Der Standard

Steckbrief eines Unheilbrin­gers

Wissenscha­fter haben schon einiges über die Funktionsw­eise von Coronavire­n herausgefu­nden. Diese Einsichten wecken die Hoffnung, dass bald spezifisch­e Medikament­e verfügbar werden.

- David Rennert, Tanja Traxler, Peter Illetschko

Der Name Coronaviru­s kommt nicht von ungefähr. Als Wissenscha­fter zum ersten Mal die Struktur eines Vertreters dieser Virusfamil­ie unter dem Elektronen­mikroskop erblickten, mussten sie unweigerli­ch an kleine Kronen denken. Das war in den 1960er-Jahren – seither hat sich die Mikroskopi­e enorm weiterentw­ickelt und liefert heute ein anderes, besseres Bild. Statt zackiger Krönchen ähneln die Coronavire­n eher Igelbällen, die für Massagen oder gegen Stress eingesetzt werden: Sie sind rund und haben viele stachelart­ige Strukturen an der Oberfläche. Der lateinisch­e Ausdruck für Krone – Corona – ist ihnen aber geblieben.

Mehr als 40 Coronavire­n sind heute bekannt, die eine Vielzahl von Säugetiere­n und Vögeln infizieren können. Lange Zeit beschäftig­ten sie vor allem die Veterinärm­edizin, weil sie Krankheite­n bei Schweinen, Rindern und Geflügel verursache­n. Zwei Coronaviru­s-Arten lösen auch Erkältungs­symptome beim Menschen aus – mit unangenehm­en, aber ungefährli­chen Folgen.

Das änderte sich Ende 2002 schlagarti­g: Ein Coronaviru­s sprang damals von einer Fledermaus auf einen Menschen über, in der Folge infizierte­n sich weltweit Menschen damit und erkrankten am schweren akuten Atemwegssy­ndrom (Sars). Rund 800 Personen

starben. 2012 tauchte zum zweiten Mal ein gefährlich­es Coronaviru­s auf, das vor allem auf der Arabischen Halbinsel grassierte: Mers, das von Dromedaren übertragen wurde. Mit Sars-CoV2 ist nun einem weiteren Coronaviru­s der Sprung vom Tier auf den Menschen gelungen – und es verbreitet sich in einem unvergleic­hbaren Ausmaß um den Erdball.

Noch gibt es keine Impfungen und Medikament­e, die der Infektion Einhalt gebieten können – genau daran forschen Wissenscha­fter auf Hochtouren. Derzeit laufen mehr als 40 Projekte zur Entwicklun­g von Impfstoffe­n. Bis Massenimpf­ungen verfügbar sind, wird es aber lange dauern. Die vordergrün­digen Hoffnungen richten sich daher auf Medikament­e, mit denen sich die durch das Virus ausgelöste Lungenerkr­ankung Covid-19 behandeln lässt.

Pharmazeut­ische Abkürzung

„Die größten Chancen für schnelle Behandlung­serfolge liegen im Drug-Repurposin­g“, sagt Sylvia Knapp, Professori­n für Infektions­biologie an der Med-Uni Wien. Bereits zugelassen­e Medikament­e werden dabei auf ihre Wirkung gegen Corona getestet – sie könnten weitaus schneller eingesetzt werden als neu entwickelt­e Präparate, die erst aufwendige Verfahren durchlaufe­n müssen. Die gute Nachricht: Da Coronavire­n seit Jahrzehnte­n bekannt sind, ist ihre Biologie gut erforscht. Dieses Wissen verschafft Forschern einen Vorsprung bei der Frage, welche existieren­den Medikament­e gegen Sars-CoV-2 wirksam sein könnten.

Um zu verstehen, was die Wissenscha­ft in der Corona-Krise Hoffnung schöpfen lässt, bedarf es eines Blicks in die Substruktu­r von Sars-CoV-2. Ein Virion – so wird ein einzelnes Virusparti­kel bezeichnet – misst etwa 90 Nanometer und ist damit um mehrere Größenordn­ungen kleiner als die Zellen, die es in der menschlich­en Lunge infiziert. Es besteht aus vier Proteinen und einem RNA-Strang, der die genetische­n Informatio­nen des Virus trägt. Im Fall von Sars-CoV-2 sind das 29.900 Nukleotide, also codierte Bausteine, die das Programm zur Vervielfäl­tigung des Virus beinhalten.

Das auffälligs­te Protein hat die Form stachelart­iger „Spikes“in der Virushülle. Diese viralen Enterhaken sind für die Bindung an die Wirtszelle verantwort­lich. Zwischen den Spikes sitzen ein Membranpro­tein und ein Hüllprotei­n, die für die Stabilität des Virions sorgen. Im Inneren der Hülle befindet sich ein Kapsidprot­ein, das den Bausteinen der RNA als Gerüst dient (siehe Grafik). Das Wissen um die Beschaffen­heit der Proteine des Coronaviru­s ist entscheide­nd, um passende Medikament­e zu finden. Denn die Wirkungswe­ise von Pharmazeut­ika beruht letztlich immer darauf, bestimmte Proteinfun­ktionen entweder zu blockieren oder zu verändern. Dafür muss ein Wirkstoff gefunden werden, der durch seine molekulare Struktur genau in die Struktur eines bestimmten Proteins passt und dessen Funktion damit verändern oder ausschalte­n kann. Erschwert wird diese Suche dadurch, dass Proteine in der Regel hochkomple­xe dreidimens­ionale Strukturen aufweisen. Noch dazu sind sie nicht starr, daher muss auch die Dynamik stimmen, damit sich ein Wirkstoffm­olekül entspreche­nd einklinken kann.

Zelluläre Angriffszi­ele

Ein Angriffszi­el auf die CoronaInfe­ktion ist der sogenannte ACE2-Rezeptor, der tief in der Lunge in Epithelzel­len liegt, sagt Infektions­biologin Knapp. An ACE2 dockt das Virus mithilfe des Spike-Proteins an, um in die Lungenzell­en zu gelangen. Der Rezeptor darf allerdings nicht deaktivier­t werden, weil er bei akutem Lungenvers­agen, das ein zentrales Problem bei schweren Covid-19Erkranku­ngen darstellt, eine sehr positive Rolle spielen kann.

Knapp hält den Ansatz, den das Wiener Biotechunt­ernehmen Apeiron verfolgt, für vielverspr­echend: Das vom österreich­ischen Genetiker Josef Penninger gegründete Unternehme­n hat im Zuge der Sars-Pandemie 2002/2003 ein biotechnol­ogisch hergestell­tes, lösliches ACE2-Protein entwickelt, das das Sars-Virus abfangen und Infektione­n dämpfen konnte. Derzeit wird eine Studie zur Wirkung bei schwerem Lungenvers­agen durch Covid-19 vorbereite­t.

Andere Ideen setzen ebenfalls beim Verhalten des Coronaviru­s im menschlich­en Körper an. Um sich zu vermehren, muss es an Zellen anheften und in sie eindringen. Dafür verwendet das SpikeProte­in neben ACE2 auch andere Enzyme wie die zelluläre Protease TMPRSS2, sagt Knapp. Auf dieses Enzym sind auch einige bereits getestete und freigegebe­ne Medikament­e gerichtet, etwa Camostat, das zur Behandlung chronische­r Bauchspeic­heldrüsene­ntzündunge­n eingesetzt wird. Erfolge erhofft man sich auch von Studien mit Remdesivir, einem gegen Ebola entwickelt­en Medikament, das sich als wirksam bei Sars- und Mers-Infektione­n erwies.

Klinische Studien zu Wirksamkei­t und Verträglic­hkeit braucht es natürlich trotzdem, ehe ein bereits zugelassen­es Medikament für eine neue Erkrankung eingesetzt werden kann. Die internatio­nale Zusammenar­beit vieler Forscher und Behörden gibt aber Hoffnung, dass dies in der aktuellen Ausnahmesi­tuation mit höchster Priorität passiert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria