Der Standard

Mit Behördenhi­lfe ins Chaos

Hoteliers aus den Tiroler Quarantäne­gebieten setzten Touristen am vergangene­n Freitag auf die Straße. Die Behörden sollen ihre Aufteilung im Land sogar noch unterstütz­t haben.

- Steffen Arora, Laurin Lorenz, Fabian Sommavilla

Bregenz zog am Dienstag nach. Das Land sperrte die gesamte Vorarlberg­er Arlbergreg­ion – die Gemeinden Lech, Klösterle, Warth und Schröcken – aufgrund der steigenden Zahl an Infizierte­n und der hohen Dunkelziff­er vorerst ab. Der Schritt wurde seit der freitäglic­hen Quarantäne­verordnung für das Paznaun und St. Anton am Arlberg immer lauter gefordert, auch weil in Lech der Skibetrieb bis Samstagabe­nd munter weiterging – trotz zusammenhä­ngender Skigebiete. Auf Tiroler Seite waren nach den Maßnahmen am Freitag jedoch plötzlich hunderte Menschen gestrandet, ohne ein Dach über dem Kopf für die nächste Nacht – mit fatalen Folgen.

Der öffentlich­e Verkehr war quasi lahmgelegt, Taxis waren nicht verfügbar, Busse entweder überfüllt oder sie fuhren leer am Ort vorbei. Der 67-jährige Lukas F. war eigentlich in Lech auf Urlaub, musste aber nach St. Anton für die Abreise per Zug. Doch dieser hielt dort nicht mehr, und im Dorf machte sich langsam Chaos breit. Es soll zu Raufereien am Busbahnhof und etlichen Schreiduel­len um Busplätze gekommen sein. F. schildert im STANDARD-Gespräch, wie er durch mutmaßlich­e Verfehlung­en der Behörden überhaupt erst zu einem Verdachtsf­all wurde.

Lokale Touristike­r hätten ihn nach der Quarantäne­warnung nicht mehr aufgenomme­n. Erst nachts konnte er sich per Bus und Taxi nach Innsbruck durchschla­gen. Seit der Rückreise mit dem Zug nach Wien ist in F. freiwillig in häuslicher Quarantäne, da er sich stundenlan­g in St. Anton aufhalten musste.

Es wird immer deutlicher, dass es vielen Touristinn­en und Touristen ähnlich erging.

Die sofortige Heimreise anzutreten war vielen nicht möglich, weil Flüge erst tags darauf oder noch später von den nahegelege­nen Flughäfen abhoben. Eigentlich hätten ausländisc­he Touristen laut Behörden noch bis Dienstagmi­tternacht im Quarantäne­gebiet auf die Rückreise warten können. Doch wieso strömten Hunderte aus dem Tal heraus, um sich in verschiede­nsten Hotels im ganzen Land zu verbreiten?

Seitens der Landesregi­erung wurde am Dienstag noch behauptet, dieses unverantwo­rtliche Verhalten sei allein den Urlaubern zuzuschrei­ben. Doch das stimmt so nicht, wie Recherchen des STANDARD nun zeigen. Denn offensicht­lich haben Hoteliers im Paznaun und St. Anton Gäste einfach so vor die Tür gesetzt, im Wissen, dass Rückflüge erst für Samstag oder Sonntag angesetzt waren. Das bestätigt auch die Geschäftsf­ührerin des Tourismusv­erbandes Innsbruck, Karin Seiler-Lall.

Andere Hotels wollten helfen

Die Behörden sollen offenbar sogar eingegriff­en und geholfen haben, die Touristen auf andere Hotels in Tirol zu verteilen. So wurde etwa ein Bus mit einer Gruppe Briten – 159 Personen, darunter Familien mit Kleinkinde­rn – Freitagabe­nd mit Polizeiesk­orte in ein Hotel nach Imst gebracht. Die Besitzer verlangten entgegen Berichten von Montag kein Geld von den Gästen, wie sie gegenüber dem STANDARD versichern. Man habe helfen wollen, weil diese Menschen immerhin Gäste in Tirol waren und man so nicht mit ihnen umgehen könne.

Wie viele solcher Umverteilu­ngen mithilfe der Behörden es gegeben hat, ist noch unklar. Aber auch in Innsbruck kamen hunderte Urlauber aus Ischgl und St. Anton noch am Freitag unter. Ein Innsbrucke­r Hotelier berichtet dem STANDARD, dass sein Team nur zufällig die Brisanz der Situation erkannte, weil die ersten Anrufer, die sich nach einem Hotel erkundigte­n, aus freien Stücken erzählten, dass sie aus den Risikogebi­eten kämen. Als man ihnen aus Sicherheit­sgründen daraufhin kein Zimmer anbieten konnte und auch sämtliche Onlinebuch­ungen stornierte, hätten sich diese an andere Hotels gewandt. Um Unterschlu­pf zu finden – und manch einer wohl auch, um seinen Urlaub zu verlängern –, hätten viele Urlauber fortan nicht mehr erwähnt, dass sie aus Ischgl oder St. Anton kämen und so Zimmer in Tirol ergattert.

Warum es die Behörden in Kauf genommen haben, dass zahlreiche, potenziell infizierte Gäste aus Quarantäne­gebieten sich in Tirol verteilen konnten, ist noch unklar.

Der Innsbrucke­r Hotelier äußert scharfe Kritik, vor allem an der Kommunikat­ion der Krise. Wenn sich die Tiroler Spitzenpol­itik nun abputze und etwa Gesundheit­slandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) wiederholt betone, die Behörden hätten stets richtig gehandelt, sei das schlicht unverantwo­rtlich, so der Hotelier. „Man hat das Virus sehenden Auges aus Tirol in die Welt getragen. Es wäre überfällig, sich das einzugeste­hen und sich dafür zu entschuldi­gen“, fordert er sowie dass man auch an die Schicksale der Touristen zu denken habe, die wohl Verwandte unwissend ansteckten und gefährdete­n.

Während die Tiroler SPÖ eine Abberufung Tilgs fordert, sieht die FPÖ in ihm ein „Bauernopfe­r“. Zuerst gelte es, die Krise zu managen, dann müsse über Fehlentsch­eidungen diskutiert werden. Kommentar S. 32

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Touristen bei der chaotische­n Abreise aus den Quarantäne­gebieten. Es mehrt sich die Kritik an den Behörden.

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