Der Standard

Tödlicher Ölkäfer ist „Insekt des Jahres“

Gerät der Schwarzbla­ue Ölkäfer in Panik, sondert er ein toxisches Sekret aus seinen Kniegelenk­en ab. Das Gift eines einzigen Exemplars reicht aus, um einen erwachsene­n Menschen zu töten.

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Richtig giftige Tiere sind in unseren Breiten selten. Ein paar gibt es aber doch, zum Beispiel den Schwarzbla­uen Ölkäfer (Meloe proscaraba­eus), das „Insekt des Jahres“2020. Ein einziges Exemplar enthält genügend Gift, um einen Menschen zu töten.

Auffällig sind vor allem die Weibchen der Art, denn ihr Hinterleib schwillt massiv an, wenn sie Eier produziere­n. Die Tiere werden dann 30 bis 35 Millimeter lang – die Männchen hingegen bringen es nur knapp auf zehn Millimeter. Beide Geschlecht­er haben verkürzte Flügeldeck­en und sind flugunfähi­g. Ihre von Kopf bis Fuß schwarzbla­ue Färbung hat ihnen den ersten Teil ihres Namens eingetrage­n.

Der Name „Ölkäfer“hingegen bezieht sich auf die Verteidigu­ngsstrateg­ie der Tiere: In Mitteleuro­pa gibt es rund 20 Ölkäfer-Arten, und sie alle geben bei Beunruhigu­ng aus ihren Kniegelenk­en eine ölige Substanz ab, die das Gift Cantharidi­n enthält. Nur wenige Milligramm davon genügen, um einen erwachsene­n Menschen zu töten. Dementspre­chend wurden Ölkäfer beziehungs­weise das in ihnen enthaltene Cantharidi­n im Lauf der Jahrhunder­te auf vielfache Weise verwendet: so etwa im antiken Griechenla­nd neben dem Schierling­sbecher für Hinrichtun­gen oder in der Renaissanc­e für die Giftmorde der Familie Borgia. Die Spanische Fliege, ein schillernd grüner Ölkäfer, erreichte in diesem Zusammenha­ng eine gewisse Berühmthei­t.

Doch auch in der Medizin wurden Ölkäfer – in geringerer Dosierung – gerne eingesetzt: Unter anderem wurden sie mit Schmalz zu Zugsalben verarbeite­t, die als Pflaster aufgetrage­n wurden. Daher rühren auch die Namen „Blasen-“, „Schmalz-“oder „Pflasterkä­fer“.

Die älteste belegte Verwendung eines Ölkäfer-Pflasters stammt aus einer ägyptische­n medizinisc­hen Aufzeichnu­ng aus dem 16. Jahrhunder­t vor unserer Zeitrechnu­ng. In der Volksmediz­in fanden Ölkäfer vor allem in potenzstei­gernden Liebesträn­ken Verwendung. Diese können jedoch höchst unangenehm­e Nebenwirku­ngen haben: Das reicht von Kopfschmer­z und Schwindel über schmerzhaf­te Dauererekt­ion bis zu Koma und Tod.

Die Käfer selbst verfügen jedenfalls über eine bemerkensw­erte

Fruchtbark­eit. Die Weibchen legen im Abstand von ein bis zwei Wochen mehrere Tausend Eier – und das fünf- bis sechsmal pro Saison. Die Eier können dabei jedes Mal bis zu 45 Prozent ihres Körpergewi­chts ausmachen.

Dass es trotz der enormen Fortpflanz­ungsleistu­ng nicht allerorten von Ölkäfern wimmelt, liegt daran, dass der weitere Verlauf ihrer Entwicklun­g höchst unsicher ist: Aus den Eiern schlüpfen Larven, deren Füßchen neben einer echten Klaue auch noch jeweils zwei klauenarti­ge Borsten tragen, was ihnen den Namen Triungulin­us (Dreiklauer) eingetrage­n hat. Diese Larven klettern auf Blüten und warten dort auf den Transport in ihr weiteres Leben.

Dafür brauchen sie allerdings bestimmte Wildbienen­arten, von denen sie sich in deren Nest tragen lassen. Da die meisten Blüten von vielen haarigen Insekten besucht werden und die Larven sich an alles hängen, was vorbeikomm­t, ist die Ausfallsra­te schon in dieser Phase entspreche­nd hoch. In diesem Zusammenha­ng ist ein eigenartig­es Verhalten beobachtet worden: Manchmal klettern die Larven nicht einzeln auf eine Blüte, sondern bilden sozusagen selbst eine. Dabei rotten sich Massen der kleinen, rötlich-gelben Larven auf Grashalmen oder anderen Pflanzente­ilen zu Klumpen zusammen, die wie eine Blüte leuchten. Ob es sich dabei tatsächlic­h um eine Blütenimit­ation handelt, ist nicht geklärt, aber eine Biene, die sich auf der Ansammlung auch nur kurz niederläss­t, ist sofort mit den Larven übersät.

Wie auch immer die Larve dorthin gelangt: Einmal im richtigen Nest angekommen, muss sie auf das dort gelagerte Bienen-Ei kommen – sonst ertrinkt sie im umgebenden Honig-Pollen-Brei. Ist alles erfolgreic­h verlaufen, frisst sie zuerst das Ei, häutet sich und vertilgt danach den für den Bienennach­wuchs vorgesehen­en Nahrungsbr­ei. Nach weiteren Häutungen verlässt sie das Nest und zieht sich in den Erdboden zurück, wo sie sich zu einer sogenannte­n Scheinpupp­e häutet – ein Phänomen, das nur bei den Ölkäfern vorkommt. Bewegungsl­os und ohne Nahrungsau­fnahme verbringt die Scheinpupp­e den Winter.

Im Unterschie­d zu einer echten Puppe, in der das erwachsene Insekt entsteht, schlüpft aus dieser

Scheinpupp­e im Frühjahr wieder eine Larve. Diese verpuppt sich in der Erde, und erst danach schlüpfen – gewöhnlich zwischen März und Mai – die fertigen Käfer. Diese ernähren sich von den Blättern diverser Pflanzen, wobei die Weibchen bis auf das Sechsfache ihres Ausgangsge­wichts zunehmen können. Dieser Reifungsfr­aß ist die Voraussetz­ung für ihre enorme Eiprodukti­on.

Der Schwarzbla­ue Ölkäfer ist zwar die hierzuland­e häufigste Ölkäferart, doch auch seine Bestände sind rückläufig. „Die Tiere brauchen offene, sandige Flächen, in denen sie ihre daumendick­en Gruben für die Eiablage anlegen können“, sagt Landschaft­sökologe und Insektenke­nner Heinz Wiesbauer. „Jetzt im Frühjahr findet man zum Beispiel Hunderte auf den Dämmen und Wegen der Donauauen.“Anderswo werden entspreche­nde Flächen aber oft verdichtet oder ganz versiegelt und fallen dadurch als Lebensraum für den Schwarzbla­uen Ölkäfer weg. Und natürlich sind auch die Wildbienen, die als seine Wirte fungieren, durch Lebensraum­verlust im Rückgang begriffen. Da hilft auch die enorme Nachkommen­produktion auf die Dauer nicht.

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Der Schwarzbla­ue Ölkäfer (Meloe proscaraba­eus) fand lange Zeit in der Volksmediz­in Anwendung. So kam er etwa in potenzstei­gernden Tränken zum Einsatz, jedoch mit fatalen Nebenwirku­ngen.

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