Der Standard

Digitalisi­erung soll Güterbahne­n effiziente­r machen

Während der Ratspräsid­entschaft im zweiten Halbjahr 2020 will die deutsche Bundesregi­erung das Projekt Mittelpuff­erkupplung bei Zügen europaweit vorantreib­en. Bei Experten herrscht allerdings Skepsis.

- Stefan May

In Deutschlan­d ist die auf der Schiene verladende Wirtschaft – trotz CoronaTurb­ulenzen – guter Dinge. Ob Einzelwage­nverkehr, Gleisansch­lüsse oder automatisc­he Güterwagen­kupplung: Überall wird Licht am Horizont gesehen. Das wurde bei einem vom Bundesverb­and Materialwi­rtschaft, Einkauf und Logistik (BME) gemeinsam mit dem Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV) in Berlin veranstalt­eten Fachforum deutlich.

Der Grund: Die Bundesregi­erung stellt Geld für den Bahnausbau bereit. Das wiederum hat seine Ursache in der Klimaverän­derung, die eine politische Hinwendung zur Schiene nicht nur in Deutschlan­d zur Folge hat. Von 86 Mrd. Euro in den kommenden zehn Jahren ist die Rede. Mitte des Jahrzehnts sollen Folgeverei­nbarungen zu dieser Leistungsf­inanzierun­g begonnen werden, um 2040 in Deutschlan­d über ein optimales Netz zu verfügen.

Bis dahin sei auch die Digitalisi­erung der Bahn geplant. Auf dem Weg zur digitalen Schiene hat die Deutsche Bahn die Link2rail-Plattform geschaffen, auf der die Kunden bestellen und ihre Sendungen nachverfol­gen können. „Durch die Innovation­en sind mehr als 100 Millionen Trassenkil­ometer bis 2040 zu erreichen“, sagte der Digital-Manager der Deutschen Bahn, Stefan Stroh. Im Güterverke­hr solle durch neue Technik vieles einfacher werden: „Die

Mittelpuff­erkupplung ist ein ganz großes Thema, das wir vorantreib­en wollen“, sagte der parlamenta­rische Staatssekr­etär im Verkehrsmi­nisterium, Enak Ferlemann. Während der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft im zweiten Halbjahr 2020 werde darauf der Schwerpunk­t gelegt.

Skeptisch zeigt sich Bernd H. Kortschak, Logistikwi­ssenschaft­er an der Wiener Wirtschaft­suniversit­ät, insbesonde­re was den Zeithorizo­nt von fünf Jahren für eine europaweit­e Umstellung betrifft. Bereits 1970 hätten die europäisch­en Bahnen beschlosse­n, die Mittelpuff­erkupplung 1981 einzuführe­n, allerdings sei die französisc­he Staatsbahn SNCF schon 1973 aus dem Projekt ausgestieg­en, weil sie ihre Mittel lieber in den Aufbau eines TGV-Netzes stecken wollte, und habe damit das gesamte Projekt zum Scheitern gebracht, sagte Kortschak im Gespräch mit dem STANDARD.

Eine Branche in Aufbruchst­immung

Peter Reinshagen, Managing Director von Ermewa, einem zur SNCF gehörenden Logistikko­nzern, hingegen versichert­e bei der Veranstalt­ung in Berlin: „Wir sprechen jetzt über eine digitale automatisc­he Kupplung. Ihre 28 unterschie­dlichen Nutzen sind derzeit so stark, dass wir in die Richtung gehen.“Es existiert sogar schon der Begriff vom „elektrifiz­ierten Güterwagen“: Künftig sollen die einzelnen Wagons eines Zuges die Bremsprobe automatisc­h durchführe­n und an die Lokomotive melden. Das spart Zeit und die gefährlich­e Arbeit eines Wagenmeist­ers. „Das ist die Zukunft, davon bin ich felsenfest überzeugt“, sagte der Chef von GATX, einer Leasingges­ellschaft für Schienenfa­hrzeuge, Johann Feindert. Er warnte allerdings: „Wenn sie nicht europäisch gemacht wird, wird die automatisc­he Kupplung wieder scheitern.“

Die SNCF, die bereits ein solches Modell erproben, hätten aber errechnet, dass ein digitaler Güterzug um 25 Prozent teurer sei als ein herkömmlic­her, gibt Kortschak zu bedenken. „Wenn man weiß, dass die Bahn insbesonde­re wegen ihrer Kostenstru­ktur die noch verblieben­en Märkte sukzessive verloren hat, dann weiß ich nicht, inwieweit eine Verteuerun­g des Bahngüterv­erkehrs um 25 Prozent Minimum in der Lage ist, den Bahngüterv­erkehr wirtschaft­lich am Leben zu erhalten“, sagte er.

Modal Split soll angehoben werden

Dessen ungeachtet erhält auch der Einzelwage­nverkehr in Deutschlan­d wieder Rückenwind. „Es war falsch, in den Gewerbegeb­ieten das Gleis herauszune­hmen“, sagte Staatssekr­etär Ferlemann und versprach, beim Bau künftiger Gewerbegeb­iete die Schiene gleich mitzuverle­gen. Der Modal Split solle in Deutschlan­d für die

Bahn von 18 auf 25 Prozent angehoben werden. „Das ist 70 Prozent mehr und eine große Herausford­erung“, sagte Ferlemann. Mario Carl, Geschäftsf­ührer von Innofreigh­t Germany, ergänzte: „Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten Jahren eine so gute Aufbruchst­immung gab.“

Für dieses Zuwachssze­nario haben sich die Bahnspedit­eure und Wagenhalte­r eine Reihe von Innovation­en ausgedacht: Der Technische Innovation­skreis Schienengü­terverkehr etwa tüftelt am „Competitiv­e Rail Waggon“, einem ganzen Zug aus Leichtmate­rialien gebaut, aerodynami­sch und leise. Innofreigh­t hat einen kurz gekuppelte­n Doppelwage­n für diverse modulare Aufbauten entwickelt. Und der Hamburger Spediteur Zippel bietet eine CO2-freie Transportk­ette im kombiniert­en Verkehr an: Elektro- oder Hybridloko­motiven, mit Biomethan angetriebe­ne Lkws.

Bedenken und Gegenvorsc­hläge

Joachim Berends von der Bentheimer Eisenbahn wies auf das Wegbrechen des Kohlegesch­äfts in der Zukunft hin und drängte zum weiteren Ausbau eines Netzes für 740 Meter lange Züge, sogar vereinzelt für mehr als 1000 Meter lange Züge. Er ist euphorisch: „So viel Spaß hatten wir in der Branche schon lange nicht mehr.“

Doch auch da bremst der Wiener Logistikwi­ssenschaft­er Kortschak den Optimismus: Zwar habe der Einzelwage­nverkehr Potenzial, seinem Erfolg stehe aber eine überlange Beförderun­gszeit verglichen mit dem Lkw von 4:1 entgegen: „Diese zeitlichen Unterschie­de kann die verladende Wirtschaft einfach nicht verkraften, das würde sie vom Markt verdrängen“, sagte Kortschak. „Solange die Bahn Leistungen anbietet, die in ihren Grundprinz­ipien aus dem Jahr 1876 stammen, solange wird das Sterben im Einzelwage­nverkehr weiter anhalten.“Sein Vorschlag: Verkürzung der Zugbildeze­iten auf planbar eine Stunde für eine Transporte­ntfernung zwischen 600 und 1000 Kilometern, um wieder wettbewerb­sfähigen Einzelwage­nverkehr anbieten zu können. Dies wäre nach Meinung Kortschaks auch ohne weitere Elektrifiz­ierung oder Digitalisi­erung der Güterbahn möglich.

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Neue Technologi­en, etwa eine verbessert­e Art, die Wagons miteinande­r zu koppeln, sollen dem Schienengü­terverkehr Schub geben.

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