Ein Bekenntnis zum Kulturstandort
Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben den Kulturbetrieb lahmgelegt. Kulturschaffende brauchen dringend Unterstützung. Vorbild könnte hier Frankreich sein.
Die gegenwärtige Situation zeigt drastisch, auf welche Weise freischaffende Musikerinnen und Musiker in diesem Land bisher gearbeitet haben: Abseits der institutionalisierten Orchester verdingen sie sich als Tagelöhner in Ensembles, indem sie Abend für Abend auf den weihevollsten Bühnen des Landes stehen und den Kulturbetrieb für das werte Abo-Publikum und die geschätzten Touristen am Laufen halten. Damit sind sie ein essenzieller Motor unserer Kultur, unseres Tourismus, unserer Wirtschaft. Gut hörbar mit ihrer Tonkunst, jedoch meist wortkarg, weil ohne jegliche Lobby oder organisierte Personalvertretung.
Prekariat pur
Diese akademisch ausgebildeten Künstler sind seit Jahren mit stark sinkenden Reallöhnen konfrontiert, in den vergangenen zwanzig Jahren vorsichtig geschätzt minus 35 Prozent, unter anderem aufgrund des Zusammenbruchs des Tonträgermarktes. Sie erwirtschaften in Orchestern, also in Abhängigkeit von Klangkollektiven, jedoch formal als selbstständige Ein-Personen-Unternehmen, ihr Einkommen. Dieses lässt heutzutage nur mehr einen sehr bescheidenen Lebensstandard und kaum die Bildung von Rücklagen zu. Prekariat pur.
Seitdem sämtliche Aufführungsorte geschlossen sind, ist das Einzige, was sie zu erwarten haben, Vorschreibungen für Sozialversicherung und Einkommenssteuer. Sämtliche Einkünfte stehen seit 10. März 2020 still. Es gibt für sie weder Arbeitslosengeld noch irgendwelche anderen bisher vorgesehenen Hilfen. Ersatztermine für die in diesen Monaten geplanten Konzerte werden aufgrund der zukünftigen Belegung der Spielstätten nur in Ausnahmefällen zustande kommen. Wie „die flüssige Tonmasse der Harmonie“(Richard Wagner) zerrinnt ihnen nun ihr geplantes, bescheidenes Einkommen zwischen den Fingern. Ka Musi, ka Geld.
Auch die Veranstalter stehen freilich mit dem Rücken zur Wand: Aufführungen sind keineswegs Waren, die man zwischenlagern kann, die Nachfrage wird später nicht kompensiert werden können. Sogar ihre Förderung hängt oft von der Durchführung der geplanten Veranstaltungen ab.
Kein Selbstläufer
Nun zeigt sich allzu deutlich, dass (Musik-)Kultur nicht nach Gesichtspunkten der Marktwirtschaft funktioniert – wenngleich sie eine wichtige Grundlage unserer erfolgreichen Volkswirtschaft ist – und in dieser Krise auch nicht auf die gleiche Weise behandelt werden können wird. Nach Jahren, in denen man gebetsmühlenartig vom Wirtschaftsstandort Österreich gesprochen hat, wird man wohl endgültig einen neuen Begriff in den (politischen) Wortschatz aufnehmen müssen: den des Kulturstandortes. Es reicht eben nicht, sich auf Selbstläufer wie das jährliche Neujahrskonzert und Ähnliches zu verlassen. Ein Bekenntnis zum Kulturstandort Österreich, zu den Kunstschaffenden des Landes, die im Moment zum Schweigen verdammt sind, wird in diesen Zeiten unabdingbar notwendig werden. Und man wird sich auch über eine Absicherung und kontinuierliche Unterstützung dieser Berufsgruppe Gedanken machen müssen, zumindest bis der Aufführungsbetrieb für Musik und darstellende Kunst wieder aufgenommen werden kann.
Wer jetzt denkt, da müssten Dutzende von Millionen fließen, sei beruhigt: Die 2018 unter dem damaligen Kulturminister Gernot Blümel vorgestellte Studie zum Einkommen österreichischer Kunstschaffender („klarer und unerfreulicher Befund“) spricht von einem Jahreseinkommen von 5000 bis 10.000 Euro aus der Kunst! Man orientiere sich also an den Steuererklärungen der letzten Jahre und gewähre monatliche Unterstützung. Übrigens wird ein solches System in Frankreich auch in Friedens- und prosperierenden Zeiten gepflegt: Der Staat federt Einkommensschwankungen auf Basis des Vorjahres ab, sobald man es einmal geschafft hat, als Kulturschaffender registriert zu sein. Nicht umsonst floriert dort die Kunst und ist Frankreich auch zu einem Exportkaiser in Sachen Kultur geworden! Denn eine gewisse (persönliche) Planungssicherheit eröffnet gänzlich andere Möglichkeiten zur Entwicklung von neuen und anspruchsvollen Projekten, ohne unterm Strich die Öffentlichkeit wesentlich teurer zu kommen.
Es wird also in den kommenden Wochen ein wahres Bekenntnis zum Musikland Österreich, zu dieser vielbeschworenen Kulturnation, zum Kulturstandort Österreich, nötig sein.
Ohne eine echte Unterstützung der Schwächsten in unserem Kulturbetrieb, welcher unser Land in besseren Tagen einst wieder zu einem begehrten Wohn- und Urlaubsort machen wird, sieht es für Künstlerinnen, Künstler, Kulturinitiativen und Veranstalter extrem düster aus. Und damit auch für alle Wirtschaftszweige, die von unserem hochstehenden, lebendigen Kulturbetrieb profitieren.
PETER TREFFLINGER ist freischaffender Musiker und Musikpädagoge.
Hetzjagden und Happening
Die Ausgangsbeschränkung und das „Social Distancing“aufgrund der Coronavirus-Pandemie wird auch im Standard-Forum debattiert. Im Folgenden Auszüge:
Leider gibt es regelrechte Hetzjagden auf Facebook, die sich gegen Leute richten, die sich nicht an Ausgangsbeschränkungen halten. (...) Was sagt es über uns aus, wenn wir uns gegenseitig im Netz jagen? Wie wird uns das nachhaltig verändern? Poster „veri007“
Das Happening-Gefühl ist bald vorbei. Poster „KlausKral“
Ich finde es sehr problematisch, dass viele Unternehmen die neuen Regelungen zum Thema „Social Distancing“äußerst grob interpretieren und nicht genügend ernst nehmen. Da sieht man mal wieder, dass es leider in unserer Gesellschaft notwendig ist, Normen präzise zu formulieren.
Poster „extra330lx“
Es wird alles auf „Pause“gestellt. Man (...) kommt mal runter von dem Leben auf der Überholspur, vielleicht braucht das die Welt mal. Poster „wienliebhaber“
Mitreden: derStandard.at
Erratum: In der Dienstagsausgabe wurden die Zeitungslogos von Hospodářské noviny (Prag) und Dziennik Gazeta Prawna (Warschau) falsch zugeordnet.