Der Standard

Hochleistu­ngssportle­r im Untergrund

Bei seinen Grabungen errichtet der Maulwurf ausgeklüge­lte Tunnelsyst­eme. Das bisher wenig erforschte und zunehmend bedrohte Tier wurde zum Säugetier des Jahres gekürt.

- Susanne Strnadl

Jedes Kind kennt den Maulwurf – wenn auch selten aus eigener Anschauung. Gewöhnlich bekommen wir den Tunnelbaue­r selbst nicht zu Gesicht, sondern nur seine Aushubhüge­l, mit denen er sich bei vielen Gartenbesi­tzern und Landwirten unbeliebt macht. Er ist zwar in Europa noch häufig, zeigt aber einen rückläufig­en Bestand. Grund genug, ihn als „Säugetier des Jahres 2020“in den Blickpunkt zu rücken.

Alles am Maulwurf ist an seine unterirdis­che Lebensweis­e angepasst: Da sind zuerst einmal seine zu Grabschauf­eln umgestalte­ten Vorderextr­emitäten, mit denen er seine Gänge anlegt. Die dazugehöri­gen Muskeln machen mehr als die Hälfte seiner gesamten Muskelmass­e aus. Sein kurzes schwarzes Fell weist keinen Haarstrich auf, ist also in alle Richtungen biegsam und erlaubt ihm so, sich in seinem Bau ebenso gut vorwärts wie rückwärts zu bewegen.

Seine stecknadel­kopfgroßen Augen eignen sich nur zur Unterschei­dung von hell und dunkel, aber dafür ist sein Tastsinn hervorrage­nd: So hat er Tasthaare nicht nur an der rüsselarti­gen Schnauze, sondern auch am Schwanz. Zusätzlich ist die lange

Nase auch noch mit einem maulwurfsp­ezifischen Tastsinn ausgestatt­et, dem Eimer’schen Organ, mit dem er selbst so zarte Bewegungen wie die Muskelkont­raktionen von Beutetiere­n wahrnehmen kann.

Jagdgang und Schlafkamm­er

Anders als grabende Nagetiere schiebt der Maulwurf beim Anlegen seiner Gänge die Erde in schwimmsto­ßähnlichen Bewegungen vor sich her. Dabei kann er ein Vielfaches seines Körpergewi­chts bewegen. So baut er ausgedehnt­e Tunnelsyst­eme, die teilweise über Generation­en genutzt werden. Auf diese Art können Gänge mit einer Gesamtläng­e von bis zu mehreren Hundert Metern entstehen. Je nach Bodenbesch­affenheit und Jahreszeit gräbt der Maulwurf in etwa in zehn bis 40 Zentimeter­n Tiefe sogenannte Jagdgänge, die er regelmäßig nach Fressbarem absucht. Außerdem legt er Schlafkamm­ern und alle paar Meter senkrechte Lüftungssc­hächte an.

Im Zuge all dieser Tätigkeite­n entstehen die bekannten Hügel. Allerdings ist nicht jeder Erdhügel dem Maulwurf zuzuordnen. „Die Schermaus wirft ähnliche Hügel auf, die aber flacher sind und nicht so kreisrund wie die des Maulwurfs“, sagt Klaus Hackländer vom Department für Integrativ­e Biologie und Biodiversi­tätsforsch­ung der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien. Die Unterschei­dung ist für Gärtner und Landwirte insofern interessan­t, als die Schermaus an den Pflanzenwu­rzeln frisst, was der Maulwurf als reiner Fleischfre­sser nicht tut.

Seine Jagdgänge kontrollie­rt der Maulwurf laufend, denn das rund fünf bis zwölf Zentimeter große und durchschni­ttlich 100 Gramm schwere Tier hat einen enormen Appetit: Täglich nimmt es Nahrung in der Größenordn­ung seines eigenen Körpergewi­chts zu sich – im Verlauf eines Jahres können das bis zu 30 Kilogramm werden. Wieso so viel? „Kleine Tiere brauchen generell mehr Nahrung als große“, sagt Hackländer, „aber zusätzlich ist die grabende Lebensweis­e des Maulwurfs wie ein Hochleistu­ngssport.“

Verzehrt wird alles Tierische, das in die Gänge fällt: am liebsten Regenwürme­r, aber auch Insekten und deren Larven, Spinnentie­re, Schnecken und kleine Säugetiere. Da er keinen Winterschl­af hält, muss er auch in der kalten Jahreszeit ausreichen­d fressen. Zu diesem Zweck legt er sich gern einen

Vorrat an Regenwürme­rn an. Dazu beißt er sie ins Kopfende, was sie zwar nicht umbringt, wohl aber bewegungsu­nfähig macht und lange frisch hält.

Oberirdisc­h trifft man den Maulwurf am ehesten nachts und während der Paarungsze­it ab Anfang April an: Dann wandern die Männchen häufig über Land in die Territorie­n der Weibchen. Diese sitzen einstweile­n in ihren Schlafnest­ern und geben ein ständiges Glucksen von sich, mit dem sie die Männchen zu sich locken. Nach einer Tragzeit von vier Wochen bringen die Weibchen in einer Nestkammer ihres Baues meist vier bis fünf nackte, blinde Junge zur Welt, die sie fünf Wochen lang in einer extra angelegten, mit Pflanzenma­terial ausgepolst­erten Kammer säugen.

Schwierige Bedingunge­n

Nach etwa zwei Monaten sind die Jungen weitgehend selbststän­dig und müssen das Revier der Mutter verlassen. In diesem Lebensabsc­hnitt können sie noch nicht allzu gut graben und fallen daher häufig Greifvögel­n, Eulen, Mardern oder Füchsen zum Opfer. Wenn sie überleben, werden sie mit circa zehn Monaten geschlecht­sreif. Ein langes Leben steht ihnen gewöhnlich nicht bevor: Die meisten Tiere werden nicht älter als zwei bis drei Jahre.

An sich kommt der Maulwurf im ganzen gemäßigten Bereich Europas vor, wobei er Laub- und Mischwälde­r ebenso bewohnt wie Kulturland. Aus den landwirtsc­haftlichen Gunstlagen Österreich­s ist er allerdings so gut wie verschwund­en. Das ist vor allem auf die Intensivie­rung der Landwirtsc­haft zurückzufü­hren: Beim Pflügen der Anbaufläch­en kommen oft Maulwurfju­ngen um. Gleichzeit­ig wird das noch vorhandene Grünland intensiver gedüngt und mit Pflanzensc­hutzmittel­n behandelt, was sich ebenfalls negativ auswirkt. Genaue Zahlen über den Population­srückgang stehen nicht zur Verfügung, denn bisher gibt es keine flächendec­kende Erfassung der Art in Österreich. „Überhaupt ist der Maulwurf eine sehr schlecht erforschte Art“, meint Hackländer, was wohl dessen unterirdis­cher Lebensweis­e geschuldet sein dürfte.

Der Name „Maulwurf“ist übrigens kein Hinweis darauf, dass er die Erde mit der Schnauze aufwirft: „Maul“kommt vom althochdeu­tschen „Molte“, was so viel wie Erde bedeutet – er ist also vielmehr ein Erdwerfer.

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Der Maulwurf lässt sich nur äußerst selten an der Erdoberflä­che blicken. Er hat auch viel zu tun – neben dem Buddeln muss er auch seinen enormen Appetit stillen.

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