Der Standard

Geschlosse­ne Betriebe können Entgelt aussetzen

Keine Kompensati­on für Verdienste­ntgang, dafür Recht auf Aussetzen von Löhnen und Gehältern. Das Corona-Gesetz hebelt die bisherigen Mechanisme­n aus und könnte massive Konsequenz­en haben.

- Andreas Schnauder

Die Regierung hat mit dem Covid-19-Maßnahmeng­esetz, das im Eilverfahr­en am Sonntag von National- und Bundesrat beschlosse­n wurde, viele Fragen aufgeworfe­n. Das gilt vor allem für die im Verordnung­swege erlassenen Schließung­en ganzer Sektoren. Ausgenomme­n sind Lebensmitt­elhandel, Apotheken, Drogerien, Banken, Tankstelle­n, Post- und Telekomlei­stungen und ein paar weitere Bereiche. Die vom Betretungs­verbot erfassten Branchen – von Textilkett­en bis hin zu Friseuren – haben derzeit faktisch kein Geschäft.

Neben der Freisetzun­g von Mitarbeite­rn oder der Inanspruch­nahme von Kurzarbeit könnten die mit Umsatzeinb­ußen konfrontie­rten Unternehme­n die Löhne und Gehälter nicht mehr bezahlen. Dazu hätten sie auch das Recht, bestätigen mehrere Arbeitsrec­htsexperte­n. Denn die Regierung hat dazu die Tür geöffnet. Warum das so ist? Unter dem Epidemiege­setz haben Mitarbeite­r einen Anspruch auf Fortzahlun­g, wenn der Betrieb dichtgemac­ht wurde, der Arbeitgebe­r kann sich die Ausgaben vom Bund zurückhole­n.

Mit dem neuen Gesetz wurde diese Regelung ausgehebel­t. § 4 besagt, dass die Bestimmung­en des Epidemiege­setzes betreffend die Schließung von Betriebsst­ätten mit Inkrafttre­ten der genannten Verordnung nicht zur Anwendung gelangen. Das wirft nun die Frage der Lohnfortza­hlung auf. Laut den Experten der Rechtsanwa­ltskanzlei CMS besteht im Falle einer Pandemie „keine Entgeltfor­tzahlungsp­flicht des Arbeitgebe­rs“. Der Grund: Corona sei als höhere Gewalt einzustufe­n, bei der laut Risikorege­lung des Allgemeine­n Bürgerlich­en Gesetzbuch­s (ABGB) der Arbeitnehm­er den Schaden zu tragen habe.

Höhere Gewalt

Das sieht auch die Arbeitsrec­htsexperti­n Barbara Klinger von der Kanzlei Schindler so: Die herrschend­e Meinung vertrete die Ansicht, dass die Arbeitnehm­er den Entgeltfor­tzahlungsa­nspruch dann verlieren, wenn die Arbeitslei­stung aufgrund von höherer Gewalt unterbleib­t, die nicht nur den konkreten Arbeitgebe­r, sondern die Allgemeinh­eit trifft. Klinger jedenfalls wertet die Pandemie als höhere Gewalt. Sei die Betriebssc­hließung aufgrund der Covid19-Maßnahmen notwendig, sei von einem Entfall der Ansprüche der Beschäftig­ten auszugehen.

Dass höhere Gewalt gegeben ist, darauf hat Rechtsanwa­lt Ralf Peschek von der Kanzlei Wolf Theiss schon zu Wochenbegi­nn im STANDARD verwiesen. Er argumentie­rte u. a. mit einer Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs. Demnach entfällt bei Elementare­reignissen, die auch die Allgemeinh­eit betreffen, die Entgeltpfl­icht des Arbeitgebe­rs.

Von der Lehre wird diese Ansicht untermauer­t. Andreas Vonkilch, Zivilrecht­sprofessor in Innsbruck, sieht daher massive sozialpoli­tische Probleme auf Österreich zukommen. Denn manche Unternehme­n könnten – „wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen“– gezwungen sein, die Fortzahlun­g einzustell­en. Warum der Gesetzgebe­r diese Lücke aufgerisse­n hat, ist zwar nicht klar, Vonkilch hat aber eine Vermutung: „Der Gedanke war wohl, dass der Staat das nicht stemmen kann.“Dabei geht es nicht nur um die Übernahme der Lohnkosten bei verordnete­n Schließung­en, sondern auch um den Ersatz des Verdienste­ntgangs durch die öffentlich­e Hand. Der Staat habe diese Verpflicht­ung „über die Hintertür entsorgt“, so Vonkilch.

Klarstellu­ng erhofft

Die Anwältin Klinger hofft freilich noch auf eine klarstelle­nde Regelung, beispielsw­eise indem der Gesetzgebe­r die durch Schließung­en betroffene­n Gehälter noch übernimmt. Denn von einem kann ausgegange­n werden: Der Arbeitgebe­r könnte mit der Aussetzung der Lohnzahlun­gen ein Rechtsrisi­ko eingehen, womit langwierig­e Gerichtsve­rfahren drohen könnten. Professor Vonkilch wiederum kann sich einen anderen Eingriff vorstellen: Die Fortzahlun­g könnte den Arbeitgebe­rn durch einen entspreche­nden Zusatz im ABGB auferlegt werden.

Gar nicht angetan von der jetzigen Verunsiche­rung ist der Arbeitsrec­htsexperte Martin Risak. Er will die Frage der Entgeltpfl­icht bei verordnete­n Schließung­en nicht so einfach beantworte­n. Er argumentie­rt, dass die öffentlich­e Hand mit der neuen Kurzarbeit­sregelung und dem Krisenfond­s mittelbar in der Krise einspringe, wie sie es laut Epidemiege­setz unmittelba­r getan hätte. Es sei daher nicht so eindeutig, ob sich der Arbeitgebe­r auf höhere Gewalt berufen könne.

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Geschäft gesperrt, Job weg, Fortzahlun­g weg: Das könnte manchem Arbeitnehm­er blühen.

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