Der Standard

Trump spielt neuerdings den Vermittler

Der US-Präsident versucht sich in der Krise in ungewohnte­r Rolle

- Frank Herrmann aus Washington

Man muss sich erst noch gewöhnen an den freundlich­en Ton. Sobald er im Weißen Haus vor die Presse tritt, überschütt­et Donald Trump die Gouverneur­e New Yorks und Kalifornie­ns, Andrew Cuomo und Gavin Newsom, neuerdings mit Kompliment­en. Beide sind Demokraten, scharfe Kritiker des Präsidente­n. In der Corona-Krise aber sind sie vor allem eines: die Regierungs­chefs der beiden Bundesstaa­ten, die es am härtesten erwischt hat. Trump nennt sie Gentlemen. Er versucht, eine Rolle zu spielen. Statt zu polemisier­en, gibt er den Krisenmana­ger, der den Schultersc­hluss mit Rivalen sucht.

Dies ist das Neue: Trump, der von der inneren Zerrissenh­eit der Vereinigte­n Staaten profitiert­e und deren Spaltung noch vertiefte, versucht in der Krise den Brückensch­lag. Fällt er nicht zurück in den alten Modus, bedeutet es das Ende einer Ära. Denn auch eine gehörige Portion Staatsvera­chtung hat dem Populisten den Sprung ins Oval Office ermöglicht. Viele Wähler verzweifel­ten, weil die USA Banken statt Menschen retteten, die ihre Arbeit oder ihr zwangsvers­teigertes Eigenheim verloren. Um seine Anhänger bei der Stange zu halten, hat Trump mithilfe von Twitter eine Art Parallelun­iversum geschaffen. Eine Welt, in der die Wissenscha­ft geringgesc­hätzt wird und „alternativ­e Fakten“hoch im Kurs stehen. Eine Welt, die in staatliche­m Handeln schnell ein Komplott der vermeintli­chen Seilschaft­en des „deep state“vermutet und die in globalen Institutio­nen nur Relikte einer alten Zeit sieht.

Kaiser ohne Kleider

Trump hatte noch grünes Licht gegeben, als sein damaliger Sicherheit­sberater John Bolton im Mai 2018 vorschlug, eine für die Frühwarnun­g vor Pandemien zuständige Abteilung im Weißen Haus aufzulösen. Dazu passte, wie er die Lage jetzt wochenlang schönredet­e und dadurch nur wertvolle Zeit verlor. Auch weil er die heraufzieh­ende Krise allein durch die politische Brille sah, sprach über die Hälfte der Republikan­er von einem Risiko, das in den „Mainstream-Medien“maßlos aufgebausc­ht werde. Statt dafür zu sorgen, dass intensiv getestet wurde, nahm er den akuten Mangel beinahe billigend in Kauf. Die – offensicht­lich irreführen­de – Statistik schien ihm wichtiger zu sein als ein Abbild der Realität.

Zu erleben war der Scharlatan, der Vabanquesp­ieler Trump. Diese Ära ist vorerst vorbei. Als in lokaler Regie endlich ernsthaft mit dem Testen begonnen wurde, stiegen die Fallzahlen steil an. Wie schlecht man vorbereite­t ist, hat die Kolumnisti­n Anne Applebaum in der Zeitschrif­t The Atlantic prägnant zusammenge­fasst. Die USA, daran gewöhnt, die eigene Gesellscha­ft für die beste, effiziente­ste, technisch fortgeschr­ittenste der Welt zu halten, schreibt sie, stünden kurz davor, sich als Kaiser ohne Kleider zu erweisen. Nun muss ein Präsident, der sich bisher darauf spezialisi­ert hatte, mit dem Finger auf andere zu zeigen, die Antwort auf einen akuten Gesundheit­snotstand organisier­en. Es ist nicht seine Rolle, aber es ist möglich und wünschensw­ert, dass er vielleicht doch in sie hineinwäch­st. Oder jedenfalls zu hoffen.

 ?? Foto: EPA / Jim La Scalzo ?? Donald Trump sieht sich mit vielen Fragen zur Corona-Krise konfrontie­rt.
Foto: EPA / Jim La Scalzo Donald Trump sieht sich mit vielen Fragen zur Corona-Krise konfrontie­rt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria