Deutsche Regierung erwägt, Infizierte zu überwachen
Gesetzesentwurf wurde nach massiver Kritik zurückgezogen – zumindest vorerst
Berlin – Weltweit fahren Regierungen die Überwachungsgeschütze auf und spionieren ihre Bürger vermehrt aus. Ihr Ziel: das Coronavirus zu stoppen. Auch die deutsche Regierung will das Infektionsschutzgesetz anpassen, um eine gezielte Überwachung einzelner Personen zu ermöglichen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde kürzlich veröffentlicht – und sorgte für so viel Kritik, dass die Pläne bald darauf zumindest vorerst zurückgezogen wurden.
Gesundheitsbehörden sollen dem Entwurf zufolge die Befugnis erhalten, die Bewegungsdaten von nachweislich erkrankten Personen einzusehen und Menschen, mit denen sie in Kontakt getreten sind, zu benachrichtigen. Die Informationen sollen von Mobilfunkern eingeholt werden.
Funkzellenabfragen
Hierfür sollen, so die Überlegung, Funkzellenabfragen zum Einsatz kommen. Das Smartphone verbindet sich mit Funkzellen, um Signale zu übertragen. Mithilfe einer Abfrage ist es möglich, den Standort des Geräts – und damit des Users – zu erfassen. Aktuell darf das jedoch nur bei schweren Straftaten auf Anordnung eines Richters geschehen. Die Pläne sind schwer umstritten – deswegen lehnte Gesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) eine Ortung von Kontaktpersonen Infizierter nun doch vorerst ab: Regierungskreise bestätigten der Nachrichtenagentur AFP, dass die Pläne noch bis Ostern nachgearbeitet werden sollen, bevor sie dem Kabinett vorgelegt werden. Gänzlich vom Tisch ist das Thema damit also nicht.
Damit reagiert die deutsche Regierung auf die massive Kritik, die nach der Enthüllung folgte. Datenschutzorganisationen verorten einen massiven und unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte.
Auch Ulrich Kelber, der deutsche Datenschutzbeauftragte, kritisierte die Pläne. Aus seiner Sicht müssten alle Maßnahmen zur Datenverarbeitung „erforderlich, geeignet und verhältnismäßig“sein. Dafür fehle in diesem Fall jeder Nachweis. Funkzellenabfragen sind nämlich nicht besonders exakt – der Radius einer Funkzelle ist viel zu groß, um tatsächlich aussagen zu können, ob jemand sich in der Nähe einer Person befunden hat oder nicht. Viel genauer sind beispielsweise GPS- oder WLAN-Abfragen. Für Kelber sind solche Maßnahmen aber nicht grundsätzlich abzulehnen, sofern eine Einwilligung der Betroffenen erfolgt.
Auch Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach sich im ZDF gegen die Pläne aus: Bevor ein so „tiefgreifender Einschnitt“in die Grundrechte der Bürger geschehe, müsse erst ersichtlich werden, dass das auch absolut zwingend notwendig ist. Die Grünen begrüßten den vorläufigen Rückzieher, für sie handle es sich um „unausgegorene“Pläne.
Schon jetzt erhält das staatliche RobertKoch-Institut (RKI) anonymisierte Handydaten von der Deutschen Telekom, um Bewegungsstromanalysen von Nutzern zu erstellen und so die Ausbreitung zu beobachten. Nun will man einen Schritt weitergehen. RKI-Präsident Lothar Wieler hatte in diesem Monat bereits mehrmals die Forderung nach einer weitreichenderen Überwachung in den Raum geworfen, seit Wochen beschäftigt sich außerdem ein Team von 25 Personen von zwölf Institutionen mit der Thematik.
Auch in Österreich
Hierzulande bietet die teilstaatliche A1 der Bundesregierung Bewegungsstromanalysen an, um zu ermitteln, wie gut sich Österreicher an die Ausgangssperre halten. Das wurde vergangene Woche bekannt – das Unternehmen betont dabei, dass es sich um anonymisierte Daten handle. Es gehe ausschließlich darum festzustellen, um wie viel die Bewegungen im öffentlichen Raum insgesamt abgenommen haben. So kam man zu dem Schluss, dass die Mobilität in Städten von einem Samstag auf den anderen um 90 Prozent abgenommen habe.