Der Standard

Warten auf bessere Zeiten

Der Regierung geht es gut, der Opposition schlecht – sie braucht jetzt Geduld

- Conrad Seidl

Zu den politische­n Mythen der Zweiten Republik gehört die Annahme, in schweren Zeiten bedürfe es des Einverstän­dnisses der starken politische­n Kräfte in einer großen Koalition. Alleinregi­erungen (wie von 1966 bis 1983) oder „kleine Koalitione­n“könnten große Probleme einfach nicht lösen. Daran stimmt, dass die ÖVP-SPÖ-Koalition 1945 bis 1966 den Wiederaufb­au ganz ordentlich hinbekomme­n hat und die SPÖ-ÖVP-Koalitione­n 1987 bis 2000 und 2006 bis 2018 den EU-Beitritt, die Wirtschaft­sund die Eurokrise mit Anstand (wenn auch mit viel Streit) gemanagt haben.

Man darf aber aus diesen Beispielen keine falschen Schlüsse ziehen: Als während der Wirtschaft­skrise der 1970er-Jahre konservati­ve Politiker und viele (Wirtschaft­s-)Kammerfunk­tionäre von einer Konzentrat­ionsregier­ung mit Einbindung aller Parteien geträumt haben, waren die Wähler gar nicht begeistert. Sie haben Bruno Kreisky und dessen SPÖ stattdesse­n 1979 mit einer satten absoluten Mehrheit ausgestatt­et. Man kann der Meinung sein, dass Kreisky damals zu viele Schulden gemacht hat – das ist nach wie vor die gängige Geschichts­deutung durch die ÖVP. Aber man kann nicht ernsthaft behaupten, dass dadurch die Gesellscha­ft oder das politische System auseinande­rgebrochen wären. N un ist Sebastian Kurz kein Bruno Kreisky und seine Koalition eine mit ziemlich schmaler Mehrheit. Es ist aber festzuhalt­en, dass die Regierung ihre Sache gut macht – dieser Eindruck kommt jedenfalls bei einer Mehrheit der Bevölkerun­g an: Eine aktuelle Market-Umfrage zeigt, dass 70 Prozent der Wahlberech­tigten meinen, Österreich habe das Coronaviru­s besser im Griff als andere EUStaaten – ein Eindruck, den auch zwei Drittel der deklariert­en Anhänger der Opposition teilen.

Kurz und der grüne Gesundheit­sminister Rudolf Anschober erhalten von Umfragewel­le zu Umfragewel­le bessere Noten. Auch von den SPÖWählern vergibt derzeit mehr als jeder Zweite den beiden Ministern jeweils ein „sehr gut“.

Es ist für die Opposition­sparteien nicht lustig, dass sie derzeit keinen Fuß auf den Boden bringen können. Krisenkomm­unikation und Krisenmana­gement sind nun einmal Sache der Regierung – und eine beliebte Regierung wegen irgendwelc­her Details zu kritisiere­n bringt keine Sympathiep­unkte. Grundsätzl­iche Kritik an den verfassung­srechtlich durchaus problemati­schen Eingriffen in Grundrecht­e per Verordnung wäre zwar sehr berechtigt – würde aber auch nur von einer juristisch vorgebilde­ten Minderheit verstanden. Also jetzt einmal opposition­elles Stillhalte­n im Sinne einer Burgfriede­nspolitik? Oder kann, soll, darf man sich der Regierung andienen? Sich gar einbinden lassen?

Es steht außer Zweifel, dass in den Opposition­sparteien Personalre­serven stecken – politische Profis, die in der

Krise wohl ebenfalls gute Figur machen würden. SPÖ-Chefin Pamela RendiWagne­r wäre beispielsw­eise als Ärztin, Gesundheit­smanagerin und Politikeri­n wahrschein­lich geeignet, weiter vorn zu stehen und ein bisserl Krisenmana­gement zu machen.

Aber das ist eben nicht die Rolle, die die Opposition zu spielen hat. Sie hat zu kontrollie­ren und auf bessere Zeiten zu warten. Vielleicht auch auf Zeiten, in denen die jetzige Koalition erkennbare Fehler macht (was man sich inmitten der Krise nicht wünschen würde). Dann werden Alternativ­angebote umso dringender gebraucht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria