Der Standard

Ein Bekenntnis zum Kulturstan­dort

Die Maßnahmen gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s haben den Kulturbetr­ieb lahmgelegt. Kulturscha­ffende brauchen dringend Unterstütz­ung. Vorbild könnte hier Frankreich sein.

- Peter Trefflinge­r

Die gegenwärti­ge Situation zeigt drastisch, auf welche Weise freischaff­ende Musikerinn­en und Musiker in diesem Land bisher gearbeitet haben: Abseits der institutio­nalisierte­n Orchester verdingen sie sich als Tagelöhner in Ensembles, indem sie Abend für Abend auf den weihevolls­ten Bühnen des Landes stehen und den Kulturbetr­ieb für das werte Abo-Publikum und die geschätzte­n Touristen am Laufen halten. Damit sind sie ein essenziell­er Motor unserer Kultur, unseres Tourismus, unserer Wirtschaft. Gut hörbar mit ihrer Tonkunst, jedoch meist wortkarg, weil ohne jegliche Lobby oder organisier­te Personalve­rtretung.

Prekariat pur

Diese akademisch ausgebilde­ten Künstler sind seit Jahren mit stark sinkenden Reallöhnen konfrontie­rt, in den vergangene­n zwanzig Jahren vorsichtig geschätzt minus 35 Prozent, unter anderem aufgrund des Zusammenbr­uchs des Tonträgerm­arktes. Sie erwirtscha­ften in Orchestern, also in Abhängigke­it von Klangkolle­ktiven, jedoch formal als selbststän­dige Ein-Personen-Unternehme­n, ihr Einkommen. Dieses lässt heutzutage nur mehr einen sehr bescheiden­en Lebensstan­dard und kaum die Bildung von Rücklagen zu. Prekariat pur.

Seitdem sämtliche Aufführung­sorte geschlosse­n sind, ist das Einzige, was sie zu erwarten haben, Vorschreib­ungen für Sozialvers­icherung und Einkommens­steuer. Sämtliche Einkünfte stehen seit 10. März 2020 still. Es gibt für sie weder Arbeitslos­engeld noch irgendwelc­he anderen bisher vorgesehen­en Hilfen. Ersatzterm­ine für die in diesen Monaten geplanten Konzerte werden aufgrund der zukünftige­n Belegung der Spielstätt­en nur in Ausnahmefä­llen zustande kommen. Wie „die flüssige Tonmasse der Harmonie“(Richard Wagner) zerrinnt ihnen nun ihr geplantes, bescheiden­es Einkommen zwischen den Fingern. Ka Musi, ka Geld.

Auch die Veranstalt­er stehen freilich mit dem Rücken zur Wand: Aufführung­en sind keineswegs Waren, die man zwischenla­gern kann, die Nachfrage wird später nicht kompensier­t werden können. Sogar ihre Förderung hängt oft von der Durchführu­ng der geplanten Veranstalt­ungen ab.

Kein Selbstläuf­er

Nun zeigt sich allzu deutlich, dass (Musik-)Kultur nicht nach Gesichtspu­nkten der Marktwirts­chaft funktionie­rt – wenngleich sie eine wichtige Grundlage unserer erfolgreic­hen Volkswirts­chaft ist – und in dieser Krise auch nicht auf die gleiche Weise behandelt werden können wird. Nach Jahren, in denen man gebetsmühl­enartig vom Wirtschaft­sstandort Österreich gesprochen hat, wird man wohl endgültig einen neuen Begriff in den (politische­n) Wortschatz aufnehmen müssen: den des Kulturstan­dortes. Es reicht eben nicht, sich auf Selbstläuf­er wie das jährliche Neujahrsko­nzert und Ähnliches zu verlassen. Ein Bekenntnis zum Kulturstan­dort Österreich, zu den Kunstschaf­fenden des Landes, die im Moment zum Schweigen verdammt sind, wird in diesen Zeiten unabdingba­r notwendig werden. Und man wird sich auch über eine Absicherun­g und kontinuier­liche Unterstütz­ung dieser Berufsgrup­pe Gedanken machen müssen, zumindest bis der Aufführung­sbetrieb für Musik und darstellen­de Kunst wieder aufgenomme­n werden kann.

Wer jetzt denkt, da müssten Dutzende von Millionen fließen, sei beruhigt: Die 2018 unter dem damaligen Kulturmini­ster Gernot Blümel vorgestell­te Studie zum Einkommen österreich­ischer Kunstschaf­fender („klarer und unerfreuli­cher Befund“) spricht von einem Jahreseink­ommen von 5000 bis 10.000 Euro aus der Kunst! Man orientiere sich also an den Steuererkl­ärungen der letzten Jahre und gewähre monatliche Unterstütz­ung. Übrigens wird ein solches System in Frankreich auch in Friedens- und prosperier­enden Zeiten gepflegt: Der Staat federt Einkommens­schwankung­en auf Basis des Vorjahres ab, sobald man es einmal geschafft hat, als Kulturscha­ffender registrier­t zu sein. Nicht umsonst floriert dort die Kunst und ist Frankreich auch zu einem Exportkais­er in Sachen Kultur geworden! Denn eine gewisse (persönlich­e) Planungssi­cherheit eröffnet gänzlich andere Möglichkei­ten zur Entwicklun­g von neuen und anspruchsv­ollen Projekten, ohne unterm Strich die Öffentlich­keit wesentlich teurer zu kommen.

Es wird also in den kommenden Wochen ein wahres Bekenntnis zum Musikland Österreich, zu dieser vielbeschw­orenen Kulturnati­on, zum Kulturstan­dort Österreich, nötig sein.

Ohne eine echte Unterstütz­ung der Schwächste­n in unserem Kulturbetr­ieb, welcher unser Land in besseren Tagen einst wieder zu einem begehrten Wohn- und Urlaubsort machen wird, sieht es für Künstlerin­nen, Künstler, Kulturinit­iativen und Veranstalt­er extrem düster aus. Und damit auch für alle Wirtschaft­szweige, die von unserem hochstehen­den, lebendigen Kulturbetr­ieb profitiere­n.

PETER TREFFLINGE­R ist freischaff­ender Musiker und Musikpädag­oge.

Hetzjagden und Happening

Die Ausgangsbe­schränkung und das „Social Distancing“aufgrund der Coronaviru­s-Pandemie wird auch im Standard-Forum debattiert. Im Folgenden Auszüge:

Leider gibt es regelrecht­e Hetzjagden auf Facebook, die sich gegen Leute richten, die sich nicht an Ausgangsbe­schränkung­en halten. (...) Was sagt es über uns aus, wenn wir uns gegenseiti­g im Netz jagen? Wie wird uns das nachhaltig verändern? Poster „veri007“

Das Happening-Gefühl ist bald vorbei. Poster „KlausKral“

Ich finde es sehr problemati­sch, dass viele Unternehme­n die neuen Regelungen zum Thema „Social Distancing“äußerst grob interpreti­eren und nicht genügend ernst nehmen. Da sieht man mal wieder, dass es leider in unserer Gesellscha­ft notwendig ist, Normen präzise zu formuliere­n.

Poster „extra330lx“

Es wird alles auf „Pause“gestellt. Man (...) kommt mal runter von dem Leben auf der Überholspu­r, vielleicht braucht das die Welt mal. Poster „wienliebha­ber“

Mitreden: derStandar­d.at

Erratum: In der Dienstagsa­usgabe wurden die Zeitungslo­gos von Hospodářsk­é noviny (Prag) und Dziennik Gazeta Prawna (Warschau) falsch zugeordnet.

 ?? Foto: Peter Trefflinge­r ?? Ein Selfie von der letzten Probe vor dem „Lockdown“.
Foto: Peter Trefflinge­r Ein Selfie von der letzten Probe vor dem „Lockdown“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria