an Wall Street kurz unterbrochen Ölpreis büßte mehr als 30 Prozent ein
Wien – Die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus und der Ölpreiskrieg zwischen Saudi-Arabien und Russland versetzten Anleger am Montag in Panik. Weltweit verzeichneten die Börsen massive Kursverluste. Der US-Index Dow Jones sackte zu Handelsbeginn um sieben Prozent ab. Das war der größte Verlust seit elf Jahren. Im März 2009 crashten die Märkte nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers. Der Handel an den US-Börsen wurde kurz unterbrochen, um die Panik einzudämmen.
In Europa verbuchten die Börsen in Italien und Griechenland mit einem Absturz von mehr als zehn Prozent die größten Kursverluste. Der Wiener Leitindex ATX gehörte mit einem Verlust von mehr als acht Prozent ebenfalls zu den größten Verlierern. „Die Börsianer können die Fülle der Hiobsbotschaften nicht mehr angemessen verarbeiten“, sagte Thomas Böckelmann vom Vermögensverwalter Euroswitch. Vielmehr werde der Ur-Fluchtinstinkt geweckt, der skurrile Züge annehme, ob vor dem Supermarktregal oder an den Börsen. Eine der Hiobsbotschaften kam von Sentix. Das Stimmungsbarometer für die weltweite Konjunktur sackte ab. Nie zuvor war ein so starker synchronisierter Einbruch der Weltkonjunktur in den Sentix-Daten messbar, heißt es. (red)
Der Ölpreis ist von Sonntag auf Montag um mehr als 30 Prozent gefallen. Das war die größte Korrektur seit 1991, als der Zweite Golfkrieg ausgebrochen ist. Hinzu kommt die Panik wegen der wirtschaftlichen Folgen des sich ausbreitenden Coronavirus. Anleger stürmten am Montag aus dem Markt – der Ausverkauf ist voll im Gang. Übrigens zum dritten Mal, auch die Börsencrashs der Jahre 1929 und 1987 ereigneten sich zu Wochenbeginn.
Frage: Was hat den Ölpreissturz ausgelöst? Antwort: Ein Nichtbeschluss. Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) bzw. deren wichtigstes Mitglied Saudi-Arabien hat sich am Wochenende von Russland eine Abfuhr geholt, ab April weniger Rohöl zu produzieren, um damit die Preise zu stützen. Das im Dezember 2019 zwischen dem Ölkartell und anderen Förderländern um Russland verlängerte Abkommen, das eine tägliche Produktionskürzung um 2,1 Millionen Fass am Tag im Vergleich zu 2018 vorsah, läuft Ende März aus.
Frage: Warum traten die Saudis noch bis vor kurzem für höhere Preise ein, hingegen Russland für moderatere?
Antwort: Darüber kann nur spekuliert werden. Saudi-Arabien, das mit Milliardenaufwand sein Wirtschaftssystem umstellen will, um damit weniger abhängig von Ölexporten zu werden, benötigt für einen ausgeglichenen Staatshaushalt laut Schätzungen Preise über 80 Dollar je Fass (139 Liter). Russland sieht die Chance gekommen, mit moderaten Preisen die US-Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Schieferölproduzenten aus den USA gelten als Profiteure der im Herbst 2016 fixierten Vereinbarung zwischen Opec- und Nicht-Opec-Ländern, genannt Opec plus. Das Volumen des Öls, das durch Verlängerungen des Abkommens reduziert wurde, sei auf dem Weltmarkt weitgehend durch US-Schieferöl ersetzt worden.
Frage: Wie geht es US-Schieferölerzeugern? Antwort: Zumindest besser, als manche vermuten, sagt David Wech, Chef der Wiener Energieagentur JBC Energy. Das sei die Folge einer Konsolidierung und von Kostensenkungsmaßnahmen, die bei früheren Preiseinbrüchen passiert sind. Inzwischen seien auch einige große Ölkonzerne in die Schieferölproduktion eingestiegen, die über genug Finanzkraft verfügten, um auch niedrige Preise durchzustehen. Weil Präsidentschaftswahlen in den USA anstehen, werde wohl auch die Regierung in Washington helfend einspringen, um den Verlust von Arbeitsplätzen im Ölsektor zu vermeiden.
Frage: Warum die 180-Grad-Wende der Saudis? Antwort: Dazu gibt es mehrere Theorien. Eine lautet, dass die Saudis möglichst rasch großen Druck aufbauen möchten, um andere Produzentenländer an den Verhandlungstisch zurückzuzwingen und auf Linie zu bringen – sprich den Plan einer zusätzlichen Produktionskürzung mitzutragen.
Frage: Die russisch-saudische Achse hat seit 2016 gut funktioniert, warum jetzt nicht mehr? Antwort: Neben unterschiedlichen Annahmen, wie sich angesichts der Coronakrise und wirtschaftlicher Schwäche die Ölnachfrage entwickeln wird, dürfte die Chemie zwischen den Verhandlern auf saudischer und russischer Seite nicht mehr stimmen. Mit Prinz Abdulaziz bin Salman gibt es erstmals jemand aus der Königsfamilie, der das Ölgeschäft verantwortet – er verfügt angeblich über weniger Fingerspitzengefühl als sein geschasster Vorgänger Khalid al-Falih. Dieser konnte mit seinem russischen Gegenüber Alexander Nowak sehr gut. Bin Salman ist anders. „Die Russen lassen sich nicht vorschreiben, was sie tun sollen“, bringt es ein Experte auf den Punkt.
Frage: Wie lange kann Saudi-Arabien seine Linie halten und aus vollen Rohren produzieren? Antwort: „Sicher ein bis zwei Jahre, wenn sie es wirklich wollen,“sagt David Wech von JBC Energy. Er verweist auf die niedrigen Produktionskosten der Saudis und auf die Tatsache, dass mit vergleichsweise wenig Aufwand zusätzliche Bohrungen im
Wüstensand vorgenommen werden können. Durch versprochene Rabatte auf den offiziellen Ölpreis will Saudi-Arabien ab April Marktanteile gewinnen, insbesondere zulasten russischer sowie US-Erzeuger.
Frage: Die Börsen sind am Montag abgestürzt. Liegt das nur am Ölpreisschock?
Antwort: Nein. Der Ölpreisschock zeigt, dass die Börsen wegen des Coronavirus eine globale Rezession einpreisen. Die Zahl der Infizierten steigt rasant. Mehr als 100 Todesfälle an einem Tag in Italien und großräumige Absperrungen schüren die Panik.
Frage: Wie stark fielen die Kursverluste aus? Antwort: Weltweit kannten die Börsen am Montag nur eine Richtung – nach unten. Die US-Börsen sackten zum Handelsstart mehr als sieben Prozent ab, worauf der Handel für 15 Minuten unterbrochen wurde. In Europa verloren die Börsen im Verlauf zwischen fünf und mehr als zehn Prozent. Am stärksten in Europa waren Italien und Griechenland betroffen. Dort sackten die Leitindizes zeitweise um mehr als zehn Prozent ab. Weil Investoren eine Wirtschaftskrise fürchten, wollen jetzt alle zeitgleich aus dem Markt. „Die Panik am Markt ist jetzt spürbar“, sagt Robert Karas, Chief Investment Officer der Gutmann-Privatbank. Die gestiegene Volatilität werde die Märkte länger begleiten. „Historisch betrachtet, sorgte der März oft für Wendepunkte an den Börsen“, sagt Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin Private Banking der Unicredit Bank Austria. Am 10. März 2000 platzte die Dotcom-Bubble und schickte die Märkte auf eine Talfahrt. Am 9. März 2009 markierte die Wall Street ihr Tief nach der Finanzkrise, bevor es wieder aufwärts ging.
Frage: Sind Rezessionsängste berechtigt? Antwort: Die Gefahr einer weltweiten Rezession ist gegeben, weil wichtige Branchen wie der Tourismus bereits eingebrochen sind. Auch andere Industriezweige leiden, weil Lieferketten unterbrochen sind. In so einer Krisenstimmung warten viele ab, verschieben Investitionen auf später. Das ist schlecht für die Konjunktur. Eine genauere Aussage wird man erst treffen können, wenn die Zahlen für März auf dem Tisch liegen. Die Angst vor einer globalen Rezession ist aber real. Das zeigen Zahlen der Investmentberatungsfirma Sentix, die am Montag einen beispiellosen Einbruch ihres Barometers innerhalb eines Monats in allen Weltregionen gemeldet hat. Demnach fiel der globale Konjunkturindex im März von plus 8,1 Zählern auf minus 12 Punkte zurück. Nie zuvor ist ein so starker synchronisierter Einbruch der Weltkonjunktur im Sentix messbar gewesen.
Frage: Wie reagierten die wichtigsten Währungen auf die Tumulte der Finanzmärkte? Antwort: Der Dollar neigt wegen der in der Vorwoche erfolgten Zinssenkung der USNotenbank Fed um einen halben Prozentpunkt zur Schwäche, der Euro erreichte den höchsten Stand seit etwa einem Jahr. Dadurch wird der Verfall des Ölpreises – in Euro gesehen – sogar noch verstärkt. Auf den höchsten Stand seit 2015 ist der Schweizer Franken gestiegen, der als sicherer Hafen für turbulente Zeiten gilt. Für einen Euro waren nur 1,06 Franken zu berappen. Mit dem Anstieg des Franken erhöht sich auch die Restschuld jener österreichischen Haushalte, die Ende 2019 noch mit 13 Milliarden Euro in Franken verschuldet waren.
Frage: Warum profitieren Staatsanleihen und Gold in dieser Situation?
Antwort: Auch in Staatsanleihen guter Bonität flüchten Anleger in Krisenzeiten. Sie sind sogar bereit, dafür negative Renditen von minus 0,8 Prozent für zehnjährige deutsche Schuldpapiere in Kauf zu nehmen. Verkauft werden Titel weniger solider Schuldner: Die Rendite zehnjähriger, italienischer Staatsanleihen kletterte mit fast 1,4 Prozent auf ein Zweijahreshoch. An den Finanzmärkten gilt auch Gold als Zufluchtsort in Krisen, mit mehr als 1700 US-Dollar für eine Feinunze erreichte der Preis zeitweise den höchsten Stand seit sieben Jahren.