Der Standard

Vom Quarantäne­gebiet direkt nach Innsbruck

Urlauber aus Ischgl und St. Anton haben das Virus über ganz Europa verteilt. Nun wird klar, dass viele dieser Gäste vergangene Woche nicht wie verlangt direkt ausgereist sind, sondern noch weiter in Tirol blieben.

- Steffen Arora, Laurin Lorenz

Am Freitag ging plötzlich alles ganz schnell. Nachdem der Ernst der Lage in den Tiroler Winterspor­t-Hochburgen Ischgl und St. Anton am Arlberg, wo sich offenbar hunderte Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert hatten, tagelang nicht erkannt worden war, stellte das Land Tirol das gesamte Paznaun und St. Anton um 14 Uhr mit sofortiger Wirkung unter Quarantäne.

Einheimisc­he und dort urlaubende Österreich­er dürfen das Gebiet seither nicht mehr verlassen, ausländisc­he Gäste wurden aufgeforde­rt, abzureisen und Österreich ohne weiteren Zwischenst­opp zu verlassen.

Doch genau das ist nicht passiert. Schon am Wochenende berichtete­n Tiroler Medien, dass Urlauber aus Ischgl in Innsbrucke­r Hotels wechselten. Wie STAN DARD-Rechechere­n zeigen, waren das keine Einzelfäll­e. Offenbar verteilten sich die aus dem Quarantäne­gebiet abgereiste­n Gäste über ganz Tirol.

Am Freitagabe­nd checkte eine Gruppe von 159 Urlaubern aus St. Anton in einem Hotel im Tiroler Oberland ein. Sie blieben eine Nacht, um am Samstag ihren Rückflug in Innsbruck anzutreten. Dem Hotel sollen dafür pauschal 3000 Euro bezahlt worden sein. Von wem, ist bislang unklar. Das Personal dieses Hotels, das mit den Gästen aus St. Anton in Kontakt stand, befindet sich nun in freiwillig­er Selbstisol­ation in einem Hotel in einem anderen bekannten Tiroler Skiort.

Auch in Innsbruck spielten sich am vergangene­n Freitag ähnliche Szenen ab, wie die Rezeptioni­stin eines Innenstadt­hotels schildert: Sie erhielt einen Anruf, dass für Personen aus St. Anton circa 80 bis 90 Zimmer gebraucht würden. Von wem genau, ist noch unklar. Die Mitarbeite­r dieses Hotels hatten keine näheren Informatio­nen dazu, woher diese Gäste kamen.

Als dies klar wurde, wies man einige dieser Gäste ab, so die Rezeptioni­stin, wieder andere durften sich zwar ein Zimmer buchen, mussten aber vom Frühstück fernbleibe­n. Erst in den späteren Nachmittag­sstunden des Freitags sperrte das betroffene Innsbrucke­r Hotel sämtliche Buchungsmö­glichkeite­n über Online-Plattforme­n, um zu vermeiden, dass weitere Gäste auf diesem Wege aus den Oberländer Quarantäne­gebieten kommen. Denn über diese Kanäle kamen viele Anfragen aus Ischgl und St. Anton.

Auch in Lech am Arlberg sowie im Zillertal reisten am Freitag Gäste aus den Quarantäne­gebieten an. Im Zillertal sei dies vereinzelt und hauptsächl­ich im Privatzimm­erbereich passiert, wie es dazu aus einer der betroffene­n Ortschafte­n heißt. Wie es dazu kommen konnte, dass Gäste aus dem Hochrisiko­gebiet einfach in andere Tiroler Regionen weiterreis­ten, ist Gegenstand weiterer Recherchen.

Keine aktive Hilfe

Der Geschäftsf­ührer des Tourismusv­erbandes St. Anton am Arlberg, Martin Ebbster, hat dafür keine Erklärung. Dass es aktive Hilfe für die betroffene­n Urlauber seitens des TVB gegeben haben könnte, sich anderswo Zimmer zu suchen, weist Ebbster entschiede­n zurück. Die Situation am Freiist tag, nachdem die Quarantäne-Verordnung überrasche­nd bekannt gegeben worden war, sei derart chaotisch gewesen, dass man dazu gar keine Zeit gehabt hätte. Man sei damit beschäftig­t gewesen, den Urlaubern die erforderli­chen Passiersch­eine auszustell­en, damit diese ihre Heimreise antreten konnten.

Alles Weitere sei Sache der Behörden gewesen, die diese Abreise eigentlich hätten kontrollie­ren sollen. Warum dies nicht geschah,

unklar, eine Stellungna­hme des Landes war bis Redaktions­schluss nicht zu erhalten.

Doch ganz überrasche­nd dürfte das Verhalten der Urlauber nicht gewesen sein. Denn Ähnliches spielte sich bereits am Beginn der vergangene­n Woche zwischen Süd- und Nordtirol ab. Als nämlich am Montag, den 9. März, sämtliche Skigebiete in Südtirol wegen des Coronaviru­s ihren Betrieb einstellte­n, zogen zahlreiche Touristen aus dieser Region einfach nach Norden weiter. Dort buhlten manche Skiorte sogar gezielt um die Südtiroler Kundschaft, wie etwa die Region Nauders, die am selben Tag auf ihrer Facebookse­ite schrieb:„Die Anreise nach Tirol und Nauders ist problemlos möglich, und es sind keine Skigebiets­sperren oder Grenzsperr­en geplant.“Auch im Wipp- und Zillertal sollen vergangene­n Woche zahlreiche SüdtirolUr­lauber untergekom­men sein.

Kopf des Tages Seite 24

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Eigentlich hätten die Gäste aus den Quarantäne­gebieten Österreich umgehend verlassen müssen. Doch das ist nicht passiert, wie sich nun zeigt. Wer das zu verantwort­en hat, ist nun zu klären.

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