Der Standard

Fehler mit dramatisch­en Folgen

Am AKH und in Tirol wurden Anti-Corona-Maßnahmen verantwort­ungslos verzögert

- Irene Brickner

Das Wiener AKH und der Tiroler Skiort Ischgl haben in diesen dramatisch­en Tagen der Coronaviru­s-Verbreitun­g etwas gemeinsam. Es sind beides Orte, an denen Verantwort­ungsträger mit Prävention­sund Eingrenzun­gsmaßnahme­n viel zu lange zögerten, wo sie nur auf das eigene Wohl schauten oder das Leben so lange wie möglich weiterlauf­en lassen wollten wie davor – und damit große Verwerfung­en auslösten.

Eines nämlich hat sich nach vier Monaten weltweiter Erfahrunge­n mit Corona klar herauskris­tallisiert: Dieser Krankheits­erreger nutzt zu seinem Umsichgrei­fen jeden Tag des Aufschubs von notwendige­n, wenn auch einschränk­enden und damit unbequemen Schritte. Um das Virus unter Kontrolle zu bringen, muss man vor allem eines sein: rasch.

Beispiel Wiener AKH, wo mit Stand Dienstagna­chmittag zwei Ärzte positiv getestet waren: Da fuhr vor zehn Tagen eine Gruppe Doktoren dieses größten und wichtigste­n – und damit auch angreifbar­sten – österreich­ischen Spitals zu einem Ärztekongr­ess in Zürs am Arlberg. Zu einem Zeitpunkt, als sich das Corona-Infektions­risiko unter Angehörige­n der besonders exponierte­n Klinikberu­fe angesichts der Lage in den am stärksten betroffene­n Regionen Norditalie­ns bereits herumzuspr­echen begann. Der Kongress wurde denn auch vorzeitig abgebroche­n, doch da war der Schaden bereits angerichte­t.

Warum konnten die Ärzte diese Reise überhaupt antreten, sei es dienstlich oder privat? Wo waren die verantwort­lichen Vorgesetzt­en, die sich rechtzeiti­g ein klares Bild der Lage gemacht und Mitarbeite­rfahrten jedweder Art rechtzeiti­g verboten hätten – auch jener, die „unbedingt notwendig“erschienen? Hier muss von mangelnder Anweisungs­klarheit und damit einem Versäumnis ausgegange­n werden – denn Krankenhäu­ser sind in dieser Krise die mit Abstand gefährdets­te öffentlich­e Einrichtun­g. icht nur eine Unterlassu­ng, sondern ein bewusstes Verzögern und – wie sich durch Recherchen des Standard nun herausstel­lt – sogar Vertiefen der hereinbrec­henden Gesundheit­skrise hat hingegen im Tiroler Ischgl stattgefun­den. Erst wartete man trotz bestätigte­r Infektione­n in dem Alpen-Ballermann­Ort lange mit Skiliftsch­ließungen und

NSaisonend­e zu – wohl um die Einkünfte eines weiteren lukrativen Wochenende­s einzustrei­fen. Und als dann die Behörden endlich aktiv wurden und den Ort unter Quarantäne setzten, wollte man die geldbringe­nden Gäste vielerorts so rasch wie möglich loswerden: Man forderte sie dazu auf, die Hotels binnen weniger Stunden zu verlassen – weshalb sie die Polizei zum Übernachte­n in Hotels in anderen Orten bringen musste.

Hunderte Menschen, etliche von ihnen mit dem Coronaviru­s infiziert, sollen auf diese Art übers Land verteilt worden sein. Jetzt, wenige Tage später, beginnen wir die Ernte dieses Vorgehens einzuholen, in Gestalt exponentie­ll steigender Fallzahlen in Österreich und hunderter, wenn nicht tausender Infektione­n in skandinavi­schen Ländern.

Was kann in der Zeit einer Epidemie verantwort­ungsloser als ein solches Verhalten sein? Derzeit können wir nicht mehr, als zu versuchen, mit seinen Folgen umzugehen. Doch wenn diese tiefe Krise eines hoffentlic­h nicht allzu fernen Tages überwunden ist, dann muss all das dringend aufgearbei­tet werden. Und es muss Konsequenz­en geben.

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