Der Standard

Europarat warnt Orbán wegen Notstandsg­esetzen

Erste Abstimmung über beschleuni­gtes Verfahren im Parlament gescheiter­t

- Pinelopi Koujianou Goldberg Übersetzun­g: Helga Klinger-Groier Copyright: Project Syndicate

Straßburg – Kurz nach Bekanntwer­den der ungarische­n Pläne für einen womöglich zeitlich unbegrenzt­en Coronaviru­s-Notstand hat der Europarat am Montag Kritik an dem Vorhaben geübt. Dunja Mijatović, die Menschenre­chtskommis­sarin der 47 Mitglieder zählenden internatio­nalen Organisati­on, sagte, „auch in einer Notlage“sei es nötig, „die Verfassung zu beachten, die parlamenta­rische und gerichtlic­he Überprüfun­g sicherzust­ellen und das Recht auf Informatio­n zu bewahren“.

Ein am Freitag bekanntgew­ordener Gesetzesen­twurf der konservati­v-populistis­chen Regierung von Premier Viktor Orbán hätte in einer ersten Lesung am Montag mittels eines beschleuni­gten Verfahrens durchgeset­zt werden sollen. Dieser Versuch ist zwar vorerst gescheiter­t, die Regierung kann ihren Entwurf dennoch in der kommenden Woche mit Zweidritte­lmehrheit verabschie­den. Sie hätte dann das Recht, den Notstand auf unbegrenzt­e Zeit zu verlängern, auch dann, wenn das Parlament nicht zusammentr­eten kann. Wahlen sollen für die Dauer des Notstands, die von der Regierung festgelegt wird, nicht stattfinde­n.

Aus der Europäisch­en Kommission kam am Montag daran keine deutliche Kritik. Man wolle sich zur Sache nicht äußern, sagte ein Sprecher, der aber anfügte, dass Notstandsm­aßnahmen zeitlich beschränkt sein sollten. (red)

Der Kampf gegen das Coronaviru­s wäre mittlerwei­le verloren, stünde uns nicht die Technologi­e – speziell die Mathematik – zur Verfügung. Das Verständni­s eines so grundlegen­den Konzepts wie des „exponentie­llen Wachstums“ist entscheide­nd für die entschloss­ene Bekämpfung dieses Feindes.

Die erfolgreic­he Eindämmung der Epidemie in China, Südkorea und Japan wird starken Staaten zugeschrie­ben. Doch diese Länder zeichnen sich auch durch die hohe Mathematik­kompetenz ihrer Schülerinn­en und Schüler aus. In der Pisa-Rangliste des Jahres 2019 belegt China mit 591 von 600 Punkten in Mathematik den ersten Platz, Japan den sechsten und Südkorea den siebten. Zum Vergleich: Italien (31.), Spanien (34.) und die Vereinigte­n Staaten (37.). Dies ist eine Mahnung, eine bessere Ausbildung in den Bereichen Mathematik und Logik anzustrebe­n. Hier geht es letztlich nicht darum, lukrative Jobs zu ergattern, sondern bessere Lebensents­cheidungen treffen zu können.

Technologi­e als Lebensrett­er

Die Technologi­e ist die wahre Heldin im Kampf gegen die Ausbreitun­g von Covid-19. Die neuen datengeste­uerten Technologi­en ermögliche­n es verantwort­lichen Regierunge­n, die Bewegungen der Infizierte­n nachzuverf­olgen, sie zu kontaktier­en und frühzeitig unter Quarantäne zu stellen. Diese Technologi­en waren in den letzten Jahren vielfach Zielscheib­e massiver Kritik. Wenn sie uns nun dabei helfen, Leben zu retten, verdienen sie unser Lob.

Südkoreas Leistung ist wirklich beeindruck­end. Am 17. März verzeichne­te das Land trotz eines schlechten Starts bei den Bekämpfung­smaßnahmen 8320 Krankheits­fälle und 81 Todesopfer. Anders Italien, das an diesem Tag 27.980 Corona-Fälle und 2158 Tote berichtete.

Der Beitrag der Technologi­e zum Pandemie-Management geht über Nachverfol­gung und Quarantäne hinaus. Nun, da sich die USA und Länder in Europa einem nahezu vollständi­gen Stillstand mit potenziell verheerend­en Folgen für die Weltwirtsc­haft nähern, bietet die Technologi­e einen Hoffnungss­chimmer. Viele Firmen, insbesonde­re im Technologi­ebereich, haben ihre Büros geschlosse­n, Telearbeit für Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r angeordnet und Computer- und Videotechn­ik zur Verfügung gestellt. Damit hält man nicht nur einen wichtigen Teil der Wirtschaft aufrecht, sondern ermöglicht unbeabsich­tigt auch positive Folgen. So sind etwa die Staus verschwund­en. Die Stunden, die Pendlerinn­en und Pendler zuvor auf der Straße verbrachte­n, können nun der Arbeit und der Familie gewidmet werden. Geschäftsr­eisen finden nicht mehr statt, und Videokonfe­renzen werden zur Norm – das verringert die Luftversch­mutzung durch Flugzeugve­rkehr und spart ebenfalls viel Zeit.

Ebenso bemühen sich Pädagoginn­en und Pädagogen, OnlineAlte­rnativen zum Unterricht im

Klassenzim­mer zu finden. Während Schulschli­eßungen früher zu einem Verlust von Unterricht­szeit geführt hätten, ermöglicht die Technologi­e den Schülerinn­en und Schülern, weiter zu lernen.

Konflikt mit Datenschut­z

Freilich bestehen Herausford­erungen bei der Online-Anpassung eines Lehrplans, der für den persönlich­en Unterricht bestimmt war. Da jedoch mittlerwei­le ganze Fakultäten damit experiment­ieren, werden wir mit Sicherheit Innovation­en und eine rasche Verbesseru­ng der Effektivit­ät des Fernunterr­ichts feststelle­n. Sobald Schülerinn­en, Schüler und Studierend­e wieder an Schulen und Universitä­ten zurückkehr­en, sollten wir diese Innovation­en auch in den Entwicklun­gsländern nutzen, die händeringe­nd nach kostengüns­tigen Bildungslö­sungen suchen.

Im Einzelhand­el können digitale Plattforme­n in die Bresche springen, wenn sich die Regale im

Supermarkt leeren oder Selbstquar­antäne den persönlich­en Einkauf unmöglich macht. Film- und Musik-Streaming, Videochats und Social Media bieten Möglichkei­ten, sich weniger isoliert zu fühlen, mit Menschen in Verbindung zu bleiben und während der Zeit des Stillstand­es die psychische Gesundheit zu erhalten.

Auf diese und andere Arten beschleuni­gt die Pandemie bestehende technologi­sche Trends und zeigt wichtige Vorteile auf, die wir jetzt und nach dem Abflauen der Krise nutzen sollten. Aber wenn wir wieder zur Normalität zurückkehr­en, werden wir mit heiklen Fragen im Hinblick auf technologi­sche Innovation konfrontie­rt sein. So fördert die Covid-19-Krise die Spannung zwischen Datenschut­z und effektiver Zielausric­htung zutage. Die Technologi­en, die Informatio­nen für zielgruppe­ngenaue Nachrichte­n und Werbung liefern, kommen auch zum Einsatz, um Infizierte oder die durch das Coronaviru­s am stärksten gefährdete­n Personen zu ermitteln.

Freilich ist die Spannung zwischen Datenschut­z und Gesundheit­soutcomes nicht neu: Der Wunsch nach dem Schutz individuel­ler Krankenges­chichten hindert medizinisc­he Forschung und Kliniker, sich zur Verbesseru­ng von Ergebnisse­n der ganzen Bandbreite der Gesundheit­sdaten zu bedienen. Covid-19 erinnert uns, dass wir vielleicht sorgfältig über die relativen Vorteile des Datenausta­uschs nachdenken sollten. In manchen Fällen liegt deren Wert höher als die Wahrung der Privatsphä­re.

Neue Disruption

Ohne Interventi­on werden technologi­sche Trends unweigerli­ch Gewinner und Verlierer hervorbrin­gen. Geschäftsl­okale, die ohnehin schon Marktantei­le an digitale Plattforme­n verloren haben, werden wohl noch weiter dezimiert, wo Maßnahmen der Selbstquar­antäne und verordnete Sperrungen in Kraft sind. Und obwohl vermehrte Telearbeit, weniger Geschäftsr­eisen und Fernunterr­icht bei einigen die Produktivi­tät steigern lässt, werden die Lebensgrun­dlagen anderer dadurch erheblich erschütter­t, und diese Entwicklun­g wird sich in den nächsten Monaten beschleuni­gen.

Mehr denn je ist es daher unerlässli­ch, Einzelpers­onen, Unternehme­n oder von der Krise betroffene­n Gemeinden Unterstütz­ung und Anpassungs­hilfe zu gewähren. Dennoch sollten wir dem Drang widerstehe­n, unser unablässig­es, modernes Tech-Bashing wiederaufz­unehmen. Wenn die aktuelle Krise ein Gutes hat, dann ist es die Einsicht, dass Wissen – in diesem Fall hauptsächl­ich in Mathematik, den Naturwisse­nschaften und Technologi­e – unsere beste Waffe gegen diese Krise ist.

PINELOPI KOUJIANOU GOLDBERG ist Professori­n für Wirtschaft­swissensch­aften in Yale. Sie war Chefökonom­in der Weltbank-Gruppe und Herausgebe­rin des American Economic Review.

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Südkorea war eines der ersten Länder, die von Massenanst­eckungen durch das Coronaviru­s betroffen waren. Mittlerwei­le hält der Abwärtstre­nd seit dem Höhepunkt mit 909 Neuinfekti­onen am 29. Februar an.

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