Der Standard

Klopapier und alte weiße Männer

Aktuell avanciert jede Kleinigkei­t unseres Ausnahmeal­ltags zum Inhalt harmloser Corona- Schmähs. Online kursieren aber auch Witze über Gewalt, Rassismus und Verharmlos­ung. Wie weit darf Satire über Covid-19 gehen?

- Katharina Rustler

Ein Mann mit Winterjack­e, Kopfhörern und Smartphone in der Hand hält sich an einer Duschstang­e fest. Der Text darunter: „When you miss your daily life.“Binnen kürzester Zeit hat sich ein neues Genre in der Welt der Satire etabliert: der Corona-Witz. Egal, auf welcher Plattform man sich bewegt, sei es Twitter, Youtube oder Instagram, wird er in Form von Memes (Bild plus Textkommen­tar) oder Videos erzählt – ob man das will oder nicht. Bekannte schicken (vermeintli­ch) humoristis­che Viruswitze auf Whatsapp, und auch unter Kollegen boomen Schutzmask­en-Cartoons im Homeoffice-Chat.

Insbesonde­re jene Witze, die auf die Umstellung unseres alltäglich­en Lebens Bezug nehmen, sind in der Onlinewelt en vogue: So die für die Krise sinnbildli­che Klopapierr­olle oder der Gag, dass während in Frankreich Rotwein und Kondome gehamstert werden, es hier Klopapier und Mehl sind. Ein ebenso gern verwendete­s Motiv ist die mexikanisc­he Biersorte Corona, die alle anderen Bierflasch­en in Angst versetzt und zwecks der Vermarktun­g auf Ebola umgetauft wird.

Aber warum machen Menschen Witze über ein so ernstes Thema? Vergessen wir, dass aktuell tausende Menschen an einem pandemisch­en Virus sterben? „Humor funktionie­rt wie ein Ventil“, erklärt die klinische Psychologi­n und Humorforsc­herin Doris Bach, die auch Präsidenti­n des CliniClown­s-Forschungs­vereins ist. „Die Fähigkeit, Humor zu haben, ist etwas ganz Großartige­s – gerade jetzt. Für Sekunden kann man sich durch diesen Schutzmech­anismus von Emotionen wie Angst oder Wut distanzier­en. Die Situation selbst verändert sich dadurch zwar nicht, aber die eigene Stimmung“, sagt Bach.

Best of Corona und Rassismus

Sucht man gezielt nach Corona-Witzen, finden sich online ganze Best-of-Listen: Der Burgenländ­er trägt ein Weinglas als Mundschutz, Menschen stellen fest, dass ihr Leben eigentlich immer in der Quarantäne stattfinde­t. Geschüttel­te Hände werden abgesägt – oder so lange gewaschen, bis sie aussehen wie jene vom Terminator. Auch andere Filmstills funktionie­ren als Meme: So steht über Jack Nicholsons gruseligem Grinsen aus The Shining: „Nur ein paar Wochen Isolation mit der Familie – was kann da schon schiefgehe­n?“Auf Youtube wird das Lied My Sharona in den Quarantäne­Ohrwurm My Corona umgedichte­t.

Doch nicht alle kursierend­en Witze zeugen von dieser harmlosen eskapistis­chen Qualität. Gewalt, rassistisc­he Inhalte und Verharmlos­ungen mischen sich darunter. Menschen mit asiatische­m Aussehen werden zum Symbol der Übertragun­g, auf Infizierte wird sogar geschossen.

In die Kritik gerieten unter anderem der von Ai Weiwei auf Instagram gepostete Witz „Das Coronaviru­s ist wie die Pasta. Die Chinesen haben sie erfunden und die Italiener haben sie verbreitet“oder die von der Wiener Kabarettis­tin Lisa Eckhart als Aufhänger verwendete­n Aussagen über „Schlitzaug­en“und „große Nasen“. Auch ein Video des ARD-Onlinesend­ers Funk sorgte für Furore, weil es Covid-19 als etwas Positives darstellte, das endlich unseren vom „Turbokapit­alismus“gebeutelte­n und überbevölk­erten Planeten von den weißen alten Männern bereinige.

„Chill out! Have a Corona“

Natürlich liegt es in der Natur der Satire, Grenzen zu überschrei­ten. Wo diese genau liegen, hängt sehr stark von der individuel­len Humorquali­tät ab, erklärt Bach. Solange diese Witze seicht seien, würden sie auch niemanden angreifen. Problemati­sch werde es aber, sobald Menschen angefeinde­t werden. „Wirklich kritisch kann Satire werden, wenn Inhalte nicht als Humor verstanden werden, sondern als Aufforderu­ng“, so die Humorforsc­herin.

Ob Corona-Witze abflachen, wenn mehr Menschen betroffen sind, glaubt Claus Lamm, Empathiefo­rscher an der Universitä­t Wien, allerdings nicht. „Gerade dann wird man sie noch mehr brauchen. Witz oder Humor stellen ja nicht die Existenz des Virus und seine objektive Bedrohlich­keit infrage, sondern verschaffe­n einen Moment Pause.“Auch Doris Bach ist sich sicher: „Je größer die Katastroph­e wird, desto beißender wird auch unser Humor werden.“

Dass die Katastroph­e noch größere Dimensione­n annehmen wird, scheint momentan wahrschein­lich. In den Charts der Corona-Komik reihen sich auch Witze ein, die sich über Politiker wie Boris Johnson oder Donald Trump lustig machen. „Chill out! Have a Corona“steht da über einem zuprostend­en Trump. Johnson wird als machtgieri­ger Regent dargestell­t, der seine Untertanen dem Virus zum Fraß vorwirft. Und sind die drei Clowns da etwa seine engsten Berater? Gefährlich wird es, wenn Satire und Realität verschwimm­en und der Corona-Witz zum Corona-Ernst wird.

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Humor als Ventil: Je schlimmer die Realität wird, desto schwärzer werden auch unsere Witze darüber (oben eine harmlose Auswahl).
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