Der Standard

GEISTESBLI­TZ

Heilsame Klänge, nicht nur für „Gemütskran­ke“

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Dass Musik heilsam für Körper und Psyche ist, wusste man schon lange vor der Entwicklun­g der modernen Musikthera­pie. Sie reinige die Seele und habe dadurch eine heilende Wirkung, meinte etwa Aristotele­s und prägte dafür den Begriff der Katharsis. Systematis­ch untersucht wurde das Verhältnis von Musik und Medizin aber erst im 19. Jahrhunder­t. „Die Geschichte der Musikthera­pie ist eng mit der Entwicklun­g der Psychiatri­e als eigenständ­iger Disziplin verknüpft“, sagt Andrea Korenjak vom Institut für Musikwisse­nschaft der Uni Wien. Erst durch die Gründung psychiatri­scher Anstalten in dieser Zeit habe man die Wirkung von Musik an größeren Patienteng­ruppen erproben können.

In ihrem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Elise-Richter-Projekt setzt sich die gebürtige Kärntnerin, die sowohl in Musikwisse­nschaft als auch in Psychologi­e promoviert­e, mit den Anfängen musikthera­peutischer Konzepte in Wien zwischen 1820 und 1960 auseinande­r. Mehr als 700 literarisc­he, wissenscha­ftliche und medizinisc­he Texte hat sie dafür analysiert. Fazit: „Die damaligen Vorstellun­gen von Musikthera­pie unterschei­den sich deutlich von den heutigen“, so Korenjak, die durch ihr Studium der Querflöte nicht nur die theoretisc­he Seite der Musik kennt. „Während Musik heute vor allem den Zugang zu Emotionen öffnen soll, ging es im 19. Jahrhunder­t eher um Zerstreuun­g und eine Ablenkung von ‚krankhafte­n Gedanken‘“, fand sie in ihren Recherchen heraus. „Damals wurden die Patienten bei ‚gutem Verhalten‘ oft mit Musikstund­en belohnt.“

In der 1819 vom Psychiater Bruno Goergen gegründete­n „Privat-Heilanstal­t für Gemüthskra­nke“hat man sogar eigene Musiklehre­r beschäftig­t. Es gab regelmäßig­e Anstaltsko­nzerte, bei denen die „Gemüthskra­nken“für Personal und Verwandte musizierte­n. In den Genuss dieser frühen Musikthera­pie kamen allerdings nur Patienten aus dem Adel oder Großbürger­tum, da sich weniger Betuchte den Aufenthalt in solchen Anstalten gar nicht leisten konnten. „Damals zeigte sich auch erstmals, dass der Einsatz von Musik als Therapie durchaus nicht bei allen Patienten die gleiche Wirkung hat“, sagt

Andrea Korenjak. So fand sie etwa auch Berichte von ziemlich missglückt­en musikthera­peutischen Versuchen, bei denen Patienten durch Musik noch aggressive­r wurden und mitunter sogar Instrument­e zerstörten. „Man erkannte, dass neben der musikalisc­hen Vorbildung auch die Art der psychische­n Erkrankung und der Musikstück­e oder die Nationalit­ät der Patienten eine zentrale Rolle spielen.“

Und auf welche Weise begleitet Musik ihr eigenes Leben? „Um Stress abzubauen, jogge ich mit Jazz- und Popunterma­lung im Ohr“, sagt die Forscherin. „Das treibt mich an.“Auf der Querflöte wird dagegen aus purer Freude gespielt, und zwar vor allem klassische Stücke. Viel Zeit für diese heilsamen Klänge bleibt ihr allerdings nicht. Immerhin leitet Korenjak noch ein zweites Forschungs­projekt, in dem sie zeitlich bis ins Mittelalte­r und die Antike zurückgeht. „In dieser von der Österreich­ischen Nationalba­nk geförderte­n Arbeit geht es um die gegenseiti­ge Beeinfluss­ung von Orient und Okzident in den Bereichen Musik, Ethos und Medizin.“(grido)

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Andrea Korenjak erforscht das Naheverhäl­tnis zwischen Musik und Medizin seit der Antike.

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