Vom Quarantänegebiet direkt nach Innsbruck
Urlauber aus Ischgl und St. Anton haben das Virus über ganz Europa verteilt. Nun wird klar, dass viele dieser Gäste vergangene Woche nicht wie verlangt direkt ausgereist sind, sondern noch weiter in Tirol blieben.
Am Freitag ging plötzlich alles ganz schnell. Nachdem der Ernst der Lage in den Tiroler Wintersport-Hochburgen Ischgl und St. Anton am Arlberg, wo sich offenbar hunderte Menschen mit dem Coronavirus infiziert hatten, tagelang nicht erkannt worden war, stellte das Land Tirol das gesamte Paznaun und St. Anton um 14 Uhr mit sofortiger Wirkung unter Quarantäne.
Einheimische und dort urlaubende Österreicher dürfen das Gebiet seither nicht mehr verlassen, ausländische Gäste wurden aufgefordert, abzureisen und Österreich ohne weiteren Zwischenstopp zu verlassen.
Doch genau das ist nicht passiert. Schon am Wochenende berichteten Tiroler Medien, dass Urlauber aus Ischgl in Innsbrucker Hotels wechselten. Wie STAN DARD-Rechecheren zeigen, waren das keine Einzelfälle. Offenbar verteilten sich die aus dem Quarantänegebiet abgereisten Gäste über ganz Tirol.
Am Freitagabend checkte eine Gruppe von 159 Urlaubern aus St. Anton in einem Hotel im Tiroler Oberland ein. Sie blieben eine Nacht, um am Samstag ihren Rückflug in Innsbruck anzutreten. Dem Hotel sollen dafür pauschal 3000 Euro bezahlt worden sein. Von wem, ist bislang unklar. Das Personal dieses Hotels, das mit den Gästen aus St. Anton in Kontakt stand, befindet sich nun in freiwilliger Selbstisolation in einem Hotel in einem anderen bekannten Tiroler Skiort.
Auch in Innsbruck spielten sich am vergangenen Freitag ähnliche Szenen ab, wie die Rezeptionistin eines Innenstadthotels schildert: Sie erhielt einen Anruf, dass für Personen aus St. Anton circa 80 bis 90 Zimmer gebraucht würden. Von wem genau, ist noch unklar. Die Mitarbeiter dieses Hotels hatten keine näheren Informationen dazu, woher diese Gäste kamen.
Als dies klar wurde, wies man einige dieser Gäste ab, so die Rezeptionistin, wieder andere durften sich zwar ein Zimmer buchen, mussten aber vom Frühstück fernbleiben. Erst in den späteren Nachmittagsstunden des Freitags sperrte das betroffene Innsbrucker Hotel sämtliche Buchungsmöglichkeiten über Online-Plattformen, um zu vermeiden, dass weitere Gäste auf diesem Wege aus den Oberländer Quarantänegebieten kommen. Denn über diese Kanäle kamen viele Anfragen aus Ischgl und St. Anton.
Auch in Lech am Arlberg sowie im Zillertal reisten am Freitag Gäste aus den Quarantänegebieten an. Im Zillertal sei dies vereinzelt und hauptsächlich im Privatzimmerbereich passiert, wie es dazu aus einer der betroffenen Ortschaften heißt. Wie es dazu kommen konnte, dass Gäste aus dem Hochrisikogebiet einfach in andere Tiroler Regionen weiterreisten, ist Gegenstand weiterer Recherchen.
Keine aktive Hilfe
Der Geschäftsführer des Tourismusverbandes St. Anton am Arlberg, Martin Ebbster, hat dafür keine Erklärung. Dass es aktive Hilfe für die betroffenen Urlauber seitens des TVB gegeben haben könnte, sich anderswo Zimmer zu suchen, weist Ebbster entschieden zurück. Die Situation am Freiist tag, nachdem die Quarantäne-Verordnung überraschend bekannt gegeben worden war, sei derart chaotisch gewesen, dass man dazu gar keine Zeit gehabt hätte. Man sei damit beschäftigt gewesen, den Urlaubern die erforderlichen Passierscheine auszustellen, damit diese ihre Heimreise antreten konnten.
Alles Weitere sei Sache der Behörden gewesen, die diese Abreise eigentlich hätten kontrollieren sollen. Warum dies nicht geschah,
unklar, eine Stellungnahme des Landes war bis Redaktionsschluss nicht zu erhalten.
Doch ganz überraschend dürfte das Verhalten der Urlauber nicht gewesen sein. Denn Ähnliches spielte sich bereits am Beginn der vergangenen Woche zwischen Süd- und Nordtirol ab. Als nämlich am Montag, den 9. März, sämtliche Skigebiete in Südtirol wegen des Coronavirus ihren Betrieb einstellten, zogen zahlreiche Touristen aus dieser Region einfach nach Norden weiter. Dort buhlten manche Skiorte sogar gezielt um die Südtiroler Kundschaft, wie etwa die Region Nauders, die am selben Tag auf ihrer Facebookseite schrieb:„Die Anreise nach Tirol und Nauders ist problemlos möglich, und es sind keine Skigebietssperren oder Grenzsperren geplant.“Auch im Wipp- und Zillertal sollen vergangenen Woche zahlreiche SüdtirolUrlauber untergekommen sein.
Kopf des Tages Seite 24