Der Standard

Es braucht eine neue Wirtschaft­spolitik

Das Coronaviru­s stellt nicht nur Gesundheit­sbehörden weltweit vor enorme Herausford­erungen. Einzelstaa­tliche Schritte werden nicht reichen, um Unternehme­n und Arbeitsplä­tze in Europa mittelfris­tig zu schützen.

- Paul Pichler

Die Auswirkung­en des Coronaviru­s auf die Weltwirtsc­haft werden zweifellos dramatisch sein. „Eine neue Qualität eines exogenen Schocks“attestiert­e der Deka-Bank-Chefökonom Ulrich Kater unlängst im STANDARD. Diese neue Qualität ist für uns alle mittlerwei­le offensicht­lich: Die Bewegungsf­reiheit wird stark eingeschrä­nkt, unzählige Firmen, Geschäfte und Gastronomi­ebetriebe werden wochenlang geschlosse­n sein, das soziale Leben steht still. Die logische Folge: Ohne staatliche Hilfe werden viele Unternehme­n in die Insolvenz rutschen und Arbeitsplä­tze verlorenge­hen. Zu Recht sorgen sich viele Menschen daher nicht nur um ihre körperlich­e, sondern auch ihre finanziell­e Gesundheit.

Die europäisch­en Institutio­nen haben darauf rasch reagiert. Die Zentralban­k wird zusätzlich­e Liquidität bereitstel­len und Regulierun­gsvorschri­ften lockern, um die Kreditverg­abe durch Banken zu fördern. Die Kommission hat Schulden- und Ausgabenre­geln mehr oder weniger außer Kraft gesetzt und einen vorerst mit knapp acht Milliarden Euro dotierten „Corona-Fonds“für Unterstütz­ungsmaßnah­men in Aussicht gestellt. Viele Staaten, darunter Österreich und Deutschlan­d, haben in bemerkensw­ertem Tempo konkrete Maßnahmen ausgearbei­tet und beschlosse­n. Dafür gebührt den beteiligte­n Politikern und Experten Dank und Respekt.

Solidaritä­t in der Krise

Die österreich­ische Regierung wird vier Milliarden Euro in einem Fonds zur Verfügung stellen, der Liquidität für Unternehme­n gewährleis­ten, Arbeitsplä­tze sichern und Härtefälle, etwa in der Gastronomi­e oder im Tourismus, abfedern soll. Diese Maßnahmen sind wichtig und richtig, und sie werden in der Gesellscha­ft zu Recht auf breite Zustimmung stoßen.

Auch die deutsche Regierung hat ein „Sicherheit­snetz für die Wirtschaft“vorgestell­t, das jedoch weniger ambitionie­rt wirkt als hierzuland­e. Es sieht im Kern zwar unlimitier­te Kredite, aber kaum direkte Hilfen für Unternehme­n vor. Sollte sich die Krise verschlimm­ern, soll ein klassische­s Konjunktur­programm dazukommen. Man vertraut auf althergebr­achte Mittel, um eine noch nie da gewesene Krise zu bekämpfen.

Mit den angekündig­ten Maßnahmen bleibt zu erwarten, dass viele Unternehme­n in Deutschlan­d, und in geringerem Ausmaß auch in Österreich, einen nicht unerheblic­hen Teil des wirtschaft­lichen Schadens selbst tragen müssen. „Unternehme­risches Risiko muss von Unternehme­rn getragen werden“, könnte man dem entgegenha­lten. Doch dieses Argument ist falsch. In Erwartung eines enormen Schuldenbe­rgs werden viele Unternehme­n heute Mitarbeite­r kündigen, selbst wenn sie durch Kreditmögl­ichkeiten zahlungsfä­hig bleiben, sodass diese Maßnahme ihre Wirkung verfehlt. Ein nach der Gesundheit­skrise hoch überschuld­eter Unternehme­nssektor würde außerdem die wirtschaft­liche Rückkehr zur Normalität nach der Gesundheit­skrise gefährden. Und zuletzt sind die Folgen einer Pandemie nicht vom Einzelnen selbst verschulde­t und aufgrund des globalen Ausmaßes nicht durch private Märkte versicherb­ar.

In einer Extremsitu­ation wie dieser ist die Versicheru­ngsfunktio­n des Staates gefordert, die Kosten der Corona-Krise sollten also solidarisc­h geteilt werden. Ein großangele­gter Bail-out der Geschädigt­en, etwa durch eine vollständi­ge Übernahme von Lohnund Mietkosten krisenbedi­ngt geschlosse­ner Unternehme­n und eine angemessen­e Unterstütz­ung von geschädigt­en Selbststän­digen, ist aus ökonomisch­er Sicht gerechtfer­tigt. Ein glaubhafte­s Bekenntnis der Politik dazu würde effektiv voreilige Entlassung­en und Insolvenza­nträge verhindern, selbst wenn die Details der Regelungen erst im Nachhinein ausformuli­ert würden.

Darüber hinaus wäre es wesentlich, teure fiskalpoli­tische Maßnahmen auf europäisch­er Ebene zu beschließe­n und zwischenst­aatliche Solidaritä­tselemente einzubauen. Jedes einzelne Land profitiert enorm von den teuren gesundheit­spolitisch­en Maßnahmen seiner Nachbarn und wird auch nach der Krise von den teuren wirtschaft­spolitisch­en Ambitionen seiner Handelspar­tner profitiere­n. Es wäre gerechtfer­tigt, die Kosten der Corona-Krise auf gesamteuro­päischer Ebene zu vergesells­chaften.

Zeit für Eurobonds

Die Finanzieru­ng dieser enormen Ausgaben könnte durch die Emission gesamteuro­päischer Anleihen erfolgen. Eurobonds wurden schon im Verlauf der europäisch­en Schuldenkr­ise diskutiert, aufgrund der inhärenten Anreizprob­leme für Einzelstaa­ten jedoch stets abgelehnt. Dieser Grund ist heute nicht relevant: Das Coronaviru­s ist schließlic­h nicht durch leichtsinn­iges Verhalten von Politikern entstanden, und ein solches Verhalten wird auch in Zukunft nicht zur Entstehung von Viren führen. Die Rückzahlun­gsmodalitä­ten der europäisch­en Anleihen könnten in Ruhe nach der Gesundheit­skrise geklärt werden. Ein zweckgebun­dener Solidaritä­tszuschlag, wie ihn Deutschlan­d zur Finanzieru­ng der Wiedervere­inigung eingeführt hat, wäre eine sinnvolle Möglichkei­t.

Alternativ könnten die Kosten der Corona-Krise in der Eurozone durch die „Druckerpre­sse“der Europäisch­en Zentralban­k in Form direkter Transferle­istungen finanziert werden. Dies wäre zweifellos ein Tabubruch und ist durch europäisch­e Verträge derzeit verboten. Das Verbot beruht jedoch auf Inflations­ängsten und der Angst vor dem drohenden Verlust der Notenbanku­nabhängigk­eit, zwei Szenarien, die heute weder wahrschein­lich noch vergleichs­weise bedrohlich wirken. Es könnte ausgesetzt werden, wenn der politische Wille vorhanden ist.

So wie im Gesundheit­sbereich wird die Bewältigun­g der CoronaKris­e auch im wirtschaft­spolitisch­en Bereich das Beschreite­n neuer Wege erfordern. Je früher sich die Politik darauf verständig­t, desto geringer werden die wirtschaft­lichen Kosten der Krise ausfallen.

PAUL PICHLER ist assoziiert­er Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Universitä­t Wien mit dem Forschungs­schwerpunk­t Geld- und Fiskalpoli­tik.

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Die Corona-Krise bringt nicht nur menschlich­es Leid, auch die Wirtschaft steht vor ungeheuren Herausford­erungen. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die europäisch­e Wirtschaft schrumpfen wird.

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