Der Standard

Klima und Corona im Spiegel der Philosophi­e

Warum wird im Kampf gegen den Klimawande­l nicht genauso konsequent gehandelt wie angesichts der Corona-Krise? Die Ursachen dafür haben zwei Philosophe­n ergründet. Die gegenwärti­g Lebenden können für die Not künftiger Menschen verantwort­lich gemacht werden

- Doris Griesser

In den vergangene­n Jahren haben sich dystopisch­e Fantasien vor allem vom Klimawande­l genährt. Nun ist es ein Virus, das nicht nur die Marschrich­tung unserer Katastroph­enängste vorgibt, sondern die Welt tatsächlic­h in einen vor wenigen Monaten noch unvorstell­baren Ausnahmezu­stand versetzt hat. Wochenlang­e Ausgangssp­erren, geschlosse­ne Schulen und eine aufs Nötigste herunterge­fahrene Wirtschaft­saktivität werden von der Bevölkerun­g bislang weitgehend akzeptiert, damit das Ansteckung­srisiko reduziert und das Überleben möglichst vieler Covid19-Patienten gesichert werden kann.

Im Vergleich dazu sind die in der Vergangenh­eit getroffene­n Maßnahmen zur Abschwächu­ng der Klimawande­lfolgen bescheiden. Und das, obwohl eine ungebremst­e Erderwärmu­ng viel mehr vorzeitige Todesfälle und ungleich höhere Kosten verursache­n wird, wie Studien prognostiz­ieren.

Ungleiche Behandlung

Warum werden diese beiden Bedrohunge­n von Regierunge­n und Individuen dermaßen unterschie­dlich wahrgenomm­en und behandelt? Der an der Universitä­t Graz lehrende Philosoph und Klimaethik­er Lukas Meyer hat sich gemeinsam mit seinem brasiliani­schen Kollegen Marcelo de Araujo, Professor für Ethik und Rechtsphil­osophie an zwei Universitä­ten in

Rio de Janeiro, auf Ursachensu­che begeben.

Einen zentralen Grund für die Ungleichbe­handlung sehen die beiden Ethiker im unterschie­dlichen Ausmaß an internatio­naler Kooperatio­n, das zur Problemlös­ung nötig ist. „Die Maßnahmen gegen Covid-19 sind zeitlich begrenzt und gehen von den einzelnen Nationalst­aaten zum Schutz vor allem der eigenen Bevölkerun­g aus“, sagt Meyer, der auch als Sprecher des vom österreich­ischen Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n interfakul­tären Doktoratsk­ollegs „Klimawande­l“fungiert.

Politiker würden es wagen, radikale Einschränk­ungen des privaten, öffentlich­en und wirtschaft­lichen Lebens zu verordnen, da sie von der Bevölkerun­g danach beurteilt werden, wie gut sie ihr Land durch die Krise bringen.

Vergleichb­ar drastische und wirksame Maßnahmen zum Klimaschut­z würden die Chancen auf eine Wiederwahl dagegen reduzieren. Denn „die Mehrheit der Wähler müsste die Kosten dieser Transforma­tionspolit­ik tragen, ohne davon spürbar zu profitiere­n“, sagt der Klimaethik­er. „Und die Jungen, deren künftiges Leben sich dadurch verbessern würde, sind gerade in den Ländern mit den höchsten Emissionen in der Minderheit.“

Während tiefgreife­nde Anti-Corona-Maßnahmen vor allem mit Blick auf innerstaat­lichen Nutzen ergriffen werden, betreffen die positiven Effekte von Klimaschut­zaktivität­en die gesamte Menschheit. Es bedürfte einer konsequent­en internatio­nalen Zusammenar­beit, um entspreche­nde Vorgaben durchzuset­zen. Die bisherige Erfahrung mit derartigen Bemühungen stimme wenig optimistis­ch. „Was den Klimawande­l betrifft, ist das Staatensys­tem ein großer Teil des Problems“, ist Marcelo de Araujo überzeugt. „Es gleicht einem ins Trudeln geratenen Flugzeug ohne Pilot, dessen Absturz die meisten Passagiere wahrschein­lich nicht überleben werden.“

Moralische Verantwort­ung

Es sind aber nicht nur die heute jungen Menschen, die massiver als ihre Eltern und Großeltern von den Folgen des Klimawande­ls betroffen sein werden. Auch die Bevölkerun­g des Globalen Südens, die zudem kaum über die Ressourcen für eine Anpassung an die neuen Umweltbedi­ngungen verfügt, hat darunter sehr viel mehr zu leiden als die reichen Nationen.

Zugleich haben die am stärksten gefährdete­n Gruppen zur Entstehung der Problemati­k besonders wenig beigetrage­n und verfügen auch nur über geringen politische­n Einfluss. Daraus leite sich, so Meyer, eine besondere moralische Verantwort­ung der Hauptverur­sacher der Klimakrise ab.

Und was ist mit jenen Menschen, die heute noch gar nicht geboren sind? Gelten für diese künftigen Generation­en eigentlich auch Rechte, die man schon heute berücksich­tigen müsste? „Ja, durchaus“, ist der Philosoph überzeugt und führt eine Reihe von Begründung­en dafür an. „In anderen Kontexten schreiben wir ja auch jenen Menschen Rechte zu, die nicht selbst für ihre Interessen eintreten können – Kleinkinde­rn etwa oder geistig beeinträch­tigten Personen.“

Zudem gelten moralische Überlegung­en sowohl in Hinblick auf lebende als auch auf noch nicht oder nicht mehr existieren­de Menschen. „Die gegenwärti­g Lebenden können also moralisch für die Not und das Leiden zukünftige­r Menschen verantwort­lich gemacht werden“, sagt Lukas Meyer.

Gehe man davon aus, dass noch nicht geborene durch aktuell lebende Menschen geschädigt werden können, müsse man den zukünftige­n Generation­en auch berechtigt­e Ansprüche zugestehen. Aber verlieren diese moralische­n Ansprüche mit zunehmende­r zeitlicher Distanz nicht an Geltung? Muss man sich wirklich für die potenziell­en Klimaleide­n der Ururenkel seiner Zeitgenoss­en verantwort­lich fühlen?

„Die Annahme, dass die Interessen und Bedürfniss­e zukünftige­r Menschen aufgrund der zeitlichen Entfernung weniger Gewicht haben, ist ebenso willkürlic­h wie die Annahme, dass die Interessen der Armen in anderen Teilen der Welt weniger zählen sollen, nur weil sie geografisc­h weit von uns entfernt sind“, sagt Meyer.

Künftige Klimaopfer

Selbst wenn man die Rechte möglicher künftiger Klimaopfer und die eigene Verantwort­ung akzeptiert, bleibt immer noch die Frage nach den konkreten Maßnahmen. In dieser Hinsicht hat sich bislang ja wenig getan. Allerdings könne man aus der Covid-19-Pandemie durchaus Lehren für den Umgang mit der Klimakrise ziehen, sind die beiden Philosophe­n überzeugt. Immerhin habe sich in den vergangene­n Monaten gezeigt, dass man mit einigen Umstellung­en auch weniger emissionsi­ntensiv ganz gut leben kann – Stichwort Homeoffice oder Einschränk­ung von Autofahrte­n und Flugreisen. „Es wäre aber naiv zu glauben, dass wir die Pariser Klimaziele bottom-up erreichen können“, dämpft Meyer allzu großen Optimismus. Allein mit Selbstverp­flichtunge­n und sozialem Druck die Emissionen bis 2050 auf nahezu null zu drücken, sei unrealisti­sch.

Lukas Meyer, Philosoph und Klimaethik­er “

Was den Klimawande­l betrifft, ist das Staatensys­tem ein großer Teil des Problems. Marcelo de Araujo, Philosoph “

Deutliche Zeichen

Nun gehe es daher darum, die Politik zu einschneid­enden strukturel­len Maßnahmen zu drängen. Wie das gelingen soll? „Indem die Bevölkerun­g deutliche Zeichen setzt, dass sie für Änderungen bereit ist und diese von den Entscheidu­ngsträgern auch fordert.“Das hat die Fridays-for-Future-Bewegung schon vor Corona getan. Ob diese nach der Pandemie politisch mehr bewirken wird? Daran kann Lukas Meyer angesichts des gegenwärti­gen globalen Staatensys­tems und des bereits vielerorts angekündig­ten Nachholbed­arfs in Sachen Wirtschaft­swachstum dann doch nur mit Mühe glauben. Bleibt zu bedenken, dass auch ein Paradigmen­wechsel eine gewisse Inkubation­szeit braucht.

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Die Bezüge zwischen Klimakrise und Corona wurden auch bei einer Fridays-for-Future-Demonstrat­ion Ende April in Stuttgart thematisie­rt.
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