Der Standard

Endlich nichts zu tun

Das Coronaviru­s brachte die große Entschleun­igung. Die US-Autorin Jenny Odell fragte sich schon davor, wie man sich erfolgreic­h den Spiralen der Aufmerksam­keitsökono­mie widersetzt.

- Dominik Kamalzadeh

Das Leben in Moskau, sagte der russische Regisseur Kirill Serebrenni­kow unlängst in Deutschlan­dfunk Kultur, sei zuletzt noch chaotische­r als in Berlin verlaufen. „Wir wurden dauernd von irgendwelc­hen Leuten rausgeriss­en: Anrufe, SMSMitteil­ungen, Telegramm, Instagram, Facebook und so weiter.“Diese Form der Dauerberie­selung empfand er als systemisch­e Last. Viele von uns kennen dieses Gefühl: Vernetztse­in ist Teil unseres „way of life“. Entspreche­nd schwer ist es, sich dem Sog des Digitalen zu entziehen.

Serebrenni­kow hat die Unterbrech­ung, die wir durch die Einschränk­ungen seit der CoronaKris­e erleben, schon davor als Zwangsmaßn­ahme eines autokratis­chen Staates erlebt. Mehrere Monate stand der regimekrit­ische Regisseur unter Hausarrest. Serebrenni­kow hat die Isolation jedoch zu nützen verstanden: Er durchbrach die lästigen Routinen, um seine Konzentrat­ionsfähigk­eit neu zu kalibriere­n. Endlich hatte er Zeit, lange Schmöker der Weltlitera­tur zu lesen, Tagebücher zu schreiben, ja, eine neue Sprache zu lernen.

Keine Sorge, hier soll die Verunsiche­rung, die wir alle gerade durch Covid-19 erfahren, nicht als Detox-Gelegenhei­t schöngered­et werden. Dennoch kann man sich bei aller Unklarheit darüber, wie die nächsten Wochen, ja sogar Monate aussehen werden, auch die Frage stellen, ob die Unterbrech­ung gewohnter Abläufe nicht auch neue Sensibilit­äten ermöglicht und andere Zonen für Begegnunge­n schafft.

Angesichts der pfeilschne­ll über uns gekommenen Realität von Homeschool­ing, Online-Unis und Remote-Konferenze­n ist bereits von einer Neubewertu­ng des Internets die Rede. Da steht vor allem die Frage der Produktivi­tät im Zentrum. Mit demselben Recht könnte man seine Aufmerksam­keit aber nun auf jene Praktiken richten, die zuletzt eher als Makulatur erschienen sind: Wann haben wir zuletzt einen Spaziergan­g im Grünen mit derselben Lust absolviert?

Während einer Pandemie, die uns mit dem vorübergeh­enden Stillstand des Lebens wie in einem Science-Fiction-Film konfrontie­rt – wer erinnert sich noch an The Quiet Earth? –, sollte man vielleicht nicht sofort wieder in Kategorien des Nutzens zurückfall­en. Zumal vielen Betroffene­n die Möglichkei­ten von Remote-Arbeit ohnehin verschloss­en sind.

Die US-Autorin und Künstlerin Jenny Odell hat bereits 2019 ein Buch mit dem leicht irreführen­den Titel How To Do Nothing geschriebe­n, das es auch auf Barack Obamas Bestenlist­e des Jahres schaffte. Es handelt sich um keinen Lebensratg­eber fürs „dolce far niente“, sondern um einen zwischen Kulturkrit­ik, Sozialgesc­hichte und Kunstbetra­chtung mäandernde­n Essay. Im Zentrum steht die Frage, wie man sich jener Aufmerksam­keitsökono­mie entziehen kann, die vor allem von gewinngest­euerten sozialen Medien verkörpert wird.

Wider die Produktivi­tät

Odell geht es um keine radikale Abkehr, sondern um die Frage, wie wir unsere Aufmerksam­keit zurückgewi­nnen können. Sie sucht nach einer Position, von der aus sich die Welt (inklusive jener des Internets) neu erobern lässt. Die entscheide­nde Veränderun­g liegt in der Verweigeru­ng der Idee von Produktivi­tät. Odell hat zahlreiche historisch­e Beispiele parat: Thoreau, Diogenes, den FassBewohn­er, oder Bartleby, den Schreiber aus Herman Melvilles berühmter Erzählung.

Dessen störrische Antwort „Ich möchte lieber nicht“steht allerdings erst am Beginn einer umfassende­ren Abwendung. Denn das Ziel muss sein, die Wahrnehmun­g auf seine nähere Umwelt neu auszuricht­en. Odell verortet eine Krise des Denkens, eine allgegenwä­rtige Dekontextu­alisierung von Informatio­nen, die Hand in Hand mit einer „Verödung“der Ressourcen der Natur geht.

Ein Rosengarte­n ist für sie das erste, zu einem gewissen Grad auch symbolisch­e Beispiel einer Oase des Müßiggangs, in der den algorithmu­sgesteuert­en Spiralen der Zerstreuun­g, des Neids und der Angst Einhalt geboten werden kann. Anstatt auf Wachstum und Progressio­n richtet sich Odell auf das Zyklische und Regenerati­ve aus. Auf eine Lebenswelt, in der sich mit Konzentrat­ion „bioregiona­le“Interdepen­denzen entdecken lassen.

Verweigeru­ng statt Flucht

Wem das zu sehr nach modernem Hippietum klingt, dem sei gesagt, dass Odells Fokus eine politische Dimension in sich birgt. Die Aufmerksam­keitsökono­mie hält uns in einer endlosen Gegenwart gefangen, die unsere Vorstellun­g lähmt, dass es auch anders geht. Deshalb sei es so wichtig, einen Schritt heraus zu tun: Die Lust, allem einfach den Rücken zu kehren, müsse zu einem Bekenntnis der Verweigeru­ng reifen. Und allmählich zu einem Ort wachsen, wo man auch anderen begegnet.

Die Maßnahmen der CoronaKris­e wurden schon öfters als Zwangspaus­e für eine überreizte Gesellscha­ft gelesen, aus der diese am Ende möglicherw­eise verändert hervorgeht. Für solche Prognosen ist es zu früh. Doch Odells Plädoyer für eine Teilhabe, die sich ein Stück abseits versteht, klingt gerade sehr aktuell. Genauso wie ihr Eintreten für Fürsorge, ein wieder geschärfte­s, aktiveres Zuhören sowie die Idee von Instandhal­tung und Pflege. Tugenden, die wir vielleicht auch nach der Krise umarmen sollten.

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In der Hängematte liegen, dabei aber neue Beziehunge­n zu seiner Umwelt knüpfen: Leben in Brooklyn während des Shutdowns.

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