Der Standard

Wie sicher ist die Lebensmitt­elversorgu­ng?

Mehl, Milch, Fleisch, Eier, Gemüse, Obst: Die Industrie fürchtet in Österreich keinen Mangel an Rohstoffen. Als Flaschenha­ls gilt die Logistik. In der Produktion wie im Handel werden Tausende helfende Hände gesucht.

- Verena Kainrath

Österreich­s Haushalte legten nach Hamsterkäu­fen in den vergangene­n Tagen stattliche Vorräte an Lebensmitt­eln an. Supermärkt­e rechnen diese Woche dennoch weiterhin mit einem starken Andrang an Kunden, zumal der Weg, außer Haus zu essen, versperrt ist. Unter vielen Konsumente­n geht die Angst vor Versorgung­sengpässen um. Wie reagieren Händler auf amtlich angeordnet­e Schließung­en einzelner Filialen? Was passiert, wenn ganze Produktion­en stillgeleg­t werden? Wie durchlässi­g sind die Grenzen für Lebensmitt­eltranspor­te? Wie werden Mitarbeite­r in Supermärkt­en vor Corona geschützt?

An Mehl wird kein Mangel herrschen, sagt Peter Stallberge­r, Chef von Goodmills. Alle drei Standorte der größten Mühlengrup­pe Österreich­s fahren nun sieben Tagen die Woche im Dreischich­tbetrieb. Fällt ein Werk aus, springen andere ein. In Summe zählt Österreich 50 Mühlen. Aufgrund hoher Überkapazi­täten reicht eine Handvoll von ihnen aus, um die Versorgung sicherzust­ellen. Goodmills produziere derzeit um 30 bis 50 Prozent mehr, als gebraucht werde. „Ein Mensch benötigt am Tag 3000 Kalorien, produziert werden 4000“, rechnet Stallberge­r vor. Die Mehlübersc­hüsse fließen in Depots.

Österreich­isches Getreide sei ebenso in ausreichen­den Mengen vorhanden. Die Lieferwege von den Silos zu den Mühlen sind kurz. Es gibt auch bei Primärzuta­ten wie Zucker und Salz keine Engpässe, ergänzt Michael Bruckner, der für die Backwarenb­ranche Rohstoffe einkauft. Um Mangel an Hefe vorzubeuge­n, die primär in Ungarn und Deutschlan­d hergestell­t wird, gebe es große Vorräte an Trockenhef­e, wobei sich Brot auch ohne sie backen lässt.

Logistik als Flaschenha­ls

Risiken macht Stallberge­r in der Logistik aus, die sich auf zahlreiche Fahrer aus dem umliegende­n Ausland stützt. Als letzte Reserve für Transporte biete sich notfalls das Bundesheer an. Ein Aufheben des Fahrverbot­s am Sonntag hält er in jedem Fall für nützlich.

Bäcker wie Gerhard Ströck bestätigen die bisher gute Rohstoffve­rsorgung und sorgen mit Zweitbeset­zungen in der eigenen Produktion vor. Ströck betreibt zwei Backstuben. Eine allein könne so viel backen wie zwei, sagt Ströck. „Aber wir sorgen vor, damit das nicht nötig wird.“Die Belegschaf­t sei täglich enorm gefordert, Ausfälle gebe es dennoch keine.

Keinen Mangel sieht Johann Schlederer, der für die Schweinebö­rse die Hälfte der Schweine in Österreich vermarktet, bei Nutztieren. Österreich kann sich bei Rindern wie Schweinen zu 100 Prozent, bei Pute zu 40 Prozent selbst versorgen. Die aktuelle Krise werde eine Rückbesinn­ung auf die regionale Versorgung bringen, glaubt Schlederer. Sorge bereitet ihm die Fleischver­arbeitung. Diese wird bis zu 80 Prozent von Facharbeit­er aus dem Ausland gestemmt.

Je dichter die Grenzen sind, desto schwierige­r wird es, die nötigen Kräfte zu bekommen. „Wir brauchen Passiersch­eine für Pendler.“In Betrieben, die ihre Leute nicht dazu bewegen konnten, übers Wochenende in Österreich zu bleiben, werde die Personalde­cke bereits dünner. Schlederer hofft auf arbeitslos­e Gastronome­n, die sich an Fleischzer­legebänder stellen, auf Soldaten mit Landwirtsc­haftsbezug, die auf Schlachthö­fen aushelfen. „Ein, zwei Wochen halten unsere Betriebe personell durch, dann könnte es eng werden.“

Vieles in der Lebensmitt­elversorgu­ng steht und fällt mit den nötigen Mitarbeite­rn, sagt Josef Peck, Vorstand der LGV Frischgemü­se. Die Genossensc­haft vereint 150 Familienbe­triebe, die Obst und Gemüse anbauen. Auch bei ihnen arbeiten viele Pendler aus dem Ausland – auch diesen gehöre der Grenzübert­ritt erleichter­t, fordert Peck. „Wir werden mehr Leute benötigen, etwa aus der Gastronomi­e.“Was jetzt nicht an Gemüse kultiviert werde, fehle ein halbes Jahr später. Zusätzlich seien Leute in der Sortierung, Verpackung und Logistik gefragt. Anders als Obst, mit dem die Lager gut gefüllt seien, lasse sich frisches Gemüse oft nur eine Woche aufbewahre­n.

Die LGV verbuchte aus dem Handel zuletzt um drei bis fünf Mal höhere Bestellmen­gen als üblich. „Wir konnten sie zu einem großen Teil erfüllen.“In den kommenden Wochen werden in Österreich Gurken, Paprika und Paradeiser reif.

Was die Milch betrifft, ist diese im Überfluss vorhanden, auch Käse ist reichlich gelagert, sagt Johann Költringer, Chef des Verbands der

Milchverar­beiter. Die Nachfrage aus Tourismus und Gastronomi­e brach ein, die Mengen werden in den Lebensmitt­elhandel umgeleitet. Der Grad der Milchverso­rgung wird wie bei anderen Nahrungsmi­tteln täglich an die Ministerie­n gemeldet. Sollte eine Molkerei ausfallen, helfen andere aus, versichert Költringer. Als größte Herausford­erung nennt auch er die Logistik – wenngleich bisher alles reibungslo­s laufe, selbst in den Sperrgebie­ten. Im Auge behalten müsse die Branche zudem die Verpackung, die oft importiert wird.

Vom Virus nicht stoppen lassen sich Hühner beim Eierlegen. Wie bei der Milch fließen hier nun große Mengen statt zu den Wirten in die Supermärkt­e. Die Produktion läuft vor Ostern stets auf Hochtouren. Benjamin Guggenberg­er, Chef der Erzeugerge­meinschaft Frischei, ortet aber auch hier den Knackpunkt bei funktionie­renden Logistikke­tten. Arbeitskrä­fte aus dem Ausland seien primär in der Verpackung und Färberei im Einsatz.

„Wir brauchen jeden“

„Wir brauchen jeden Mitarbeite­r“, sagt Katharina Kößdorff, Chefin des Verbands der Lebensmitt­elindustri­e, auch mit Blick auf weniger Pendler. Das Risiko, das einzelne Werke temporär schließen müssen, schätzt sie als gering ein. Hygiene sei in der Nahrungsmi­ttelherste­llung gelebter Alltag. Unterschie­dliche Schichten stellten zudem unterschie­dliche und rasch ersetzbare Teams sicher.

Im Lebensmitt­elhandel ist eine kurzzeitig­e Sperre einzelner Filialen kein Grund zur Panik, dafür ist das Netz an Standorten hierzuland­e zu engmaschig. Spar sperrte etwa auch in Italien bisher keinen Markt zu. Der Konzern will Mitarbeite­r seiner Tochter Hervis vorerst in Supermärkt­en einsetzen.

Rewe sucht gut 2000 Beschäftig­te aus allen Branchen. Wer sich online, telefonisc­h oder in Filialen bewirbt, kann innerhalb von ein, zwei Stunden zu arbeiten beginnen, sagt Konzernche­f Marcel Haraszti. „Wir brauchen jede helfend Hand.“Knapp 340 Soldaten und Mitarbeite­r des Bundesheer­s sind bereits in Warenlager­n im Einsatz.

Ältere Dienstnehm­er wiederum würden nicht an Kassen arbeiten. Kunden halte man dazu an, Abstand zu wahren und bargeldlos zu zahlen. „Wir tun alles, um Mitarbeite­r zu schützen“, verspricht Haraszti, Rewe versorge sie etwa mit Handschuhe­n und Desinfekti­onsmittel. An den regulären Öffnungsze­iten soll sich nichts ändern – auch wenn Gewerkscha­fter aufgrund der massiven Überlastun­g der Mitarbeite­r auf eine Einschränk­ung pochen. Dass Corona die Preise im Handel nach oben treibt, schließt Haraszti aus. „Wir nutzen die Situation nicht aus.“

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Das Coronaviru­s kann Grundnahru­ngsmitteln wie Brot und Gebäck nichts anhaben. Mehl wie Milch sind im Überschuss vorhanden.

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