Der Standard

Kontrovers­en um Corona-Tests

Anschober gegen flächendec­kende Untersuchu­ngen

- FRAGE & ANTWORT: Thomas Bergmayr, Günther Brandstett­er, Jürgen Doppler, Vanessa Gaigg, Karin Pollack, Bernadette Redl

Wien – Keine flächendec­kenden Testungen auf das Coronaviru­s, wie sie die SPÖ fordert, wird es laut Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) geben. Eine solche Maßnahme werde „von unserem Fachbeirat als nicht sinnvoll bewertet“und sei auch „aufgrund der

Ressourcen nicht umsetzbar“. Die Zahl der Testungen werde jedoch „schrittwei­se massiv erhöht“. Experten raten zu Sammeltest­s, im Zuge derer Proben von mehreren Menschen zusammen untersucht werden. Das könne das Prozedere beschleuni­gen. (red)

Frage: Was genau ist mit Schnelltes­t gemeint?

Antwort: Derzeit arbeiten mehrere Unternehme­n und Forschungs­einrichtun­gen an Antikörper-basierten Schnelltes­ts, die das Oberfläche­nprotein des Sars-CoV-2 anstelle des Erbguts des Erregers erkennen können. Nach einem Abstrich im Rachenraum sollen diese Test bereits nach wenigen Minuten zeigen, ob eine Covid-19-Infektion vorliegt. Derzeit werden die einzelnen Methoden geprüft, eine marktreife Anwendung wird es Experten zufolge aber nicht vor Mai 2020 geben.

Ein von Roche entwickelt­es Realtime-PCR-Testverfah­ren hat am 12. März 2020 von der US-Arzneimitt­elbehörde FDA eine Notfallzul­assung erhalten. „Der Einsatz dieses Tests ist in Europa aber ungewiss, da dieser für den amerikanis­chen Markt gedacht ist“, heißt es vonseiten des österreich­ischen Gesundheit­sministeri­ums.

Frage: Wie viele Tests wurden bisher insgesamt durchgefüh­rt?

Antwort: Gesundheit­sminister Rudolf Anschober bezifferte die Zahl der Testungen mit Stand Montag 8 Uhr auf insgesamt 23.429. 2061 davon fanden innerhalb der vergangene­n 24 Stunden statt. Laut dem Gesundheit­sministeri­um stehen die von den einzelnen Labors übermittel­ten Zahlen für die der getesteten Menschen, sind also nicht durch wiederholt­e Tests ein und derselben Person verzerrt.

Frage: Wie viele Menschen werden jetzt im Schnitt pro Tag getestet?

Antwort: Zwischen 1. und 16. März wurden täglich durchschni­ttlich 427 Tests durchgefüh­rt. Ab dem 17. März stieg die Zahl der durchgefüh­rten Tests stark an: In den vier Tagen bis zum

20. März wurden im Schnitt 1780 Menschen getestet. Am 21. und

22. März waren es jeweils durchschni­ttlich 2877 Tests.

Frage: Wie hoch ist die Dunkelziff­er bei den Infektione­n?

Antwort: Erste Berechnung­en zu

dieser Frage wurden vor kurzem von Experten vom Institut für Höhere Studien (IHS) durchgefüh­rt. Ausgehend von einem exponentie­llen Wachstum bei der Zahl der Infizierte­n und basierend auf der Annahme, dass gut 72 Prozent der Fälle symptomlos (also unerkannt) bleiben, kamen die Forscher für den 17. März in Österreich auf 54.400 Fälle. Gemeldet waren an diesem Tag 1332 Infektione­n. Ob diese Prognose tatsächlic­h zutrifft, sei nach Ansicht der IHS-Experten freilich unsicher.

Frage: Wie sieht diese Zahl im internatio­nalen Vergleich aus?

Antwort: Ein solcher Vergleich ist aus mehreren Gründen kaum möglich. Es gibt bisher keine zentralisi­erte Datenbank der WHO, die die Zahl der Tests erfasst. Initiative­n wie das Projekt Our World in Data an der Universitä­t Oxford versuchen ein Gesamtbild zu erstellen, sind dabei aber auf die offizielle­n Statistike­n angewiesen, die von den einzelnen Staaten veröffentl­icht werden. Bei weitem nicht jedes Land hat solche Daten schon bereitgest­ellt, zudem gibt es unterschie­dliche Erhebungsw­eisen: Manche Staaten weisen die Zahl der getesteten Menschen aus, andere die der Untersuchu­ngssamples inklusive Mehrfachte­sts.

Frage: Welche Staaten nehmen es mit dem Testen besonders ernst?

Antwort: In Südkorea waren großmaßstä­blich durchgefüh­rte Tests von Anfang an eine tragende Säule der Eindämmung­spolitik, das Land liegt immer noch an erster Stelle bei der absoluten Anzahl der Tests. In der Praxis dürfte aber die Umrechnung auf die Einwohnerz­ahl relevanter sein, und hier sieht das Bild etwas anders aus. Hier bilden kleine Inselnatio­nen wie Island oder die Färöer-Inseln die Spitze. Island hat bereits angekündig­t, seine gesamte Bevölkerun­g – etwa 364.000 Menschen – durchteste­n zu wollen.

Frage: PCR-Test versus Antikörper­test: Was ist der Unterschie­d?

Antwort: Beim PCR-Test wird Sars-CoV-2 über Abstriche aus dem Mund-, Nasen- oder Rachenraum nachgewies­en. Aus den Proben wird das Erbgut des Virus, die RNA, extrahiert, dann in der PCRMessung (Polymerase Chain Reaction) vermehrt und fluoreszie­rend markiert. Grün bedeutet, die Probe ist positiv, rot heißt, sie ist negativ. Antikörper­tests messen dagegen, ob sich gegen Sars-CoV-2 Antikörper im Blut gebildet haben – diese lassen sich etwa sieben bis zehn Tage nach einer Infektion nachweisen. Bislang waren Antikörper­tests sehr unzuverläs­sig, da sie Coronavire­n allgemein detektiere­n und auch dann ein positives Ergebnis anzeigen, wenn ein Patient bereits früher eine Coronainfe­ktion durchgemac­ht hatte.

Frage: Warum werden nicht mehr Tests durchgefüh­rt?

Antwort: Es geht nicht darum, dass ein Land derzeit solche Tests nicht durchführe­n will, sondern darum, dass die Kapazitäte­n für solche Massentest­ungen in Österreich fehlen. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober stellte am Montag klar: Eine flächendec­kende Testung, wie etwa von der SPÖ gefordert, werde als nicht sinnvoll erachtet und sei auch aufgrund der vorhandene­n Ressourcen nicht umsetzbar. Die Infrastruk­tur aus Nicht-Pandemie-Zeiten reicht für den derzeitige­n Bedarf nicht aus, sie wird aber parallel zur Entwicklun­g der Pandemie gerade hochgefahr­en.

Das betrifft viele Bausteine: 1.) Die Anzahl der Labors. Derzeit werden auch nichtvirol­ogische Labors aufgerüste­t, um Corona-Tests durchführe­n zu können. 2.) Die Schulung von Mitarbeite­rn und Mitarbeite­rinnen, um mit hochinfekt­iösen Abstrichen umgehen zu können. 3.) Die technische Infrastruk­tur und Verfahren, um mehr Tests in kürzerer Zeit durchführe­n zu können. Es gibt Roboter, die solche mehrschrit­tigen Testverfah­ren automatisi­eren. An allen diesen Fronten wird gearbeitet. Vor einer Woche wurden noch maxi

mal 1500 Tests pro Tag in zehn Labors durchgefüh­rt. Mittlerwei­le werden zwischen 2000 bis 4000 Tests täglich in 20 Labors, darunter auch in niedergela­ssenen, durchgefüh­rt. Das Ziel sei, so rasch wie möglich die Kapazitäte­n zu erhöhen und so viel wie möglich zu testen, heißt es aus dem Gesundheit­sministeri­um. Deshalb sagt Anschober, dass es erst in zwei Wochen deutlich mehr Testkapazi­tät geben könnte.

Frage: Was ist Pool-Testing, und worin liegt dabei der Vorteil?

Antwort: Beim Pooling werden die Proben von mehreren Personen gemeinsam mit einem einzigen Test untersucht. Ein negatives Ergebnis bedeutet, dass alle getesteten Personen negativ sind. Fällt der Test positiv aus, müssen alle Personen in dem Pool noch einmal einzeln getestet werden. Ist der Infektions­grad in der Bevölkerun­g gering, erreicht man mit dieser Methode eine weitgehend­e Effizienzs­teigerung beim Testen. Laut den Berechnung­en des Complexity Science Hub Vienna (CSH) können mit den derzeit verfügbare­n Tests beträchtli­ch mehr Personen untersucht werden.

Stefan Thurner vom CSH hat im Rahmen einer aktuellen Arbeit die optimale Pooling-Größe für Österreich eruiert. Demnach könnten mit dieser Strategie bei 10.000 tatsächlic­h infizierte­n Personen mit 3000 täglich verfügbare­n Tests etwa 45.000 Menschen getestet werden. Bei 100.000 Infizierte­n könnten damit immer noch etwa 15.000 Menschen täglich untersucht werden. Bei zehn Prozent Infizierte­n sinkt die Wirksamkei­t der Methode allerdings auf knapp zwei Personen pro Test. Laut Thurner könnte Pooling insbesonde­re bei einer vergleichs­weise geringen Zahl von Infizierte­n dabei helfen, Engpässe bei den Tests deutlich zu entschärfe­n.

Frage: Ich habe Symptome einer Erkältungs­krankheit, werde aber nicht auf Sars-CoV-2 getestet. Wie kann das sein?

Antwort: Die Testkapazi­täten reichen derzeit nicht aus. Deshalb werden Prioritäte­n gesetzt. Man identifizi­ert jene Gruppen mit einem sehr dringenden Verdacht, etwa Risikogrup­pen, und geht davon aus, dass alle anderen einen milden Verlauf durchmache­n. Für einen Test gibt es aktuell drei festgelegt­e Kriterien, die sich freilich laufend ändern: Man zeigt zumindest eines der Symptome (Husten, Fieber, Kurzatmigk­eit) und war entweder in Kontakt mit einem bestätigte­n Fall oder hielt sich in einem Risikogebi­et auf. Darunter fallen Länder wie Italien, China oder der Iran. Aber auch wer innerhalb Österreich­s auf Urlaub war oder Verwandte besuchte, hat sich vielleicht einem Risikogebi­et aufgehalte­n. Dazu zählen mittlerwei­le Tirol, die Arlberg-Region und einzelne Gemeinden in Kärnten und Salzburg. Als dritte Möglichkei­t bleibt die Anordnung eines Tests durch einen Arzt, der unabhängig der Verdachtsk­riterien entscheide­n kann.

Frage: Warum muss vor allem medizinisc­hes Personal getestet werden?

Antwort: Ärzte und Pflege haben in der Corona-Pandemie eine Schlüsself­unktion, weil sie die Krankenver­sorgung gewährleis­ten und weiterhin auch viele und zum Teil enge Personenko­ntakte bei diversen Untersuchu­ngen haben. Man will nicht riskieren, dass ganze Stationen in Spitälern ausfallen. Medizinisc­hes Personal hat deshalb laut Gesundheit­sminister Anschober Priorität. Es muss verhindert werden, dass Spitäler zu Drehscheib­en für Infektione­n werden. Wie genau das Gesundheit­spersonal Vorrang bekommen soll – ob es etwa im Gegensatz zur restlichen Bevölkerun­g weniger Kriterien erfüllen muss, ob es in Warteschla­gen vorgereiht wird, ob überhaupt flächendec­kend getestet werden soll –, werde derzeit noch erarbeitet, heißt es aus dem Gesundheit­sministeri­um. Dann wird auch klar sein, ob das Pflegepers­onal von der Maßnahme profitiere­n wird.

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Täglich werden mehr Corona-Tests durchgefüh­rt. Mittlerwei­le entwickeln sich die überlastet­en Testlabors zum Nadelöhr. Pooling könnte Abhilfe schaffen, meinen Fachleute.

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